Als ich kürzlich mit meiner Teenager-Tochter über ihre liebste Kurzvideo-App plauderte, verlief das Gespräch ziemlich unerwartet. Sie eröffnete mir, dass sie ihren TikTok-Konsum bewusst eingeschränkt habe. Aus Gründen.
Ihr tägliches Zeitbudget wird an dieser Stelle nicht verraten. Privatsphäre! Nebenbei stellte ich überrascht fest, dass sie sehr viel weiss über die dunklen Seiten der App.
Also alles halb so wild?
Das liegt am raffinierten Empfehlungs-Algorithmus, der eben – im Gegensatz zu anderen Plattformen – auch überraschende neue Inhalte einstreut, die einen Nerv treffen. Als User ist man angefixt und sucht immer wieder den Dopamin-Kick.
Fantasievolle, originelle und freche Kurzvideos erfüllen genau die Bedürfnisse der meisten Smartphone-User: Man verliert sich in einem stetigen Strom von Unterhaltung und Ablenkung. Und das ohne jegliche Anstrengung.
Oder bist du Creator?
Egal! Wenn du wissen möchtest, wie der sagenumwobene TikTok-Algorithmus im Detail funktioniert, muss ich dich enttäuschen. Das ist ein Geschäftsgeheimnis. Alles, was wir dank geleakter Informationen wissen, klingt ziemlich banal.
Gegenfrage: Wie viel Zeit hast du? 😅
Kurze Antwort: Das eigentliche Problem mit TikTok ist die Menge an persönlichen Daten, die die App sammelt. Die Standardeinstellungen, die von den meisten Usern nicht geändert werden, räumen ihr viel mehr Berechtigungen ein als nötig. Zudem ist es schwierig zu überprüfen, was genau mit den gesammelten Daten passiert und wer Zugriff hat.
Der renommierte amerikanische IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier charakterisierte TikTok und die chinesische Entwicklerfirma, das KI-Unternehmen ByteDance:
Und damit zum Hauptproblem ...
TikTok = China. Genauer: Regime in Peking.
Das kann man öffentlich in Abrede stellen, wie es der TikTok-Chef soeben in Washington DC tat. Doch bleibt es ein Fakt, dass sich chinesische Unternehmen nicht dem Zugriff des chinesischen Staates entziehen können. Und Chinas Machthabende haben den Wert der im Westen so beliebten App natürlich längst erkannt – und geben sie nicht her.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Es wird kein allgemeines TikTok-Verbot im Westen verhängt, die App bleibt unter der Kontrolle Chinas bzw. in deren Einflussbereich und sie legt weiter massiv zu bei den User-Zahlen. Doch dann verschärft sich der Konflikt zwischen dem demokratischen Westen und den Demokratiefeinden China und Russland.
TikTok kann eingesetzt werden, um politische Botschaften zu verbreiten und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Der Algorithmus kontrolliert, was die User wahrnehmen. Und dabei erreicht die App eine interessante Zielgruppe: junge Menschen, die wissbegierig und beeinflussbar sind.
Wenn der sich abzeichnende Niedergang von Facebook und Co. voranschreitet, ist TikTok vielleicht bald das mächtigste Desinformations- und Propaganda-Tool der Welt.
Mao Ning, chinesische Diplomatin und Sprecherin des Aussenministeriums der Volksrepublik China, knöpfte sich kürzlich genüsslich den westlichen Erzfeind vor: «Wie unsicher kann eine weltgrösste Supermacht wie die USA sein, die Lieblings-App junger Menschen so zu fürchten?»
Gegenfrage: Warum lässt Peking im eigenen Land nur eine streng zensierte Variante der TikTok-App zu?
Antwort: Weil ihm die Meinungsfreiheit ein Graus ist und es von den Risiken und Nebenwirkungen weiss, die von Algorithmus-gesteuerten Social-Media-Plattformen ausgehen.
Und wie wir oben gesehen haben, sieht das Regime in Peking die TikTok-App als wertvolles Instrument, um die westlichen Gesellschaften zu destabilisieren.
Wir sollten uns nichts vormachen: Wladimir Putin ist der brutale Schläger, der demokratische Strukturen mit dem Vorschlaghammer zertrümmern will. Doch viel gefährlicher ist der intelligent und geduldig vorgehende Xi Jinping.
Es gibt einige Leute, die mit viralen Kurzvideos viel Geld oder sogar verdammt viel Geld verdienen. Doch die negativen Folgen überwiegen bei Weitem.
Fassen wir zusammen:
Niemand hat behauptet, dass das «Runterkommen» einfach sei. Das ist es bei keiner Droge. 😉
Das ist fraglich.
Ein Verbot, wie es in den USA droht, mag beispiellos erscheinen – doch es gibt einen wichtigen Präzedenzfall.
Im Juni 2020 zählte TikTok über 200 Millionen User in Indien (es war der grösste Markt ausserhalb Chinas), doch dann verfügte die indische Regierung unter Berufung auf den Datenschutz und die nationale Souveränität eine Sperre für über 200 chinesischen Apps.
Die Entscheidung fiel zwei Wochen nach einem schweren Zwischenfall an der Nordgrenze zu China, bei dem mindestens 20 indische Soldaten ums Leben gekommen waren.
Das TikTok-Verbot erzürnte viele User. Doch die anfänglichen Proteste legten sich und abgesehen von ein paar Influencern, die mit TikTok viel Geld verdient hatten, kamen alle darüber hinweg. «Es entstanden uns daraus keine Nachteile», meint Anand Lunia, der Gründer einer indischen Risikokapitalgesellschaft und ein bekannter Technologiekritiker.
Ja, da sind amerikanische Elefanten im Raum: Wer über die negativen Folgen von Social-Media-Plattformen spricht, kommt nicht an den Techgiganten vorbei.
Der negative Einfluss der US-Plattformen auf unsere Gesellschaft und das Wohlbefinden der User sollte ein Ansporn für uns sein, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Bei Facebook und Co. haben wir hinlänglich gesehen und auf allen Ebenen spüren müssen, was unkontrollierbare Empfehlungs-Algorithmen anrichten können.
Aber bleiben wir realistisch: Solange wir die amerikanischen Techgiganten nicht an die Leine legen – durch strengere Regulierung und konsequente Besteuerung –, tanzen uns die Silicon-Valley-Milliardäre auf der Nase herum.
Das zeigte sich schon nach dem TikTok-Verbot in Indien: Dort versuchten einheimische Risikokapitalgeber, mit neuen Apps zu punkten. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Die grossen Profiteure waren die US-Techkonzerne, die mit ihrer Marktmacht ihre TikTok-Alternativen (YouTube Reels etc.) pushten.
Und so verwundert es nicht, dass Zuckerberg und Co. auch bei den Bestrebungen für TikTok-Verbote im Westen kräftig im Hintergrund mitmischen und lobbyieren.
Hierzu gibt es unterschiedliche Einschätzungen und Rückmeldungen aus den USA. Einfach dürfte es nicht werden.
TikTok versucht, seine vielen Nutzerinnen und Nutzer gegen das Vorhaben aufzubringen und hat auch bereits Influencer bezahlt, damit sie medienwirksam protestieren.
Das chinesisch kontrollierte Unternehmen wird sicher auch ein Heer von Anwälten in Marsch setzen und sich mit allen juristischen Mitteln wehren. Eben so, wie es in einem demokratischen Rechtsstaat im Westen möglich ist.
25.3.2023 - Artikel auf Watson "Die hässliche Wahrheit über TikTok.
Ok...
Xi ist nicht klüger als Putin. Ich erinnere: Noch vor zwei Jahren galt auch der Kreml-Schlächter als gewiefter Stratege, der mit allen Wassern gewaschen ist. Und das nicht nur bei den ewigen Putin-Trolls.
Xi ist einfach zehn Jahre weniger lang von der Macht zerfressen worden. Aber meine Prognose: In zehn Jahren wird er genau die gleichen dummen Fehler begehen wie sein Busenfreund und Taiwan angreifen.