Bei meinem früheren Arbeitgeber wurde es je länger, je mehr zur Qual, doch bei watson unternehme ich sie immer noch gern: die täglichen «Ausflüge» in die Kommentarspalten.
Was allerdings in den letzten Tagen an Hass und Häme in unserem Kommentar-Tool landete, konnte ich kaum glauben. Fast hätte ich mir das Sommerloch zurückgewünscht ...
Die Absender? Männer.
Das wiederkehrende Thema: Geschlechtsunterschiede und Gleichberechtigung. Und das zu diversen Storys.
Nachdem ich mich längere Zeit mit dem Löschen beleidigender Kommentare beschäftigte, muss ich sagen: So springt man(n) nicht miteinander um. Als Vertreter des starken Geschlechts schäme ich mich für gewisse «Genossen».
Fünf Punkte möchte ich ausführen:
Den provokativen Titel habe ich von diesem lesenswerten Beitrag der «Zeit» übernommen. Er passt perfekt zur Debatte über das Antifeminismus-Manifest des (Ex-) Googlers.
Ja, liebe Kritiker, ich habe das ganze «Memo» im Original-Wortlaut gelesen. Und nein, der Mann liegt nicht richtig, sondern argumentiert schlecht und kommt zum falschen Schluss.
Eine ausführliche Begründung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, darum in der gebotenen Kürze:
Die Antwort lautet natürlich Nein. Vielmehr sind verschiedene Faktoren dafür verantwortlich, dass die Männer im Silicon Valley dominieren, wie Business Insider ausführt.
Es gilt in Erinnerung zu rufen:
Es sind die Umstände, die in einer Branche das Geschlechterverhältnis prägen. Und Umstände kann man ändern.
Ich habe den bekannten Hirnforscher Lutz Jäncke um eine Einschätzung gebeten, was er davon halte, wenn Leute behaupten, dass der geringe Frauen-Anteil in der Tech-Branche mit «biologischen Unterschieden» zu erklären sei.
Der Professor schreibt keine halbe Stunde nach meiner Anfrage auf seinem iPhone zurück. «Bin zwar im Urlaub, kann aber festhalten, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt, dass Frauen wegen biologischer Gründe weniger begabt seien.»
Er halte dies auch für unlogisch, denn welcher «biologische Druck» sollte Männer bevorteilen, besser zu programmieren oder technische Probleme zu lösen? Allerdings müsse er feststellen, dass auch viele Psychologen und Neurowissenschaftler immer noch an die Geschlechtsunterschieds-Hypothese glauben.
Der Neuropsychologe, der zu den meistzitierten Wissenschaftlern in seinem Gebiet gehört, hält abschliessend fest:
Wer es noch detaillierter wünscht, kann bei der «Weltwoche» nachlesen. Hier geht's zum ausführlichen Interview.
Wir halten fest: Die individuelle Persönlichkeit zählt, nicht das Geschlecht. Und damit kommen wir zum nächsten Punkt ...
Talent und berufliche Eignung sind nicht vom Geschlecht abhängig, sondern von zahlreichen Faktoren. Wenn ein Unternehmen bei der Rekrutierung ein Geschlecht benachteiligt, verschenkt es viele Chancen und wirtschaftliches Potenzial. Dies hält der Management-Professor und bekannte Buchautor Sydney Finkelstein in diesem lesenswerten Meinungsbeitrag fest.
Die Argumentation: Im Wettstreit der Tech-Konzerne kann es sich kein Unternehmen leisten, den Talente-Pool zu begrenzen. Im Gegenteil! Die Suche nach den talentierten und lernfähigsten Köpfen müsse verstärkt die Frauen einschliessen.
Bei Google ist jeder fünfte Angestellte weiblich, gerade mal ein Prozent sind Afroamerikaner. Müssen wir uns da wirklich über die Benachteiligung weisser Männer sorgen?
Ein höherer Frauenanteil ist nicht nur dem Silicon Valley zu wünschen, sondern auch der Bankenwelt, respektive Hochfinanz.
Wie der Blog Inside Paradeplatz konstatiert, verschlingt die Frauenförderung der Schweizer Grossbanken Jahr für Jahr beachtliche Summen, ohne dass sich etwas ändert. Stand Anfang Jahr bei der Credit Suisse: Keine Frau im siebenköpfigen Verwaltungsrat, drei in der 13-köpfigen Geschäftsleitung.
Das ist sicher kein Grund, auf entsprechende Massnahmen zu verzichten. Vielmehr müssten sich die Verantwortlichen fragen, wie der Frauenanteil gesteigert werden kann. Oder ist das aktuelle, männerdominierte System auch das beste aller Systeme aus Sicht der Öffentlichkeit Steuerzahler und Kunden?
Geschlechtsspezifische Lohnungleichheiten sind ein Fakt, über deren tatsächliche Höhe und die mannigfaltigen Gründe lässt sich streiten. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, warum sich viele meiner Geschlechtsgenossen persönlich angegriffen fühlen, wenn der Status quo infrage gestellt wird. Und sei dies auch nur durch eine hypothetische Preiserhöhung für Männer.
Lohntransparenz wäre ein wichtiger Schritt, von dem Benachteiligte beider Geschlechter profitieren würden. Dies gilt zumindest für alle Arbeitnehmer mit «normalem» Einkommen.
Immerhin: Laut neuerer Studien ist die Lohnlücke in der Schweiz am geringsten, na dann freuen wir uns doch und klopfen uns auf die Schultern. Sollte etwas falsch dargestellt sein, dann kann man(n) auf anständige Art und Weise widersprechen.
Damit sind wir beim letzten Punkt:
Die watson-Redaktorinnen und -Redaktoren wenden viel Zeit auf, um die Diskussionskultur und den Austausch auf Augenhöhe zu pflegen. Dazu gehört, auf begründete Kritik zu reagieren. Dazu gehört aber auch, Beleidigungen und unbegründete Kritik zu löschen, respektive gar nicht freizuschalten.
Was mich freut, sind die vielen Kommentatorinnen und Kommentatoren, die bei uns engagiert und fair mitdiskutieren. Für alle anderen gilt es die Hausregeln in Erinnerung zu rufen:
Die Details erklärt unser Chefredaktor hier.
Das war's. Bin gespannt auf dein Feedback!