watson hat kürzlich berichtet, dass öffentliche Verwaltungen sehr stark von Microsoft und seiner Software abhängig sind. Wie ist die Situation an unseren Schulen?
Matthias Stürmer: Leider sind auch die meisten Schweizer Schulen sehr abhängig von Microsoft-Produkten. Nicht etwa die Schüler, die wären offen für Alternativen. Es sind die Lehrer, die selber Microsoft-Programme kennen und meist nur mit dem arbeiten wollen, was ihnen bekannt ist – eigentlich ziemlich paradox, wenn man bedenkt, für was die Schule da ist.
Gibt's Ausnahmen?
Eine ist der Kanton Genf, der in allen Schulen Ubuntu Linux und LibreOffice einführt. Und einzelne Schulen, wo engagierte Informatikverantwortliche tätig sind, wechseln auch auf Open-Source-Programme. Beispielsweise schult das Kirchenfeld-Gymnasium in Bern zur Zeit seine Lehrpersonen auf GIMP und anderen Open-Source-Grafikprogrammen, um von Adobe Photoshop etc. unabhängig zu werden.
Warum fristet Open-Source-Software (OSS) in den Schweizer Schulhäusern ein Nischendasein?
Erst kürzlich haben wir die Diskussion in der Stadt Bern geführt. Hauptargument gegen einen Wechsel auf OSS war, dass die Lehrer schon viele Aufgaben hätten und nicht noch mit neuen Anwendungen überfordert werden dürfen. Microsoft leistet da natürlich auch seinen Beitrag, in dem sie für alle Lehrer ein so genanntes Home Use Program anbieten: Solange die Schule einen Vertrag mit Microsoft hat, können die Mitarbeitenden zu Hause gratis alle Microsoft-Produkte nutzen. Das ist psychologisch sehr clever, denn mit der Ablösung von Microsoft würde den Lehrern etwas weggenommen. Dabei geht vergessen, dass auch alle OSS gratis nutzen können – ohne Verträge des Arbeitgebers.
Was ist schlecht daran, wenn die Schüler lernen, mit Microsoft Office zu arbeiten?
Die Frage ist, was lernt man in der Schule und was kann man auch sonst lernen? Es käme ja kein Kochlehrer auf die Idee, den Schülern das Kochen mit Beutelsuppen beizubringen.
Was ist mit dem sehr theoretisch klingenden Begriff «Informatikkompetenz» gemeint?
Der Lehrplan 21 sieht vor, dass Informatik- und Medienkompetenz unterrichtet werden, also dass die Schüler verstehen, wie Computer funktionieren und wie man programmiert. Das bedeutet, und das ist sehr wichtig bei diesem Thema: Informatik ist nicht mehr einfach Mittel zum Zweck, sondern wird ab Sommer 2018 ein eigenständiges Lernziel. Das erfordert ein Umdenken. Es geht nicht mehr darum, mit welchem Programm ich etwas am schnellsten und bequemsten erledigen kann, sondern die Kinder und Jugendlichen sollen begreifen, was hinter den Kulissen passiert. Sie müssen zum Beispiel verstehen, wie Algorithmen funktionieren.
Zurück zu den Büro-Programmen: Bietet denn Open Source überhaupt die gleiche Leistung wie proprietäre Software?
Klar, bei weitem. Mit dem Vorgänger-Programm von LibreOffice habe ich schon vor über zehn Jahren meine Lizentiatsarbeit und etwas später meine Doktorarbeit an der ETH geschrieben. Neu ist heute die Anforderung, dass man so einfach wie bei Dropbox Dateien austauschen und gleichzeitig an den selben Dokumenten arbeiten kann. Auch da gibt es gleichwertige Open-Source-Alternativen, die dazu noch einen höheren Datenschutz erlauben. Nextcloud und LibreOffice Online haben die gleichen Funktionen wie Microsoft Office 365, werden jedoch auf eigenen Servern installiert, sodass alle Daten im lokalen Rechenzentrum bleiben. Wir haben gerade kürzlich diese Plattform bei unserer Forschungsstelle an der Universität Bern eingeführt. Das funktioniert hervorragend.
Microsoft hilft pädagogischen Einrichtungen mit kostenlosen Produkten. Was ist daran falsch?
Es tönt auf den ersten Blick ganz nett, wenn Microsoft den Schulen Laptops und Software-Produkte sponsert. Aber überlegen Sie mal, wenn jetzt beispielsweise Coca Cola allen Schulen gratis Getränke liefern würde. Was wäre wohl die Reaktion der Lehrer und Eltern? Das Problem ist letztlich, dass Microsoft und natürlich auch alle anderen Technologiefirmen ihr Bildungs-Sponsoring nicht aus Nächstenliebe machen, sondern weil sie wissen, dass sie so ihre künftigen Kunden heranziehen können.
Was halten Sie davon, wenn Schulen statt auf Microsoft auf Apple setzen?
Ich halte Apple diesbezüglich für mindestens so schlimm wie Microsoft. Apple-Produkte sind zwar sehr bedienerfreundlich, aber das ist auch Teil des Problems: Die Programme und Geräte sind – meistens – so praktisch zu bedienen und eng miteinander verkoppelt, dass man sich gar keine Gedanken mehr macht, wo die Daten liegen und wie abhängig man letztlich von Apple ist. Die Firma hat seit ihrer Gründung die Strategie, ihre Kunden abhängig zu machen. Das finde ich bedenklich.
Die Schweiz ist traditionell ein Apple-Land und früher kamen an vielen Schulen Mac-Computer zum Einsatz. Warum hat sich das geändert?
Auch heute noch gibt es Schulen, die bewusst nur Apple-Produkte beschaffen wollen. Gerade kürzlich gab es eine Beschwerde bei einer IT-Ausschreibung, als die Gemeinde Thierachern nur Apple-Hardware kaufen wollte. Meistens jedoch werden bei Schulinformatik-Projekten von Anfang an Microsoft Windows und Office 365 verlangt, was auch eine falsche Entwicklung ist.
Warum?
Aus Beschaffungssicht ist ein fairer Wettbewerb nur mit Hersteller-neutralen Ausschreibungen gewährleistet, welche die funktionalen Anforderungen der jeweiligen Schule abbilden. Dabei können durchaus Open-Source-Programme wie LibreOffice oder GIMP vorgegeben werden, denn es können ja beliebige Firmen Support für Open-Source-Anwendungen anbieten – im Gegensatz zu proprietären Produkten von Apple oder Microsoft, die immer vom jeweiligen Hersteller gekauft werden müssen.
Microsoft lässt selber sehr viel Open-Source-Software entwickeln oder gestaltet diese mit. Reicht das nicht?
Das grosse Engagement in der Open-Source-Szene zeigt, dass Open Source nicht eine Frage der Ideologie ist, sondern ein wichtiger Branchen-Trend. Keine Informatikfirma kann es sich erlauben, ohne Open-Source-Know-how zu bleiben. Das Problem von Microsoft ist, dass das Unternehmen heute noch sehr viel Geld mit der Abhängigkeit seiner Kunden von Microsoft Office und anderen alten Cashcows verdient. Wer verzichtet schon freiwillig auf Einnahmen? Deshalb braucht es ein Umdenken vom Markt, also von den Schulen, Behörden, Firmen, dass man nicht auf Ewigkeit bei Microsoft-Produkten verbleibt.
* Die Punkte sind einer Antwort von Matthias Stürmer entnommen worden. Das Interview wurde schriftlich geführt.