«Microsoft Office» ist die am stärksten verbreitete Bürosoftware. Und die Gefährlichste. Bild: Shutterstock
Statt auf Open-Source-Software setzen Verwaltungen auf den Quasi-Monopolisten Microsoft. Die wirtschaftlichen Folgen haben unabhängige Journalisten untersucht. watson hat in der Schweiz nachgehakt.
Die Ergebnisse seien in verschiedener Hinsicht beunruhigend, fasste der deutsche «Tagesspiegel» in einem am Montag publizierten, ausführlichen Bericht mit dem Titel Europas fatale Abhängigkeit von Microsoft zusammen:
Der Informatiker und Jurist Martin Schallbruch, der bis 2016 Abteilungsleiter für Informationstechnik und Cybersicherheit im deutschen Bundesinnenministerium war. quelle: tagesspiegel
watson hat bei einem Microsoft-kritischen Wissenschaftler nachgefragt: Matthias Stürmer leitet an der Universität Bern die Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit. Der EVP-Politiker amtet als Geschäftsführer der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit und setzt sich für Open-Source-Softwares ein.
Die Abhängigkeit von Microsoft sei auch in der Schweiz riesengross, konstatiert der Experte und erinnert an ein folgenschweres Gerichtsurteil in Zusammenhang mit der Beschaffung von Microsoft-Software beim Bund: 2011 unterlagen Open-Source-Anbieter vor Bundesgericht mit einer Beschwerde gegen einen 42-Millionen-Deal. Seither habe die Verwaltung «einen Freipass, Microsoft-Produkte einzukaufen, wie es ihr beliebe».
Pikantes Detail: Das Bundesgericht setzt seit jeher bewusst auf Microsoft-Alternativen. Für das oberste Gericht sei wichtig, die Langlebigkeit der Akten zu garantieren, hält Matthias Stürmer fest. Dieses Ziel sei nur durch den offenen Standard Open Document Format (ODF) zu erreichen. Zunächst hätten die Juristen StarOffice genutzt, seit einigen Jahren OpenOffice.org.
Als zynisch bezeichnet der Wissenschaftler die gängige Praxis beim Bund und anderen öffentlichen Stellen – wie etwa den Kantone Graubünden und Solothurn – «offene Ausschreibungen» für Microsoft-Produkte zu machen. Diese so genannten «In-Brand Wettbewerbe» seien ein Witz. Denn bei den Lizenz-Verkäufern herrsche logischerweise kaum Wettbewerb, da sie ihre Lizenzen alle beim Hersteller, also Microsoft, einkaufen müssten.
quelle: tagesspiegel
Einzig in der Stadt Bern forme sich Widerstand gegen Microsoft, hält Matthias Stürmer fest. Dort habe der Stadtrat letztes Jahr einen 843'000-Franken-Kredit genehmigt, um das Potenzial von Open-Source-Software (OSS) zu ergründen.
Noch gebe es aber auch in Bern viele Abhängigkeiten zu Microsoft, so dass mehr als fraglich sei, ob die Stadt selbst bei so einem Kredit «aus der Mangel von Microsoft» komme.
Er erhoffe sich sehr, dass die neue Open-Source-Strategie der Bundesverwaltung die Situation verbessere, sagt Stürmer. Bis 2018 soll der Bundesrat einen Plan vorlegen, respektive vorgeben, wie sich die Schweizer Behörden mittelfristig von der Abhängigkeit von Microsoft-Produkten lösen können.
Laut Stürmer muss sich dafür zunächst einmal das Bewusstsein einstellen, dass eine derartige Abhängigkeit von einem einzelnen übermächtigen Anbieter überhaupt ein Problem ist – denn das sei noch längst nicht überall der Fall. «Viele sehen Microsoft als Gott-gegeben an, was ja völlig absurd ist.»
Es sei kein Zufall, dass alle grossen Hackerangriffe auf staatliche europäische Institutionen in den letzten Jahren stets über Sicherheitslücken in Microsoft-Programmen erfolgten, hält der Tagesspiegel fest. Microsoft-Programme seien komplex (im Vergleich mit der Open-Source-Konkurrenz) und verwundbar. Insbesondere die Bürosoftware («Office») und die damit hergestellten Dateien seien das wichtigste Einfallstor für Cyberattacken.
Dazu passen aktuellen Meldungen über eine manipulierte «Word»-Datei, die das Dridex-Botnet verbreitet und Windows-Computer mit einem Banking-Trojaner infiziert.
quelle: futurezone.at
Word-Nutzer sollten derzeit besonders misstrauisch sein bei Mails: Textdokumente sollte man nur öffnen, wenn die Quelle absolut vertrauenswürdig ist. Und man sollte die Office-Software sofort aktualisieren! Microsoft hat am Dienstag einen «Patch» veröffentlicht, um die Sicherheitslücke zu schliessen.
Microsoft wollte keine der vom Recherche-Netzwerk gestellten Fragen beantworten und verweigerte eine Stellungnahme.
watson hat bei der Schweizer Vertretung des US-Konzerns angefragt. Die Antwort steht aus und wird hier nachgeliefert.
Update: Microsoft Schweiz hat bis heute (27. April) nicht auf die Medienanfrage geantwortet.
Video: YouTube/Investigate Europe
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