«Wir haben die Schnauze voll, Elon!»
Etwa so lassen sich die Reaktionen von zwei grossen US-Medienorganisationen beschreiben, die diese Woche ihren Twitter-Rückzug kommuniziert haben.
Der Grund: Elon Musk. Oder genauer: Seine Entscheidung, den Twitter-Profilen der renommierten Medien-Syndikate einen fragwürdigen Stempel aufzudrücken.
Der Public Broadcasting Service (PBS) ist ein Zusammenschluss von regionalen TV-Sendern. Und NPR (National Public Radio) das Pendant im Rundfunkbereich.
Zwar gelten PBS und NPR als das amerikanische Gegenstück zu den öffentlich-rechtlichen Sendern in Europa. Sie finanzieren sich jedoch überwiegend durch User-Beiträge, bzw. private Spenden, und erhalten wenig Geld vom Staat.
Das hielt Twitter nicht davon ab, sie fälschlicherweise als staatsnahe Medienorganisation abzustempeln und in eine Reihe zu rücken mit der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua oder dem Kreml-Sender RT (Russia Today).
Nach Kritik wurde die Markierung geändert: Nun heisst es irreführend, NPR sei eine von der US-Regierung finanzierte Medienorganisation. Dabei kommt weniger als ein Prozent des jährlichen NPR-Etats von 300 Millionen Dollar aus staatlichen Mitteln. Bei PBS sind es rund 15 Prozent.
NPR kritisierte, die neue Klassifizierung untergrabe die Glaubwürdigkeit der Sender-Kette, weil sie fälschlicherweise andeute, dass sie nicht redaktionell unabhängig sei.
Im Twitter-Profil steht nun:
NPR-Chef John Lansing erklärte:
Weiter erklärte der NPR-Chef, dass «die Verschlechterung der Twitter-Kultur» zu der Entscheidung beigetragen habe, sich zurückzuziehen: Die Plattform werde bereits oft von missbräuchlichen Inhalten überschwemmt.
Seit der Änderung habe PBS keine Tweets mehr abgesetzt und plane vorerst auch nicht, das zu tun, teilte ein Sprecher am Donnerstag dem Finanzdienst Bloomberg mit. Der letzte Tweet im PBS-Account stammt vom 8. April.
Die Schritte von NPR und PBS drohen laut CNN, eines der wichtigsten Verkaufsargumente von Twitter zu untergraben – seine Rolle als zentrale Nachrichten-Drehscheibe.
Auch der öffentliche britische Sender BBC wurde in seinem Profil zunächst als von der Regierung finanziert bezeichnet. Nach Kritik und Protesten der BBC lenkte Musk ein und liess die Markierung in «öffentlich finanziert» ändern.
Wenig verwunderlich, reagierte Musk via Twitter mit Spott und Häme auf den angekündigten Abgang.
Anzumerken bleibt, dass die von Musk verfügte Kennzeichnung der Medienorganisationen wohl auch gegen die eigenen Regeln der Plattform verstösst. Dies erklärte ein ehemaliger Twitter-Manager, der an der Ausarbeitung der Richtlinien beteiligt war, gegenüber NPR. Der entscheidende Faktor bei der Erteilung der Bezeichnung liege darin, ob eine Medienorganisation redaktionelle Freiheit besitze. Denn die Labels sollten den Twitter-Usern den Kontext vermitteln, ob ein Tweet, den sie gerade betrachten, Propaganda sein könnte.
Im Mittelpunkt des Problems stehe die Beziehung von Twitter zu Nachrichten, konstatiert der Techblog The Verge:
Elon Musk habe erkannt, dass ein grosser Teil des Wertes von Twitter darin bestehe, Nachrichten zu verbreiten, «sei es als Verteiler von Geschichten aus etablierten Medien, als Werbetool für unabhängige Autoren oder als Forum für Live-Updates und Gespräche über aktuelle Themen».
Im Gegenzug seien Medienorganisationen und Journalisten auf Twitter angewiesen, um ihre Inhalte zu verbreiten. Oder sie meinen, darauf angewiesen zu sein und verzichten darauf, unabhängige Alternativen wie Mastodon zu nutzen.
Der Twitter-Chef scheint sich vor allem von US-Medien unfair behandelt zu fühlen, die kritisch über seine Geschäftsaktivitäten berichten. Und für seine mehr als 134 Millionen Follower dient er als Verstärker rechter politischer Ansichten.
Kritiker warnen: Der libertär denkende Tech-Multimilliardär nutze die von ihm gekaufte Plattform, um die Legitimität der traditionellen Medienunternehmen zu untergraben.
Zuvor hatte er schon veranlasst, die Aussagekraft der blau-weissen Verifikations-Häkchen abzuschwächen. Diese sollen nur noch gegen Bezahlung erhältlich sein. Und er entzog der «New York Times» das entsprechende Symbol, nachdem sich das US-Medienhaus dagegen ausgesprochen hatte.
Sicher ist, dass es unter Musks Führung zu weiteren Konflikten mit Medienhäusern und zu prominenten Abgängen kommen wird. Letzte Woche hat Twitter damit begonnen, die Verbreitung von Tweets einzudämmen, die Verknüpfungen (Links) zur Substack-Plattform enthalten. Obwohl Substack selbst keine Medienorganisation ist, beherbergt es Newsletter und Blogs vieler bekannter unabhängiger Journalisten. Und die nutzen bevorzugt Twitter, um ihre Arbeit zu bewerben.
PS: Gemäss dem NPR-Chef John Lansing können einzelne NPR-Journalisten und -Angestellte selbst entscheiden, ob sie Twitter weiterhin nutzen wollen.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA
(dsc)