Donald Trump kann einen neuen Rekord vermelden: In weniger als einem Jahr hat er es geschafft, mehr als 2000 Lügen zu verbreiten. Das macht ihm so schnell niemand nach. Fragt sich bloss: Warum lassen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner das bieten?
Eine Antwort liefert Kurt Andersen in seinem Buch «Fantasyland». Darin erforscht der renommierte Journalist und Bestseller-Autor, weshalb in den USA alternative Fakten, Fake News und banale Lügen die harten Fakten und logischen Analysen verdrängt haben.
Andersen schlägt einen grossen Bogen von den Puritanern im 16. Jahrhundert über Buffalo Bill und Walt Disney bis zu Donald Trump. Einen prominenten Platz nimmt dabei auch Oprah Winfrey ein. «Mehr als jeder andere Amerikaner ausserhalb von Religion und Politik ist Oprah Winfrey dafür verantwortlich, dem magischen Denken eine nationale Plattform und Glaubwürdigkeit zu geben», so Andersen.
Seit ihrer Dankesrede für einen Award, den sie an den Golden Globes für ihr Lebenswerk erhalten hat, gilt Oprah als neue Hoffnung der amerikanischen Progressiven. Kein Wunder: Sie ist eine Frau, schwarz, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hat ihren Reichtum nicht nur eigenhändig erarbeitet, sondern verteilt ihn auch grosszügig an Hilfswerke. Oprah liest viel, kann gut zuhören und hat Herz. Kurz, sie ist die perfekte Alternative zu Trump, dem vulgären, geizigen und narzisstischen Macho, der mit einem golden Löffel im Mund aufgewachsen ist.
Oder doch nicht? Eines nämlich verbindet Oprah und Trump: ihr Verhältnis zu Fakten und Wissenschaft. Beide halten wenig davon. Trump macht sich über die Klimaerwärmung lustig, weil es derzeit in den USA ziemlich kalt ist; und er ist stolz darauf, dass er seine Entscheide intuitiv und nicht rational fällt.
Oprah knüpft dort an, wo die Hippies in den Siebzigerjahren aufgehört haben, bei der New-Age-Bewegung. Die New Ager verstanden sich als eine empathische und mystische Alternative zur kalten und wissenschaftsgläubigen Welt der Nachkriegszeit. Inzwischen ist die ehemalige Protestbewegung im linksliberalen Mittelstand bestens verankert. «Die New-Age-Bewegung betrachtet sich selbst als anti-Establishment, obwohl sie längst zum Establishment gehört», so Andersen. New Age ist (...) ein Teil des Phantasie-Industriekomplexes und ein loser religiöser Glaube.»
Mit ihrer TV-Show hat Oprah das Gedankengut der New Ager mainstream-fähig gemacht. Andersen fasst dies wie folgt zusammen: «Sie (Oprah) war ein inklusiver Promotor von Phantasien – ausserirdischen, satanischen, medizinischen und grenzwertigen. (...) New Age im Stil von Oprah teilt mit den amerikanischen Christen eine spezielle Mixtur von Aberglauben, Egoismus und die Weigerung, an Zufälle zu glauben.»
Eine zentrale Rolle spielt Ms. Winfrey in der leidigen Auseinandersetzung über das Impfen. Aufgrund einer inzwischen mehrfach widerlegten Studie ist der Irrglaube weit verbreitet, Impfen würde Kleinkinder autistisch machen. Dies wiederum hat dazu geführt, dass Eltern begonnen haben sich zu weigern, ihre Kinder impfen zu lassen.
Die Anti-Impf-Bewegung ist inzwischen bei den rechten Fundamentalisten und den Evangelikalen weit verbreitet. Auch Trump hat im Wahlkampf damit geflirtet. Zum Durchbruch verholfen hat ihr jedoch Oprah, indem sie den Vertretern dieser These in ihren Sendungen breiten Raum gewährt hat. «Ms. Winfrey hat es dabei unterlassen zu erwähnen, dass die wichtigsten medizinischen Organisationen bestätigt haben, dass Impfungen sicher sind», stellt Julie Gunlock im «Wall Street Journal» fest.
«Viele Demokraten sind begeistert, dass Ms. Winfrey jetzt für das Präsidentenamt kandidieren könnte», so Gunlock. «Doch ihr vages Verhältnis zu Wahrheit ist genau das, was die Demokraten bei den Republikanern verachten.»
Mit Ronald Reagan wurde ein Schauspieler zum US-Präsidenten gewählt. Er hatte jedoch als Gouverneur von Kalifornien reichlich politische Erfahrung gesammelt. Mit Donald Trump wurde ein Reality-TV-Star und politischer Analphabet ins Weisse Haus gehievt, mit fatalen Folgen.
Auch Oprah Winfrey verfügt über keinerlei politisches Knowhow. In der «Financial Times» warnt deshalb Edward Luce: «Ms. Winfreys Aufstieg würde Amerikas Schicksal besiegeln als ein Land, das die Politik nicht mehr ernst nimmt. Sollte Berühmtheit mit Berühmtheit zu bekämpfen die Antwort auf Trump sein, dann ist die Idee eines Dienstes an der Öffentlichkeit tot. All ihren Tugenden zum Trotz ist Ms. Winfrey nicht besser auf die Machtausübung vorbereitet als Mr. Trump.»