Eigentlich wollte Wladimir Putin an seinen Erfolg von 2019 anknüpfen. Damals reisten 45 afrikanische Staats- und Regierungschefs in das südrussische Sotschi, um am ersten «Russland-Afrika-Gipfel» teilzunehmen. Die restlichen neun anerkannten Staaten des Kontinents schickten Vertreter. «Russlands Renaissance in Afrika» taufte der Kreml das Treffen.
Am Donnerstag begann nun die zweite Auflage. Wieder lud der russische Präsident Putin den gesamten Kontinent ein. Vergangene Woche verkündete die russische Regierung, dass 49 afrikanische Staaten ihre Teilnahme an dem zweitägigen Gipfel in St. Petersburg zugesagt hätten. Aber nur aus 17 Ländern reisten Staats- und Regierungschefs zum Kremlchef – ein Bruchteil der Teilnehmer von 2019.
Nicht die einzige Ernüchterung für Putin: Eigentlich hatte der Kreml einen viertägigen Gipfel geplant, doch dafür offenbar keine Unterstützer gefunden. Zudem erregte das Ende des Getreideabkommens mit der Ukraine Ärger unter den afrikanischen Staaten. Russland hatte Mitte Juli den Deal aufgekündigt, was zur Folge hatte, dass die Ukraine ihr Getreide über das Schwarze Meer nicht exportieren kann. Und viele afrikanische Staaten beziehen eben dieses Getreide. Experten fürchten, dass nun die Getreidepreise ansteigen – und sich der Hunger in ärmeren Staaten verschärft.
Putin bemühte sich daher um Schadensbegrenzung. Russland werde die Lieferungen ausgleichen und zudem zwischen 25'000 und 50'000 Tonnen Getreide kostenlos in bedürftige Staaten liefern. «Russland bleibt ein zuverlässiger Lieferant von Nahrung für Afrika», sagte Putin am ersten Gipfeltag und wies kategorisch die Vorwürfe des Westens als «heuchlerisch» zurück, Russland betreibe «Hungerspiele». Im Westen wurde das Treffen als «PR-Show» kritisiert, und als Versuch Putins, afrikanische Länder noch abhängiger zu machen von Russland.
Doch tatsächlich überzeugen konnte er nicht. Der Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki Mahamat, beklagte, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Lebensmittelkrise verstärke. «Afrika leidet darunter», sagte er laut russischer Übersetzung bei einem Treffen mit Putin.
Auch Azali Assoumani, Vorsitzender der AU und Präsident der Komoren, sagte, Afrika brauche das russische und das ukrainische Getreide. Das Leben vieler Menschen hänge von den Lieferungen ab. Er forderte sowohl Russland als auch die Ukraine auf, den Krieg zu beenden. Am Freitag schlossen sich auf Südafrika und Kongo dieser Forderung an. Ägypten drängte Russland offensiv, das Getreideabkommen wieder aufzunehmen.
So viel Unmut ist zumindest bemerkenswert. Denn viele afrikanische Regierungen verorten die Schuld am Ukraine-Krieg nicht eindeutig bei Russland. Als im März 2022 in der UN-Generalversammlung der Einmarsch in die Ukraine verurteilt wurde, waren unter den Enthaltungen besonders viele afrikanische Staaten. Doch auch die Staaten, die sich der Resolution damals anschlossen, halten sich ansonsten in dieser Frage neutral.
Das hat mehrere Gründe. Zum einen geniesst Russland in weiten Teilen Afrikas einen guten Ruf, der noch auf das Ende der Kolonialzeit zurückgeht. Denn Russland wird als der Nachfolgestaat der Sowjetunion angesehen, die damals die Unabhängigkeitsbestrebungen der europäischen Kolonien unterstützte, den Guerillakämpfern Waffen und Trainings stellte. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow bezeichnete es als logische Konsequenz, dass Afrika sich nun «ausgeglichen» verhalte.
Der Westen als Unterdrücker, die Sowjetunion als Unterstützer – das wirkt bis heute nach. Das zeigte sich auch bei dem Militärputsch in Niger: Demonstranten schwenkten die russische Flagge und Experten fürchten, dass Russland auch dort nun weiter an Einfluss gewinnen könnte.
Das Misstrauen gegenüber dem Westen in weiten Teilen Afrikas ist weiterhin gross. Zwar sind westliche Staaten die wichtigsten Handelspartner des Kontinents, auch wenn Staaten wie China immer einflussreicher werden. Zu einseitig aber wollen die Staaten ihre Beziehungen zum Westen nicht führen – aus Sorge vor einer zu grossen Abhängigkeit, die zu einer Verschärfung des ohnehin schon ungleichen Machtverhältnisses führen würde.
Das geht nicht nur afrikanischen Staaten so, auch in Südamerika ist diese Ansicht weit verbreitet. Russland also die Tür zuzuschlagen, würde die Abhängigkeit vom Westen vergrössern. Zwar spielt Russland wirtschaftlich auf dem Kontinent kaum eine Rolle, dafür aber militärisch. Das Land ist der grösste Waffenlieferant afrikanischer Staaten, Putin zufolge unterhält Russland mit 40 Staaten Militärabkommen. Auch russische Söldner, etwa der Gruppe Wagner, sind auf dem Kontinent aktiv.
Und Putin will diese Partnerschaften ausbauen: Die Staaten sollen ein breites Spektrum an Waffen und Technik erhalten, kündigte Putin am Freitag an – und das teils auch noch umsonst. «Ein Teil dieser Lieferungen läuft auf einer unentgeltlichen Grundlage mit dem Ziel einer Stärkung der Sicherheit und der Souveränität der Staaten», versprach er. Experten hingegen bezweifeln, dass das militärisch geschwächte Russland diese Versprechen halten kann.
Viele afrikanische Vertreter prangern ausserdem eine Doppelmoral des Westens an. Etwa als die EU Millionen ukrainische Geflüchtete aufnahm, gleichzeitig aber afrikanische Bürger in der Ukraine Probleme hatten, das Land zu verlassen.
Clayson Monyela, Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen im südafrikanischen Aussenministerium, klagte etwa kurz nach Kriegsausbruch Polen an. «Südafrikanische Studenten und andere Afrikaner wurden an der Grenze zwischen der Ukraine und Polen schlecht behandelt», schrieb er auf Twitter. Der Eindruck, dass Ukrainer mehr wert seien als Afrikaner, der wirkt bis heute nach.
SA students & other Africans have been badly treated at the #Ukrain/Poland border. 🇿🇦 Amb J Mngomezulu has driven from Warsaw (5 hours) to go deal with the matter, receive our nationals & offer further support. 🇿🇦 Amb G Tsengiwe in Hungary is also attending to SANs on his side.
— Clayson Monyela (@ClaysonMonyela) February 27, 2022
Russland konnte das gut nutzen. Auch auf dem afrikanischen Kontinent verbreitet sich russische Desinformation über soziale Medien – vor allem Botschaften gegen den Westen verfangen gut. Russland will seine «soft power» sogar noch weiter ausbauen: So sollen neue Konsulate und Botschaften eröffnen, und das Personal in bestehenden diplomatischen Vertretungen soll erweitert werden, kündigte Putin am Freitag an. Dafür gebe es viel freies Personal, weil aus dem Westen seit Kriegsbeginn rund 600 russische Vertreter abziehen mussten.
Darüber könnte nun eine Art Wettrennen um Afrika entstehen. Denn auch die Ukraine hat kürzlich angekündigt, zehn neue Botschaften auf dem Kontinent zu eröffnen. Ausserdem wird die Zusammenarbeit von Universitäten in der Ukraine und auf dem afrikanischen Kontinent ausgebaut.
Was aber ausser neuen Botschaften und einem Getreide- und Waffenversprechen kann Russland den afrikanischen Staaten nun auf diesem Gipfel anbieten? Nicht viel, sind sich Beobachter einig. Denn das wichtigste Anliegen für die Staaten Afrikas ist derzeit, dass der Krieg endet. Selbst wenn nur einige Staaten wie Ägypten besonders viel Getreide aus der Ukraine beziehen – unter den Preisanstiegen leidet der Grossteil der Länder.
Zu diesem Zweck brachten die Vertreter einen Friedensplan mit nach St. Petersburg. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa äusserte die Hoffnung, dass «konstruktives Engagement und Verhandlungen» zu einem Ende des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine führen könnten. Er und seine afrikanischen Kollegen freuten sich darauf, mit Putin über ihre Vorschläge zu diskutieren.
Putin kündigte zwar an, den Vorschlag im Laufe des Freitags besprechen zu wollen. Dass dieser Vorstoss aber Erfolg hat, ist unwahrscheinlich. Bereits zuvor war Ramaphosa mit einem Friedensplan im Gepäck nach Moskau gereist, ohne ein Ergebnis zu erzielen. Das Bild Russlands dürfte daher weiter leiden.
Was sein Wort Wert ist, sollten sie mittlerweile auch in Afrika gemerkt haben.
Auch muss ihnen klar sein, dass Putin seine Interessen verfolgt und nicht der Heilsbringer ist, als den er sich präsentiert.