Gewisse Parallelen mit der Absetzung Joe Bidens als erneutem Präsidentschaftskandidat für die Demokraten in den USA lassen sich nicht verleugnen. Wir erinnern uns: Biden wollte nochmals antreten, doch nach einem desaströsen Auftritt in der TV-Debatte gegen Donald Trump im Juni wurden die Zweifel am 81-Jährigen nochmals deutlich stärker, als sie es ohnehin schon waren.
Obwohl ihm unmittelbar danach führende Politiker der Demokraten öffentlich den Rücken stärkten, fielen ihm – die meisten im Hintergrund – in den darauffolgenden Tagen mehr und mehr in ebenjenen. Schliesslich gab Biden dem innerparteilichen Druck nach, zog sich von seiner erneuten Kandidatenposition zurück und machte den Weg frei für Kamala Harris als demokratische Präsidentschaftsanwärterin.
Was für Biden die TV-Debatte war, könnte für Olaf Scholz das Aus «seiner» Ampel-Regierung sein. Der deutsche Kanzler machte wie die meisten anderen Involvierten keine gute Figur beim krachenden Aus der Koalition.
Nun stehen in Deutschland im kommenden Februar Neuwahlen an. Und obwohl Scholz' Reputation nach den Querelen der vergangenen Wochen mehr als nur angekratzt ist, will der 66-Jährige erneut als Kanzlerkandidat für die SPD ins Rennen gehen. Wie bei Joe Biden erhält er für dieses Vorhaben vordergründig zunächst grossmehrheitlich Rückendeckung aus seiner Partei. Die Co-Chefin der Partei, Saskia Esken, bestätigte am Montag erneut:
Auch andere SPD-Aushängeschilder, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach, stellen sich hinter Scholz, wie er jüngst bekräftigte.
Doch gleichzeitig formiert sich auch Widerstand bei den Sozialdemokraten. Zwei einflussreiche Abgeordnete äussern sich jetzt öffentlich, ziehen Scholz' Kandidatur zumindest indirekt in Zweifel und distanzieren sich von ihm. Wiebke Esdar und Dirk Wiese sind die Vorsitzenden der NRW-Landesgruppe, die mit Abstand grösste in der SPD-Bundestagsfraktion. Der Spiegel zitiert aus einem dem Nachrichtenmagazin vorliegenden Text, den die beiden Spitzen-SPDler verfassten:
Sie nähmen wahr, so Esdar und Wiese weiter, dass es in der SPD, «aber auch darüber hinaus» eine Debatte über die beste Aufstellung der Partei für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 gebe. Über Scholz schreiben die beiden:
Das klingt mehr nach «Olaf Scholz' Zeit ist vorüber» als «wir wollen es nochmals mit ihm versuchen». Zudem nennen die beiden unverblümt die Alternative zu Scholz. Auf die angesprochene Debatte, die sie wahrnähmen, bezogen, schreiben Esdar und Wiese:
Pistorius hielt sich bei den Turbulenzen während des Ampel-Zusammenbruchs im Hintergrund, zudem wird sein Leistungsausweis als Verteidigungsminister über die Parteigrenzen hinaus als ordentlich angesehen. Eine Besonderheit für einen Beteiligten der ungeliebten Ampel. Eine kürzlich publizierte Umfrage zeigte zudem, dass Pistorius Deutschlands beliebtester Politiker ist.
Was sagt Pistorius selbst zur Situation? Er äussert sich zurückhaltend und lobt Olaf Scholz, der zurzeit am G20-Gipfel in Rio de Janeiro weilt. Dieser habe «einen richtig guten Job» gemacht, so Pistorius bei einer Medienveranstaltung in Bayern.
Doch den Spekulationen einen Riegel schieben will Pistorius offensichtlich nicht. Bei der Veranstaltung sagte er auch:
Angesichts des sich formierenden Widerstands gegen eine neue Scholz-Kandidatur benutzt die «Bild»-Zeitung bereits den in Deutschland historisch besonders bedeutsamen Begriff des «Dolchstosses».
Von einem solchen zu sprechen, scheint noch ein wenig früh: Abgesetzt wurde Olaf Scholz (noch) nicht. Für viele scheint aber klar: Mit Scholz als Kandidaten hat die SPD keine Chance, das Kanzleramt erneut zu erobern – eine weitere Parallele zur Situation mit Joe Biden in den USA im Sommer.
Biden hat sich schliesslich unter grossem Druck und spät zurückgezogen – was unter anderem als einer der Gründe gilt, weshalb Alternativkandidatin Kamala Harris gegen Donald Trump chancenlos blieb. Es dürfte auch deshalb für die deutsche SPD Sinn ergeben, sich demnächst festzulegen.