Beinahe hätten die ersten 100 Tage von Donald Trumps Präsidentschaft mit einem Knall geendet. Am Samstag wäre der US-Regierung das Geld ausgegangen. Der Government Shutdown aber wurde abgewendet, auch weil Trump vom Kongress vorerst kein Geld für die Mauer an der Südgrenze fordern will. Man erinnert sich: Eigentlich wollte er Mexiko dafür zur Kasse bitten.
Eine bessere Pointe gibt es kaum, um die ominösen ersten 100 Tage des Donald J. Trump im Weissen Haus auf den Punkt zu bringen. Sie waren geprägt von Chaos, hektischem Aktionismus und wenig Substanz. Der 70-jährige Präsident hat heisse Luft abgesondert, deftige Pleiten kassiert und Kehrtwenden absolviert, nicht nur beim Mauerbau, seinem grossen Wahlversprechen.
No matter how much I accomplish during the ridiculous standard of the first 100 days, & it has been a lot (including S.C.), media will kill!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) April 21, 2017
Auf seinem Lieblingsmedium Twitter hat Trump versucht, die traditionelle 100-Tage-Bilanz lächerlich zu machen. Wichtig ist sie für den so geltungssüchtigen wie überempfindlichen New Yorker allemal. Bekanntlich hat er in Sachen Wahlmännerstimmen den deutlichsten Sieg seit Ronald Reagan errungen und bei seiner Vereidigung mehr Zuschauer gehabt als je ein Präsident vor ihm.
Beides ist Bullshit. Oder Fake News. Oder alternative Fakten. Whatever.
«Trump verachtet Wahrheit und liberale Werte so offensichtlich, dass er das Land untergräbt, dem zu dienen er gewählt wurde, und die Stabilität, die er sichern sollte», schreibt David Remnick, Chefredaktor des «New Yorker», in seiner vernichtenden 100-Tage-Bilanz.
Für den erklärten Bauchmenschen Trump gibt es nur eine Wahrheit. Es ist jene, die er für sich selber konstruiert. Folglich lautet sein eigenes Fazit zu den ersten 100 Tagen, er habe «das Richtige getan». Historiker und Washingtoner Politik-Veteranen sehen dies etwas anders. Kaum ein Präsident der jüngeren Geschichte hat so wenig bewirkt.
Ist ihm überhaupt etwas gelungen? Der Senat hat Neil Gorsuch durchgewinkt, seinen erzkonservativen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, unter sehr diskutablen Umständen. Er hat einige Umweltvorschriften der Regierung Obama gestrichen, um die Jobs der Kohlearbeiter zu retten. Dabei bedrohen nicht staatliche Auflagen die Kohle, sondern günstiges Erdgas und saubere Solar- und Windenergie.
Wie ein Berserker hat Donald Trump in seinen ersten Amtstagen ein Dekret nach dem anderen abgefeuert und damit bei seinen Anhängern mächtig Eindruck geschunden. Dabei handelte es sich überwiegend um Showpolitik in Form von Absichtserklärungen. Einen der wenigen konkreten Erlasse, den Einreisestopp für Bürger aus sechs muslimischen Ländern, haben die Gerichte kassiert, gleich zweimal.
Seine schlimmste Niederlage erlitt Trump im Kongress. Der überhastete Versuch, die verhasste Obamacare-Reform wie im Wahlkampf versprochen zu beseitigen, scheiterte kläglich, trotz republikanischer Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Widerstand leisteten insbesondere die rechten Hardliner, die die staatliche Krankenversicherung ganz abschaffen wollten, ohne Rücksicht auf Verluste.
Trumps erste 100 Tage seien «die schlechtesten und erfolglosesten, seit dieses Konzept 1933 etabliert wurde», bilanzierte der Autor Jonathan Alter auf NBC News. Seine Umfragewerte verhalten sich entsprechend. Nie wurde ein Präsident zu diesem Zeitpunkt so negativ beurteilt. Nur etwa 40 Prozent der Amerikaner sind mit Trump und seiner Politik einverstanden.
Trump sei «unseriös, unfokussiert und zeitweise verwirrt», schreibt David Remnick. Unter ihm sei das Weisse Haus löchrig wie ein Sieb, die Medien würden mit Informationen geflutet. «Statt Disziplin zu fordern, setzt sich Trump hin und betrachtet die Resultate im Fernsehen.» Auf Fox News, um genau zu sein. Und während er sich mit Superreichen umgebe, sei bis heute nicht klar, wie er die Lage des Mittelstands verbessern wolle, so der Chef des «New Yorker».
Wenn es in der Innenpolitik nicht läuft, versuchen Politiker häufig, sich gegen aussen zu profilieren. Trump scheint da keine Ausnahme zu bilden. Im Wahlkampf gebärdete er sich als Isolationist. Nach dem Motto «America First» sollten die USA nur in auswärtige Konflikte eingreifen, wenn die eigenen Interessen auf dem Spiel stehen. Weshalb viele Neokonservative ihn ablehnten.
Nun hat Trump einen mutmasslichen Giftgas-Angriff des Assad-Regimes mit Marschflugkörpern auf einen syrischen Militärflugplatz beantwortet. Auf die Kraftmeiereien des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un reagierte er mit der Entsendung eines Flugzeugträgers und eines Atom-U-Boots. Das Verhältnis mit Russland kühlte sich ab, dafür herrscht Tauwetter mit China.
Heute wirkt Trump wie ein klassischer republikanischer Interventionist. Die Linie geben die «Realpolitiker» vor, etwa sein Schwiegersohn Jared Kushner, der als eine Art Schatten-Aussenminister agiert, oder die Ex-Generäle James Mattis und Herbert R. McMaster. Steve Bannon, sein ultranationalistischer Chefstratege, scheint in Ungnade gefallen zu sein.
Aber was weiss man schon? Über Donald Trump lässt sich nur eines mit Sicherheit sagen: Er ist sprunghaft und unberechenbar. Er will um jeden Preis als starker und entschlossener Leader erscheinen und sich so von seinem Vorgänger Barack Obama abgrenzen, dem er gleichzeitig nacheifert. Das in Florida entstandene Foto zum Syrien-Angriff spricht für sich.
Im Wahlkampf versprach er unter dem Jubel seiner Fangemeinde, den Washingtoner «Sumpf» trockenzulegen. Nun sieht es so aus, als ob er sich «mit den Alligatoren anfreunden würde», wie der Kongressabgeordnete Thomas Massie gegenüber der ARD schimpfte.
Vielleicht beruht alles auf einem Missverständnis: Donald Trump ist kein Ideologe. Sein Weltbild ist volatil, mal neigte er nach links, dann nach rechts. Der 1946 geborene Präsident ist ein Babyboomer. Er wuchs auf mit dem beispiellosen Aufschwung der Nachkriegszeit, die Amerikas Industriearbeiter vom Lumpenproletariat in den Mittelstand beförderte.
Dieses goldene Zeitalter ist seit langem vorbei, was für viele einem gefühlten Niedergang gleichkommt. Trump hat dies oft beklagt, sein Motto lautet nicht umsonst «Make America great again». Damit traf er einen Nerv bei vielen weissen Mittelständlern. Sie halfen ihm als Aussenseiter die Republikanische Partei in Freibeutermanier zu kapern und das Weisse Haus zu erobern.
Trump selber ist kein Aufsteiger, er wurde mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Sein grösstes Asset ist sein – zweifelhafter – Ruf als erfolgreicher Businessman. Als ich im letzten Herbst die USA bereiste, hörte ich mehrfach, das Land brauche einen Wirtschaftsführer an der Spitze. Doch die Kunst des politischen Deals unterscheidet sich erheblich von jener des geschäftlichen.
Es ist keine neue Erkenntnis. Trump erfährt sie nun auf die harte Tour.
Wird er nun ein «normaler» Präsident? Auch in diesem Fall gilt: Man weiss es nicht. Auf die ersten 100 Tage werden noch mehr als 1300 bis zum Ende seiner ersten Amtszeit folgen. Sofern er sie überhaupt beendet. Wie eine dunkle Wolke hängt der Verdacht über Trump, dass Mitglieder seines Wahlkampfteams den Russen geholfen haben, die Präsidentschaftswahl zu manipulieren.
Das FBI und der Kongress ermitteln. Sein Sicherheitsberater Michael Flynn musste nach nur 24 Tagen zurücktreten – er hatte Telefonate mit dem russischen Botschafter verschwiegen. Der Vergleich mit dem Watergate-Skandal ist für einmal berechtigt. Mitarbeiter von Präsident Richard Nixon hatten damals dessen potenziell gefährlichsten demokratischen Rivalen bei der Wiederwahl 1972 mit einer Schmutzkampagne bekämpft, unter dem vielsagenden Namen Ratfucking.
Nixon entzog sich der fast sicheren Amtsenthebung 1974 durch Rücktritt. Wird es Trump ähnlich ergehen? Ein Impeachment bleibt vorerst wenig wahrscheinlich, so lange die Republikaner beide Kammern im Kongress kontrollieren, insbesondere den Senat. Aber die Russland-Connection könnte dem Präsidenten schwer zu schaffen machen. Denn es besteht auch der üble Verdacht, dass er von den Russen erpresst wird, etwa mit dem berüchtigten Golden-Shower-Video.
Vielleicht kann Trump bis 2021 regieren. Aber seine Wiederwahl dürfte schwierig werden. Sein Sieg im letzten November war hauchdünn, und das nicht nur weil er fast drei Millionen Stimmen weniger geholt hat als seine Widersacherin Hillary Clinton. Gewonnen hat er dank den drei Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, die lange demokratisch gewählt hatten.
In allen drei Fällen stand sein Sieg auf Messers Schneide. In Pennsylvania hatte er 44'000 Stimmen Vorsprung auf Clinton, in Wisconsin 23'000 und in Michigan nur knapp 11'000. Das ist so gut wie nichts und könnte schnell wieder kippen, wenn Trump seine Wählerschaft enttäuscht. Dafür muss er die gut bezahlten Jobs zurückholen, und das ist leichter gesagt als getan.
Noch hat ein grosser Teil seiner Fans Geduld mit Donald Trump. Aber wie lange noch? Deshalb sollte man auch Steve Bannon nicht abschreiben. Dessen Alt-Right-Fangemeinde hat Trump zum Sieg verholfen. Er könnte ihre Stimmen noch benötigen. Die Gefahr aber besteht, dass dann die Mitte wegbricht.
Es wird unruhig bleiben im Weissen Haus. Und die Welt hält den Atem an.