Die deutschen Christdemokraten sind einen langen Weg gegangen: Von Angela Merkels «Willkommenskultur» zu CDU-Chefs Friedrich Merz’ Forderung, Migrantinnen und Migranten an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Und zwar pauschal, egal, ob sie ein Asyl-Gesuch stellen oder nicht. Statt «Wir schaffen das» heisst es jetzt frei nach Merz: «Du kommst hier nicht rein».
Dass Deutschland mit einer solchen Massnahme europäisches Recht brechen würde, liegt auf der Hand: Während Personen ohne gültigen Aufenthaltstitel tatsächlich an den nationalen Grenzen abgewiesen werden können, läuft es anders, sobald jemand nach Asyl fragt.
Es muss dann über die sogenannte «Eurodac»-Datenbank abgeklärt werden, ob die Person bereits in einem anderen EU-Staat registriert ist. Ist das der Fall, kann ein Gesuch zur Rückübernahme im Rahmen des Dublin-Abkommens gestellt werden. Ist die Person nicht registriert, muss Deutschland selbst das Asylverfahren durchführen. So steht es im gemeinsamen europäischen Asylrecht.
Aber Friedrich Merz ist das egal. Seine Argumentation: Wieso sollen wir uns ans europäische Recht halten, wenn es die anderen auch nicht tun?
Tatsächlich ist das Dublin-System seit Jahren dysfunktional. Italien zum Beispiel nimmt von Deutschland (und auch aus der Schweiz) seit Monaten keine Asylsuchenden mehr zurück. Und wer nach Deutschland auf dem Landweg einreist, hat notgedrungen mindestens ein sicheres EU-Land durchquert. Folglich hat er in den Augen Friedrich Merz’ damit seinen Asylgrund verloren.
Die grundsätzliche Frage, ob man sich nicht mehr an gemeinsame Regeln halten soll, nur weil es andere nicht tun, ist das eine.
Das andere ist: Deutschland hat in Europa die Vorreiterrolle und eine solche Brachial-Massnahme, wie sie Merz sie will, hätte eine potenziell explosive Wirkung. Nicht nur haben die EU-Länder in mühseliger Kleinstarbeit jüngst eine Reform des gemeinsamen Asylsystems gezimmert, die im Wesentlichen eine Verschärfung ist. Mit einem deutschen Alleingang könnte nun alles wieder über den Haufen geworfen werden.
Zudem muss man auch bedenken: Es geht nicht nur um offene Grenzen. Sondern um die ganz konkrete, tagtägliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Polizisten aus Deutschland machen mit ihren polnischen, österreichischen, aber auch schweizerischen Kollegen jeden Tag gemeinsame Kontrollen, unterhalten zum Teil sogar gemeinsame Polizeiposten.
Gibt es auf der einen Seite der Grenze ein Problem, ist man darauf angewiesen, dass auf der anderen Seite wohlwollende Ansprechpartner das Telefon abnehmen. Diese Zusammenarbeit funktioniert und ist bei der Bekämpfung der irregulären Migration von grossem Nutzen. Höchstwahrscheinlich sogar von grösserem Nutzen als stationäre Grenzkontrollen.
Doch damit es funktioniert, braucht es Vertrauen. Würde Deutschland nun einseitig entscheiden, das europäische Recht offen zu brechen, wäre dieses Vertrauen dahin. Bereits vorsorglich hat Österreichs Innenminister seine Polizeibeamten angewiesen, keinen abgewiesenen Migranten aus Deutschland zurückzunehmen. Und auch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nennt die faktischen Grenzschliessungs-Pläne «inakzeptabel».
Aber das alles muss Friedrich Merz nicht kümmern. Nicht er, sondern Olaf Scholz ist der Bundeskanzler. Doch Merz möchte Scholz im nächsten Jahr beerben und tut deshalb alles, um den Kanzler in die grösstmögliche Bredouille zu bringen. Ob die Massnahmen rechtlich oder praktisch umsetzbar wären, ist zweitrangig. Merz wettet darauf, dass die durch terroristische Attentate und von Integrationsproblemen aufgebrachten Wählerinnen und Wähler seine «Geht nicht, gibt’s nicht!»-Rhetorik belohnen.
Aus 2015 haben wir gelernt: Es kommt selten gut, wenn Deutschland in den Alleingang schaltet. Dränge Merz mit seinen Pauschal-Abweisungen jetzt wirklich durch, riskiert Berlin, den funktionierenden Rest von Schengen-Europa in die Luft zu jagen.
In der Sache geht der Autor total fehl.Die "Zurückweisung" ist überhaupt nur notwendig,weil andere Länder direkt "durchleiten"+sich nicht an EU Recht halten.Vertrauen geht eben genau dann verloren.Das Grundproblem ist doch,dass man sich in EU nur auf einen Mindestkonsens+einen Formelkompromiss geeinigt hat.Es braucht ein EU-Asylrecht,dass diesen Namen verdient+von allem mitgetragen wird.Dazu gehört die Festsetzung von Asylbewerbern,die EU Land betreten,bis über Asyl entschieden ist!
Es sind ihre Kollegen und Sie die uns glauben lassen wollen Merz stehe kurz vor der Kanzlerschaft. Der muss erst mal Spitzenkanditat werden und ob man den wählt bezweifle ich.