Er ist ein krankhafter Lügner und hat das Land entzweit. Sein Leistungsausweis ist bescheiden. Er hat einen Sonderermittler im Nacken. Doch nun bietet sich Donald Trump eine einmalige Chance. Er kann zum einflussreichsten Präsidenten der jüngeren Geschichte werden und die politische Richtung der USA auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinaus prägen.
Ermöglicht wird ihm dies durch den Rücktritt von Anthony Kennedy aus dem Obersten Gerichtshof. Das neunköpfige Gremium hat in politischen Fragen häufig das letzte Wort. Dank seinen Urteilen wurde die Gesundheitsreform Obamacare bestätigt und die Homo-Ehe legalisiert, zuletzt aber auch Trumps Einreisesperre für Bürger mehrerer muslimischer Länder aufrechterhalten.
Die Besetzung des Supreme Court ist deshalb eine hoch politische Angelegenheit. Bei einer Vakanz schlägt der Präsident eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger vor, der vom Senat bestätigt werden muss und auf Lebenszeit gewählt wird. Derzeit besteht der Gerichtshof aus je vier rechten und linken Richtern. Anthony Kennedy spielte das Zünglein an der Waage.
Der gebürtige Kalifornier, der 1988 von Präsident Ronald Reagan nominiert worden war, ist ein konservativer Republikaner. Dank seiner Stimme wurde die Nachzählung in Florida bei der Präsidentschaftswahl 2000 beendet und George W. Bush zum Sieger erklärt. Kennedy gab auch den Ausschlag beim Urteil, das praktisch alle Schranken bei der Wahlkampffinanzierung niederriss.
Auf der anderen Seite stimmte er in gesellschaftspolitischen Fragen häufig mit den linken Richtern. Er ermöglichte es, dass praktisch alle Angriffe auf das Abtreibungsrecht abgewehrt wurden. Auch bei den LGBT-Rechten erwies er sich als progressiv. Kennedys Stimme sorgte dafür, dass in den USA keine Menschen mehr hingerichtet werden, die zur Tatzeit unter 18 Jahre alt waren.
Der Rücktritt des 81-Jährigen erzeugte deshalb Alarmstimmung bei den Demokraten. «Wir müssen alles tun, um eine Wende des Gerichts gegen die Arbeiter-, Frauen-, LGBT- und Bürgerrechte zu verhindern», hielt Senator Chris Murphy aus Connecticut in einer Mitteilung fest. Einige fragen sich, warum Anthony Kennedy ausgerechnet jetzt seinen Posten verlässt.
Bei den Kongresswahlen im November könnten die Demokraten den Senat erobern, in dem die Republikaner nur eine knappe 51:49-Mehrheit haben. Das Zeitfenster, um den Obersten Gerichtshof auf Rechtskurs zu trimmen, könnte sich folglich bald schliessen. Präsident Trump kündigte am Mittwoch an, er werde die Kennedy-Nachfolge rasch regeln.
Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, erklärte seinerseits, man werde «über die Bestätigung von Richter Kennedys Nachfolger in diesem Herbst abstimmen». Bei den Demokraten sorgte er damit für Wut und Empörung. Der gleiche McConnell hatte 2016 die Bestätigung des von Präsident Barack Obama nominierten Richters Merrick Garland regelrecht sabotiert.
Während eines Jahres gewährte McConnell Garland nicht einmal eine Anhörung. Kaum war Donald Trump im Amt, nominierte er den erzkonservativen Neil Gorsuch, der vom Senat prompt abgesegnet wurde. Die Demokraten forderten McConnell am Mittwoch auf, seinem eigenen Beispiel zu folgen und die Regelung der Nachfolge bis nach den Kongresswahlen zu vertagen.
«Mitch McConnell sollte die Mitch-McConnell-Regel anwenden», twitterte Senatorin Elizabeth Warren ironisch. In Tat und Wahrheit sind sie weitgehend machtlos. Die Republikaner haben den Filibuster, also die Möglichkeit, Vorlagen zu verschleppen, bei Richterwahlen abgeschafft. Die einzige Hoffnung der Demokraten sind die knappen Mehrheitsverhältnisse im Senat.
Falls der todkranke Senator John McCain ausfällt, haben die Republikaner nur 50 Stimmen. Die Demokraten haben die Senatorinnen Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska im Visier, die beide das Recht auf Abtreibung befürworten. Allerdings müssen sich mehrere Demokraten im November in republikanisch dominierten Bundesstaaten zur Wiederwahl stellen.
Bei der amerikanischen Rechten jedenfalls frohlockt man. Sie hatte bei der Besetzung des Obersten Gerichtshofs wiederholt Enttäuschungen erlebt und wittert nun ihre Chance, das Land in ihre Richtung zu lenken. Besonders entzückt sind die Evangelikalen. Sie hatten den alles andere als frommen Trump bei der Wahl 2016 gerade deshalb unterstützt, damit er das Oberste Gericht auf Linie bringt. Im Klartext heisst das: Das verhasste Abtreibungsrecht soll fallen.
Für Bob Vander Plaats, den Leiter der christlichen Organisation The Family Leader, ist Kennedys Rücktritt «die Antwort auf Gebete», wie er dem Sender Fox News sagte. Also ein Geschenk des Himmels. «Wir haben die Möglichkeit, Roe vs. Wade zu erledigen», sagte Vander Plaats. Gemeint ist das Urteil, das den Schwangerschaftsabbruch in den USA legalisiert hatte.
Ob es dazu kommen wird, ist unklar. Rechtsexperten in den USA erwarten keine vollständige Abschaffung, aber wesentliche Einschränkungen, bis zu einem Totalverbot in konservativ regierten Bundesstaaten. Auch in anderen Bereichen drohen Rückschritte. So könnte ein von rechts dominierter Supreme Court Wahlgesetze absegnen, die Minderheiten benachteiligen.
Die Demokraten hoffen, dass ihnen solche Horrorvisionen bei den Kongresswahlen helfen und neben der bereits aufgeputschten Basis zusätzliche Stimmen etwa von Frauen aus der Mitte bescheren werden. Doch auch die Republikaner wittern Morgenluft. «Nichts motiviert unsere Basis so sehr wie der Oberste Gerichtshof», sagte ein Aktivist der «Washington Post».
Bei den Zwischenwahlen in den USA ist die Beteiligung in der Regel tief. Dieses Jahr dürfte es anders sein, sie könnten zu einer Schicksalswahl werden. Ein heisser Herbst ist programmiert. Doch selbst ein Erfolg der Demokraten wird kaum verhindern, dass Donald Trump auf Jahre hinaus ein toxisches Erbe hinterlassen kann.