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Die neuen Rechten: Neue Konservative – oder gefährlich wie noch nie?

Brothers of Italy's Giorgia Meloni attends the center-right coalition closing rally in Rome Thursday, Sep. 22, 2022. This was the year war returned to Europe, and few facets of life were left unt ...
Ikone der neuen Rechten: Giorgia Meloni, Regierungschefin von Italien.Bild: keystone
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Die neuen Rechten: Neue Konservative – oder gefährlich wie noch nie?

Reichsbürger in Deutschland. Neo-Faschisten an der Macht in Italien. Was braut sich da zusammen? Zur Gefahr der Rechtsextremen gibt es zwei komplett gegensätzliche Einschätzungen.
15.12.2022, 09:5215.12.2022, 11:14
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Ist Giorgia Meloni ein «Wolf im Schafspelz»? Ist der Aufstieg von Marine Le Pen das Resultat ihrer Mässigung? Haben die Schwedendemokraten ihre faschistische Vergangenheit überwunden? Und werden die amerikanischen Republikaner zur wahren Gefahr für die Demokratie? Das Phänomen der Rechtspopulisten wird sehr unterschiedlich beurteilt. Hier die beiden gegensätzlichen Thesen:

Die Moderne-Konservative-These

Die Verkörperung dieser These ist derzeit Giorgia Meloni, die neue Regierungschefin von Italien. Sie hat einen klaren Wahlsieg eingefahren und ist neu die starke Frau in Rom. Ihre Partei, die Fratelli d’Italia, hat ihre Wurzeln im Faschismus und sie selbst hatte einst Benito Mussolini als wahren Patrioten gepriesen. Die Angst, dass Italien gemäss dem Vorbild von Ungarn zunächst in einen autoritären Staat und danach gar wieder in den Faschismus abgleitet, scheint daher mehr als berechtigt.

Bisher ist jedoch davon nichts zu spüren. Meloni verurteilt heute den Faschismus und bezeichnet sich als «moderne Konservative». Sie gibt sich gemässigt und hält die beiden Super-Machos Silvio Berlusconi und Matteo Salvini auf Distanz. Sie verurteilt Putins Überfall auf die Ukraine, macht bei den Sanktionen mit und bekennt sich zur EU und zum Euro.

epa10363236 Italian Prime Minister Giorgia Meloni looks on during a session of the Lower House of parliament in Rome, Italy, 13 December 2022. Meloni reported to the Lower House before this week' ...
Premierministerin Giorgia Meloni im Parlament.Bild: keystone

Dazu hat sie gute Gründe. Meloni weiss nur zu gut, wie sehr Italien auf die mehr als 200 Milliarden Euro angewiesen ist, welche dem Land aus dem europäischen Aufbauplan zustehen, und sie konnte soeben in Echtzeit zuschauen, wie Ungarn dieses Geld verweigert wird, weil der Autokrat Viktor Orban die von der EU verlangten Reformen nicht durchführen will. Zudem dürfte sie sich noch daran erinnern, dass Berlusconi seinerzeit zurücktreten musste, weil die Europäische Zentralbank keine italienischen Staatsanleihen mehr aufkaufte und deshalb der Zins für diese Papiere explodierte.

Trotzdem gibt es berechtigte Zweifel daran, dass Meloni ihre Nummer mit der «modernen Konservativen» auch ernst meint. «Ist die Krise einmal vorüber, kann man dann zum gröberen Geschütz greifen: forscheres Auftreten auf der europäischen Bühne, Priorisierung der vermeintlich nationalen Interessen, Anziehen der Schrauben in der Innenpolitik, Übergang zu Law and Order und gesellschaftliche Härte, staatlicher Interventionismus in der Wirtschaft», befürchtet Luzi Bernet in der NZZ.

Als moderne Konservative sieht sich auch Marine Le Pen in Frankreich. Sie hat nicht nur ihren faschistischen Vater aus der Partei gemobbt, sie hat auch den ehemaligen Front National in Rassemblement National umgetauft und verzichtet nun ebenfalls darauf, die EU infrage zu stellen. Ihre Partei wird nicht mehr von alten Faschisten und Holocaustleugnern dominiert, sondern von smarten jungen Technokraten. Sie selbst gibt sich als fürsorgliche Katzenmutter. Das hat sich ausgezahlt. Le Pen hat bei den Wahlen im vergangenen Frühling 41 Prozent der Stimmen erhalten.

epa10287613 Marine Le Pen, ex-president of France's far right Rassemblement National (RN) party, addresses the 18th RN party Congress in Paris, France, 05 November 2022. The congress chose Eurode ...
Erfolg dank Mässigung: Marine Le Pen.Bild: keystone

Die Schwedendemokraten verdanken ihren jüngsten Wahlerfolg ebenfalls dem Umstand, dass sie ihre faschistischen Wurzeln nun möglichst nicht mehr erwähnen. Die Politologin Sheri Berman stellt deshalb im Magazin «Foreign Affairs» fest: «Die Entwicklung der Fratelli d’Italia und der Schwedendemokraten ist Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Wie viele andere rechts gerichtete Parteien in Westeuropa haben sie zwar ihre Wurzeln im Extremismus, aber sie haben erkannt, dass sie nur dann Stimmen gewinnen können, wenn sie sich von diesen Wurzeln entfernen und sich den demokratischen Normen anpassen.»

Aber stimmt dies wirklich?

Die Neue-Extremisten-These

Die Verhaftung von rund 20 Reichsbürgern in Deutschland hat die Welt schockiert. Die Mitglieder dieser Organisation wollten offenbar das deutsche Parlament gewaltsam stürmen und einen greisen Adligen als eine Art Wiedergeburt des Kaisers einsetzen. Das mag lächerlich tönen und konservative Medien wie die NZZ oder die «Weltwoche» sehen denn darin auch nicht mehr als ein Schmierentheater von ein paar verwirrten Dummköpfen.

Andere hingegen nehmen die Reichsbürger sehr ernst. Die «Financial Times» etwa weist darauf hin, dass es mehr als 20’000 Reichsbürger in Deutschland gibt und dass die Bewegung keineswegs aus ungebildeten Proleten besteht, sondern aus Mitgliedern des gutbürgerlichen Mittelstands. Sie zitiert den Soziologieprofessor Andreas Zick wie folgt: «Die Covid-Proteste haben Rechtspopulisten, Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker mit dem Mittelstand zusammengeführt. Was sie verbindet, ist die Ideologie von Freiheit und Widerstand.»

07.12.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Bei einer Razzia gegen sogenannte «Reichsbürger» führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeif ...
Verhaftet: der Möchte-gern-Kaiser Heinrich XIII. Prinz Reuss.Bild: DPA

Verschiedene Terrorismus-Experten bezeichnen die Reichsbürger gar als grössere Gefahr für die Gesellschaft als seinerzeit die linksextreme Baader-Meinhof-Bande.

Noch gefährlicher ist die Lage in Brasilien. Dort hat der abgewählte Präsident Jair Bolsonaro seine Niederlage immer noch nicht eingestanden. Seine faschistoiden Anhänger protestieren nach wie vor in verschiedenen Städten, und es ist keineswegs gesichert, dass es zu Beginn des neuen Jahres zu einer friedlichen Machtübergabe an den rechtmässig gewählten Präsidenten Lula kommen wird.

Die Vorlage für Reichsbürger und Bolsonaro stammt aus den USA. Dort hat Donald Trump zwar bei den Zwischenwahlen eine herbe Niederlage erlitten. Doch gerade deswegen verliert er auch seine letzten Hemmungen und verbündet sich mit der äussersten Rechten. Trump hat den antisemitischen Rapper Kanye West und seinen faschistischen Kumpel Nick Fuentes zum Essen empfangen. Er lässt bei seinen Rallyes neuerdings die Hymne von QAnon abspielen, und er bezeichnet die Kapitolstürmer als «Patrioten».

FILE - Former President Donald Trump announces he is running for president for the third time as he pauses while speaking at Mar-a-Lago in Palm Beach, Fla., Nov. 15, 2022. Lawyers for Donald Trump wer ...
Angezählt: Donald Trump.Bild: keystone

Trump erhält nach wie vor Unterstützung aus seiner Partei. So hat «Talking Point Memo», ein Polit-Blog, soeben enthüllt, dass mehr als 30 republikanische Abgeordnete vor dem 6. Januar 2021 Trumps Stabschef Mark Meadows aufgefordert haben, notfalls das Kriegsrecht auszurufen, um Präsident Biden zu verhindern. Die meisten von ihnen sind wiedergewählt worden. Marjorie Taylor Greene, die umstrittene Abgeordnete aus Georgia, hat derweil offen erklärt, wäre sie zuständig für den Sturm auf das Kapitol gewesen, dann wären Waffen zum Einsatz gekommen.

Die modernen Konservativen mögen in Italien und Frankreich auf dem Vormarsch sein. In den USA jedoch radikalisiert sich die republikanische Partei fast täglich. Trotz der enttäuschenden Resultate der Zwischenwahlen – oder gerade deswegen – besteht nach wie vor die Gefahr, dass die Grand Old Party zu einer faschistoiden Kultbewegung verkommt.

Wer wird also die Oberhand gewinnen, die «modernen Konservativen» oder die «Wölfe im Schafspelz»? Sheri Berman ist überzeugt, dass sich die Extremisten diesmal nicht durchsetzen werden. Anders als in den Dreissigerjahren seien die westlichen Demokratien zu solid geworden, glaubt sie. Auch Trump und die Republikaner würden deshalb letztlich scheitern. Ihr Wort in Gottes Ohr.

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185 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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stormcloud
15.12.2022 10:10registriert Juni 2021
Bei dem Wort "Konservativ" gruselt es mich inzwischen. Denn ursprünglich bedeutete es "Wertebewahrend", doch inzwischen steht es für "Ewiggestrig" und geht einher mit Religion (Erdogan), Nationalismus (Orban, Kaczynski), Faschismus (Meloni, Höcke) oder Misogyn (Merz), Kapitalistisch und ohne Rücksicht auf die Umwelt (Trump, Reps).
Da gibt es unzählige Beispiele...
Der moderne Konservativismus begünstigt nur kleine, reiche Personengruppen. Die Allgemeinheit erleidet dadurch Einschränkungen ihrer Rechte und finanzielle bzw. gesundheitliche Nachteile.
Das sollte jedem(r) bewusst sein!
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watsoninan
15.12.2022 10:34registriert November 2019
Wenn sich Sheri Berman da bloss nicht irrt.
Zugegeben, die westlichen Demokratien sind stabil, doch aktuell ist der Wohlstand nach wie vor gesichert.
Der Vergleich mit den 30er-Jahren hinkt daher ein wenig.
Was geschieht, wenn die Inflation im EU-Raum weiter zunimmt? Wenn die Sozialsysteme, die die ärmsten der Ärmsten tragen, kollabieren?
Wenn die Mittelschicht den Warenkorb plötzlich nicht mehr trocken schluckend zahlt, sondern offen ihren Unmut Preis gibt?
Es benötigt manchmal nur einen Tropfen, damit ein Fass überläuft und dann kommen radikale Rethoriker schnell aus ihren Löchern.
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Narrentanz
15.12.2022 12:22registriert Juli 2019
„Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen.“
- Loriot
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