Die Überreste des Silvesterfeuerwerks waren noch nicht überall entsorgt, da knallte es schon wieder. Aber so richtig. In der Nacht zum 3. Januar befahl US-Präsident Donald Trump die gezielte «Liquidierung» des iranischen Topgenerals Ghassem Soleimani in Bagdad. Der Drohnenangriff auf den populären Offizier mobilisierte im Iran die Massen gegen den «grossen Satan» USA.
Damit liess Trump das ohnehin zum Zerreissen gespannte Verhältnis mit der Islamischen Republik vollends eskalieren. Was hat ihn motiviert, ausgerechnet zum Auftakt des Wahljahrs? Schliesslich hatte Trump seinen Anhängern das Ende der «endlosen lächerlichen Kriege» versprochen. Die offizielle Begründung, Soleimani habe Anschläge auf US-Ziele geplant, glaubt kaum jemand.
Sehr viel näher liegt eine andere Version. Wenige Tage vor der Tötung Soleimanis stürmten proiranische Demonstranten den Eingangsbereich der US-Botschaft in Bagdad. Der riesige Komplex befindet sich in der eigentlich hoch gesicherten «grünen Zone» im Zentrum der irakischen Hauptstadt. Der US-Präsident soll darüber derart in Rage geraten sein, dass er den Angriff auf Soleimani befahl.
Dabei hatten sich die Angreifer zu jenem Zeitpunkt bereits von der Botschaft zurückgezogen. Doch die Attacke erinnert an eine der traumatischsten Episoden der US-Geschichte: Am 4. November 1979 hatten iranische Studenten die Botschaft in Teheran besetzt. Sie hielten 52 Amerikaner während 444 Tagen als Geiseln und forderten die Auslieferung des gestürzten Schahs Reza Pahlevi, der noch während der Besetzung in seinem Kairoer Exil an Krebs starb.
Die Geiselnahme war neben der Niederlage im Vietnamkrieg vier Jahre zuvor die wohl grösste Demütigung für die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Donald Trump, der seit Jahrzehnten den echten oder vermeintlichen Niedergang seines Landes beklagt («Make America great again»), dürfte sie eine wesentliche Motivation für seine harte Haltung gegenüber Iran bilden.
In seiner Drohung auf Twitter, die USA hätten im Fall eines Vergeltungsschlags für die Tötung Soleimanis 52 iranische Ziele ins Visier genommen (darunter auch kulturelle Stätten), bezog der Präsident sich explizit auf die Zahl der Amerikaner, die sich vor 40 Jahren in iranischer Geiselhaft befanden. Es ist die Trumpsche Version des alttestamentarischen Prinzips «Auge um Auge, Zahn um Zahn».
....targeted 52 Iranian sites (representing the 52 American hostages taken by Iran many years ago), some at a very high level & important to Iran & the Iranian culture, and those targets, and Iran itself, WILL BE HIT VERY FAST AND VERY HARD. The USA wants no more threats!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) January 4, 2020
Bislang ist die Rechnung für ihn aufgegangen. In der Nacht auf Mittwoch feuerte Iran tatsächlich Raketen auf zwei US-Stützpunkte im Irak ab. Doch die Schäden hielten sich in Grenzen, es gab weder Tote noch Verletzte. Damit fiel es Trump leicht, an seiner Medienkonferenz die Wogen zu glätten und zu erklären, die USA seien «bereit zum Frieden mit allen, die dies wollen».
Im Hinblick auf seine angestrebte Wiederwahl im November war es die perfekte Botschaft an die kriegsmüde US-Wählerschaft. In die Hände spielt ihm auch der am Samstag von Iran eingestandene versehentliche Abschuss einer ukrainischen Boeing 737 nach dem Start in Teheran. Alle 176 Menschen an Bord kamen ums Leben.
Dieser «katastrophale Fehler», so Präsident Hassan Rouhani, versetzt Iran zusätzlich in der Defensive. Dennoch wäre die Annahme vermessen, die Iraner würden die Tötung von General Soleimani damit auf sich beruhen lassen. An einer kriegerischen Eskalation zum heutigen Zeitpunkt haben sie selber kein Interesse, da sie fast nur verlieren können.
Der Angriff auf die US-Stützpunkte im Irak dürfte in erster Linie eine symbolische Funktion gehabt haben. Er sollte das wütende Volk beruhigen. Für grössere und «echte» Rachakte hat Iran nach wie vor zahlreiche Optionen. «Die Iraner versuchen in den US-Wahlkampf einzugreifen, um so Trump direkt zu treffen», meinte der Nahost-Kenner Ulrich Tilgner im Interview mit watson.
Schwere Anschläge auf US-Ziele sind im Verlauf des Jahres nicht nur wahrscheinlich, sondern so gut wie unvermeidlich. Fürs Erste aber kann Donald Trump sich zurücklehnen, die Krise verläuft ganz nach seinem Gusto. Ähnlich sieht es beim Verfahren zu seiner Amtsenthebung aus. Die Demokraten haben nach wie vor kaum Chancen, den verhassten Präsidenten auf diesem Weg loszuwerden.
Im Dezember erhob das von der Opposition kontrollierte Repräsentantenhaus formell Anklage gegen Trump wegen Machtmissbrauchs und Behinderung der Kongress-Ermittlungen. Doch die Weiterleitung der Anklageschrift an den Senat, der für den eigentlichen Prozess zuständig ist, verzögert sich. Die beiden Kammern des Parlaments liefern sich ein Hickhack um den Ablauf des Verfahrens.
Mitch McConnell, der als Anführer der republikanischen Mehrheit die Traktandenliste im Senat bestimmt, will das Verfahren möglichst rasch abschliessen. Seine Gegenspielerin Nancy Pelosi hingegen verlangt, dass neue Zeugen einvernommen und Dokumente vorgelegt werden können. Sie hält die Anklageschrift zurück und versucht, McConnell so unter Druck zu setzen.
Indirekt gestehen die Demokraten damit ein, dass sie bislang kaum etwas in der Hand haben, um die Phalanx der Republikaner im Senat zu durchbrechen. Die Indizien für Trumps Fehlverhalten in der Ukraine-Affäre sind fundiert und überzeugend, doch ihre bisherigen Zeugen sind «Leichtgewichte» (wer erinnert sich an ihre Namen?) ohne direkten Zugang zum Präsidenten.
Aufhorchen lässt deshalb, dass sich der frühere Sicherheitsberater John Bolton zur Aussage vor dem Senat bereit erklärte für den Fall, dass er unter Strafandrohung vorgeladen wird. Er wäre genau der Kronzeuge, der den Demokraten bislang gefehlt hat. Boltons Angebot dürfte allerdings in erster Linie für die «Galerie» erfolgt sein, denn Mitch McConnell wird darauf kaum eingehen.
Donald Trump hat nach wie vor beste Chancen, das Impeachment schadlos zu überstehen. Mehr beunruhigen muss ihn, dass seine Iran-Politik in der amerikanischen Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung stösst, wie eine Umfrage von «USA Today» zeigt. 55 Prozent meinten, die Tötung von Ghassem Soleimani habe die USA unsicherer gemacht. Nur 24 Prozent sahen dies anders.
Diese Umfrage reflektiert einerseits die Abneigung vieler Amerikaner gegen aussenpolitische «Abenteuer» nach den Erfahrungen in Afghanistan und Irak. Sie reflektiert aber auch die tiefe Polarisierung der Gesellschaft, in der Donald Trump deutlich mehr Gegner als Fans hat. Fraglich ist, ob die Demokraten dies im Hinblick auf die Wahlen im November ausnützen können.
So müssten ihre Kandidatinnen und Kandidaten kurz vor dem Start der Vorwahlen im Februar die Tatsache anprangern, dass Donald Trump ans Weltwirtschaftsforum reisen und mit dem «Davos Man» kungeln will, der verhassten Symbolfigur einer ökologisch und sozial verheerenden Hyper-Globalisierung. Ihr Formstand lässt daran zweifeln, dass sie es tun werden.
Vorerst läuft alles im Sinne von Donald Trump. Ob er übernächste Woche wirklich nach Davos kommen wird, bleibt angesichts seiner unsteten Persönlichkeit offen. Glauben kann man es erst, wenn die Air Force One in Kloten gelandet ist.
Nur, dass der Iran die Vergeltungsschläge durchgeführt hat, um das "wütende Volk zu beruhigen" stimmt nicht wirklich.
Das "wütende Volk", das Soleimanis Tod betrauerte, waren hauptsächlich bezahlte Basij. Das breite Volk ist tatsächlich wütend - aber auf die Mullahs! Siehe auch die Demonstrationen vorgestern! Anlässlich von Soleimanis Tod wurden Kuchen gebacken und Süssigkeiten verteilt (übrigens auch im Irak!), weil an seinen Händen viel Blut, auch von Oppositionellen klebte!
Logisches Handeln einer völlig unschuldigen Person.