Wo soll man nur anfangen? Donald Trump ist noch keine drei Monate im Amt, doch der Flurschaden, den er bislang angerichtet hat, lässt sich kaum überblicken. Er zerlegt die Bundesverwaltung und die Soft Power, das vielleicht grösste Asset der Vereinigten Staaten. Im Furor gegen DEI und Wokeness zerstört er Karrieren, nicht zuletzt an den Hochschulen.
Damit befriedigt er die seit langer Zeit vorhandene Abneigung im rechten Amerika gegen die elitären und «linken» Universitäten, doch ihnen verdanken die USA ihre Ausnahmestellung. Trump will auch eine revisionistische Geschichtsschreibung durchsetzen (Die Sklaverei? Halb so wild!) und deshalb die Kontrolle über Museen und Kultureinrichtungen übernehmen.
Es ist eine ruinöse Politik, die vor Widersprüchen strotzt. Nach wie vor will Trumps Regierung viele «unerwünschte» Migranten abschieben. In einem der wenigen lichten Momente im wirren Zoll-Rundumschlag am 2. April aber gab der Präsident selbst zu, dass die USA Einwanderung benötigen, um die Fabriken zu betreiben, die er ins Land holen will.
Als Friedensstifter hat Trump bislang versagt, in Nahost und in der Ukraine. Öffentlich äussert er sich verärgert über Russland und droht mit neuen Sanktionen, doch es gibt auch beunruhigende Indizien, dass die USA sich auf Wladimir Putins Seite schlagen könnten. Der Kreml-Chef hat jedenfalls zuletzt den Terror gegen die ukrainische Bevölkerung intensiviert.
Maximale Verunsicherung scheint Donald Trumps Maxime zu sein. Dabei macht er vor der Wirtschaft nicht halt, obwohl sich die Amerikaner von ihm ein besseres Leben und vor allem tiefere Preise erhoffen. Nachdem die Märkte «rebellierten», hat Trump die meisten Zölle auf Eis gelegt, doch mit dem «Hauptfeind» China lässt er die Eskalationsspirale weiterdrehen.
Seine Hofschranzen und Einflüsterer versuchen, diese Achterbahnfahrt als geniale Strategie zu verkaufen, woran sie vermutlich selbst nicht glauben. Zu ihnen gehört Finanzminister Scott Bessent, einer der wenigen «Vernünftigen» in Trumps Kabinett. Er hatte die Zoll-Orgie mit Unbehagen verfolgt und zuletzt angeblich mit seinem Rücktritt gedroht.
Als Europäer verfolgt man dieses Treiben einigermassen fassungslos. Unser Kontinent betrachtet sich als Wiege des rationalen Denkens, beginnend mit Philosophen wie Sokrates und Aristoteles im alten Griechenland. Später folgten Renaissance und Aufklärung, doch erst der Schrecken der Weltkriege brachte Europa einigermassen zur Vernunft.
Eine Folge war die Gründung der heutigen Europäischen Union, von der Donald Trump allen Ernstes behauptet, sie sei nur geschaffen worden, um die USA «auszuplündern». Auf das Zoll-Gewitter immerhin reagierte die EU mit kühlem Kopf oder rational, was der «Economist» positiv vermerkt. Ihr methodisches Vorgehen scheine «gut zu funktionieren».
Selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält sich zurück, und das will wirklich etwas heissen. Auch Donald Trump fand am Donnerstag für einmal lobende Worte für die EU. Mit ihrer Zurückhaltung habe sie «sehr klug gehandelt», sagte er an einer Kabinettssitzung. Bislang scheint sich das rationale Vorgehen der Europäer im wahrsten Sinn auszuzahlen.
Eine Garantie für den weiteren Verlauf des Handelskriegs ist das nicht, und es bleibt offen, wie es im sehr realen Ukraine-Krieg weitergeht. An einem Treffen von 50 Ländern am Freitag in Brüssel nahm US-Verteidigungsminister Pete Hegseth nur virtuell teil, was für Unruhe sorgte. Dafür traf sich Donald Trumps Sondergesandter Steve Witkoff gleichentags mit Putin.
Die vom US-Präsidenten verursachten Turbulenzen werden nicht verschwinden. Damit stellen sich für rationale Europäer auch persönliche Fragen. Sollen sie alles Amerikanische boykottieren, wie es viele Kanadier vorleben? Leichter gesagt als getan. Will man auf Netflix verzichten, dessen Gründer einer der grössten Geldgeber der Demokraten ist?
Bei rein amerikanischen Produkten wie Jack Daniel’s oder Harley Davidson mag ein Boykott einfach sein. Doch schon beim Super-Hassobjekt Tesla wird es schwierig, denn die Autos werden teilweise in Europa montiert, im Werk in Berlin-Brandenburg. Und wer nicht mehr bei McDonald’s isst, schädigt weniger die Zentrale in Oak Brook (Illinois) als die hiesigen Angestellten.
Erst recht ein Problem ist der von den USA dominierte Cyberspace. An Google, Youtube oder Instagram kommt man kaum vorbei. Zu WhatsApp gibt es valable Alternativen, doch die Dominanz des Messenger-Diensts ist dermassen erdrückend, dass selbst der «Spion» Meta AI kaum etwas daran ändern wird. Immerhin ist Spotify keine US-Erfindung.
Bei der Künstlichen Intelligenz dominieren die Amerikaner erst recht, auch wenn Europäer (Le Chat) und Chinesen (Deepseek) aufholen. Doch will man auf chinesische Produkte ausweichen? Schon gegenüber TikTok empfindet man mehr Unbehagen als bei Snapchat oder Insta, ob berechtigt oder nicht. China oder USA fühlt sich an wie Pest oder Cholera.
Am Ende müssen alle selbst entscheiden, ob sie Amerika boykottieren wollen oder dies vielleicht kontraproduktiv wäre. Auch das gehört zum Rationalismus, wie schon der französische Frühaufklärer René Descartes wusste, der «Entdecker» des Individuums («Ich denke, also bin ich»).
Donald Trumps Amtszeit dauert noch fast vier Jahre, und damit das so bleibt, müssen seine Angriffe auf die demokratischen Institutionen scheitern. Man sollte nicht darauf wetten, dass er als Instinktmensch zur Vernunft kommt, auch wenn die Republikaner unruhig werden und die «Rache» der Wählerinnen und Wähler fürchten. Noch wagen sie kaum Kritik am Caudillo.
Vielleicht sollte man sich zumindest fragen, ob Ferien in den USA eine gute Idee sind, nicht nur wegen drohenden Problemen bei der Einreise (die gab es schon früher). Besser, man bleibt in Europa. Das ist solidarischer, klimafreundlicher – und rationaler.
Es zeigt Europa in der harten Realität, was geschieht, wenn ein neuer rechtsradikaler Libertarismus mit ihren autokratischen Zügen mit Staatsabbau und Ausgrenzung gemässigter Menschen Macht erhält. Europa zwingt es zur wiedererlangten Selbständigkeit und öffnet Leuten die Augen.