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Israels Angriff auf Iran: Das Völkerrecht schützt auch Schurkenstaaten

Smoke rises from the building of Iran's state-run television after an Israeli strike in Tehran, Iran, Monday, June 16, 2025. (AP Photo)
Iran Israel Mideast Wars
Rauch über Teheran: Der Angriff Israels auf den Iran wird vom Völkerrecht nicht gedeckt.Bild: keystone
Analyse

Israel-Iran-Konflikt: Das Völkerrecht schützt auch Schurkenstaaten

Ohne verbindliche Regeln bleibt nur das Recht des Stärkeren. Das gilt auch mit Blick auf Israel und Iran.
18.06.2025, 09:0318.06.2025, 09:46
Mark Schieritz / Zeit Online
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Ein Artikel von
Zeit Online

Das Völkerrecht wird gebrochen, seit es existiert. Es gibt keine Weltregierung, die es durchsetzen könnte, es gibt auch keine Weltpolizei, die Völkerrechtsbrecher ins Gefängnis stecken könnte. Die militärische Intervention der NATO im Kosovo im Jahr 1999 war völkerrechtswidrig – jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass eine solche Intervention nur gerechtfertigt ist, wenn es dafür ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gibt. Völkerrechtswidrig war auch der Krieg gegen den Irak 2003. Und ebenso natürlich der russische Einmarsch in die Ukraine vor drei Jahren.

Insofern könnte man argumentieren: Wo ist das Problem, wenn Israel nun den Iran angreift, um das Atomprogramm des Landes zu stoppen? Es ist im Interesse des Westens, dass der Iran die Bombe nicht bekommt. Genau so scheint auch die deutsche Regierung zu argumentieren. Aussenminister Johann Wadephul beispielsweise sagte, die nuklearen Ambitionen des Landes seien «eine Bedrohung für die ganze Region und insbesondere für Israel», deshalb habe die israelische Regierung «das Recht, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen». Und Friedrich Merz meint sogar, Israel erledige die «Drecksarbeit» für den Westen.

epaselect epa12182449 The Iron Dome, the Israeli air defense system, intercepts missiles fired from Iran, over Tel Aviv, Israel, 17 June 2025. Israel and Iran have been exchanging fire since Israel at ...
Der israelische «Iron Dome» wehrt iranische Raketen über Tel Aviv ab. Bild: keystone

Es ist allerdings mehr als fraglich, ob es sich bei den israelischen Schlägen im völkerrechtlichen Sinn um eine Verteidigungsaktion handelt. Die Charta der Vereinten Nationen ist in dieser Hinsicht relativ klar. Ein Recht auf einen Präventivschlag gibt es nicht. Vielmehr haben alle Mitgliedsstaaten «jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt» zu unterlassen. Im Fall eines bewaffneten Angriffs gibt es zwar ein Recht auf Selbstverteidigung (auf das sich etwa die Ukraine beruft), aber der Iran hat Israel nicht angegriffen. Und ein solcher Angriff stand nach allem, was man weiss, auch nicht unmittelbar bevor.

Nicht vom Völkerrecht gedeckt

Zahlreiche Völkerrechtler kommen deshalb zu dem Ergebnis, die israelischen Attacken seien durch das internationale Recht nicht gedeckt. Der Göttinger Rechtsprofessor Kai Ambos beispielsweise warnt vor einer «Unterminierung des Gewaltverbots», und sogar sein bei diesem Thema eher grosszügiger Bonner Kollege Matthias Herdegen spricht von einer «völkerrechtlich tiefgrauen Zone» – vor allem, weil Israel auch Wissenschaftler getötet hat. 

Aber was, wenn es am Ende darauf nicht ankommt? Sondern auf die Frage, ob der Bruch des Völkerrechts aus politischen Gründen als legitim betrachtet wird? Immerhin regiert in Teheran ein menschenverachtendes Terrorregime, das viel Leid über seine Bevölkerung und die gesamte Region gebracht hat. Die Welt wäre sehr wahrscheinlich ein besserer Ort, wenn die Mullahs nicht mehr an der Macht wären. Es spricht mit anderen Worten aus der Sicht des Westens moralisch sehr viel für die Angriffe der israelischen Regierung. So wie moralisch sehr viel für die Schläge der NATO gegen Serbien sprach, mit denen eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindert werden sollte.

FILE - Ethnic Albanian refugees cheer as a British tank passes next to the Stenkovec refugee camp near Skopje, Macedonia on its way to Kosovo Saturday, June 12, 1999. NATO troops entered Kosovo on Jun ...
1999 erreichen NATO-Truppen den Kosovo.Bild: keystone

Nur ist Recht nicht dasselbe wie Moral. Eine Rechtsnorm mag sich aus einem moralphilosophischen Grundsatz speisen («Du sollst nicht stehlen!»), aber ob es sich bei einem konkreten Sachverhalt um Diebstahl handelt und wie er geahndet wird, darüber entscheiden Gerichte auf Basis der verabschiedeten Gesetze. Das Recht gilt – innerhalb gewisser Grenzen – zunächst einmal auch dann, wenn es inhaltlich ungerecht ist. 

Mit ihrer Überführung ins Recht erreicht die Moral gewissermassen einen höheren Objektivitätsgrad. Der Rechtfertigung einer Handlung werden Grenzen gesetzt. Im Fall des Angriffs auf den Iran bedeutet das: Es reicht nicht aus, dass die israelische Regierung militärisch in der Lage ist, die iranische Luftwaffe auszuschalten. Es reicht auch nicht aus, wenn Israel sich von einer möglichen iranischen Bombe bedroht fühlt (was ohnehin ein problematisches Argument ist, weil die Israelis selbst Atommacht sind und auf jeden Angriff mit der Auslöschung des Gegners reagieren können). Diese Bedrohung muss auf die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen zurückgeführt werden können. Nur dann ist ein Gegenschlag völkerrechtlich legitim.

Das blosse Recht des Stärkeren kann schnell unangenehm werden

Damit geht eine Einschränkung der nationalen Souveränität einher, wie sie der Westfälische Friede von 1648 etabliert hatte. Damals wurde das Leitbild des souveränen Nationalstaats entwickelt, der keiner äusseren Instanz unterworfen ist und auch Kriege führen darf – auch wenn dies nur dem Machtstreben des Fürsten dient. Man kann die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Versuch einer Überwindung der zwischenstaatlichen Anarchie verstehen. Die Normen des Völkerrechts sind nicht perfekt, aber immerhin gibt es Normen, zu denen sich mehr oder weniger alle Staaten bekennen. 

epa12180583 Ukrainian servicemen of a unit of the Volunteer Formation of the United Territorial Community (DFTG) shoot at drones flying towards Kyiv, Ukraine, 17 June 2025. The volunteers are firing w ...
Ukrainische Soldaten schiessen vor Kiew auf russische Drohnen.Bild: keystone

Darin liegt auch die Problematik des Arguments, im Angesicht der iranischen Bombenpläne sei das Völkerrecht zweitrangig. Dass internationale Regeln gebrochen werden, liegt in ihrer Natur, aber Schwere, Ausmass und Häufigkeit des Normbruchs spielen eine Rolle. Sofern das Handeln der Staaten keinerlei allgemein akzeptierten Regeln mehr unterworfen ist, dann wird die Macht des Rechts abgelöst durch das Recht der Macht. 

Jetzt auf

Das wird spätestens dann unangenehm, wenn sich die Angriffspläne, wie im Fall der Ukraine schon geschehen, gegen den Westen selbst richten. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass China irgendwann argumentieren wird, es fühle sich durch Taiwan «bedroht» und müsse deshalb einen Schlag gegen das Land führen. Wer die Guten sind und wer die Bösen, ist am Ende nun einmal immer auch Ansichtssache. Und klar ist auch: Wenn das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen komplett fällt, dann werden immer mehr Staaten nach der Atombombe streben. Denn diese wäre dann womöglich der einzige Garant für territoriale und politische Integrität eines Landes. 

Das Völkerrecht etabliert einen normativen Begründungszwang und kann allein deshalb als zivilisatorische Errungenschaft betrachtet werden. Diese ist aber bedroht, wenn das Recht wieder auf seinen moralischen Kern zurückgeführt wird. Diese Gefahr sollte man zumindest bedenken, auch wenn ein solches Vorgehen im Einzelfall gerechtfertigt sein mag. Das gilt auch für den deutschen Aussenminister.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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122 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Atavar
18.06.2025 09:21registriert März 2020
Nun, von keinen Angriffen des Irans auf Israel zu sprechen ist - bei aller Kritik an Israels Politik - gewagt. Mindestens über Proxy führt Iran seit Jahren Krieg gegen Israel. Nur ist das im Völkerrecht nicht wirklich definiert.
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wydy
18.06.2025 09:24registriert Februar 2016
Was beim Völkerrecht vollkommen ausgeklammert wird ist das Thema Terrorismus aber auch Cyberkrieg. Das Mullah Regime aber auch Russland sind hier ganz vorne mit dabei. Meistens nicht direkt, sondern indirekt durch Stellvertretergruppen. Russland führt seit Jahren Krieg gegen den Westen, es sind bisher nur noch keine Truppen einmarschiert. Leider lässt sich ein solcher Stellvertreterkrieg, Terrorismus oder Cyberkrieg nicht einfach beweisen, wie das Einmarschieren von Truppen. Zu behaupten es sei nur eine moralische Frage, ist aus meiner Sicht hier auch nicht korrekt.
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Oliver M
18.06.2025 09:44registriert Dezember 2014
Im Falle des Irans kann man sich aber darüber streiten, ob sie Israel wirklich nicht angegriffen haben? Fängt mal damit an, dass man irgendwelche Proxys hat wie die Hisbollah, welche einfach in einem anderen Land operieren und von dort aus Angriffe auf Israel ausführen. Auch die immer wieder kehrenden Forderungen zur Auslöschung Israels (Aufstellen von countdown Uhren, weil Chomenei gesagt hat es dauert noch 25 Jahre, dann ist Israel weg), gilt nicht auch schon als Kriegserklärung? Wenn china Taiwan angreifen will, werden sie das tun, ob jetzt Israel den Iran angreift oder nicht.
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