Marjorie Taylor Greene for President?
Marjorie Taylor Greene (MTG) war lange das Sinnbild für eine politische Knalltüte. Keine Verschwörungstheorie war ihr zu absurd: Ob Pizzagate – die von der Kultsekte QAnon verbreitete These, wonach man in einer Pizzeria in Washington Kinder für Sex kaufen konnte – oder die Behauptung, die Waldbrände in Kalifornien seien durch jüdische Laser aus dem All entfacht worden – MTG liess nichts aus.
Die Abgeordnete aus dem Bundesstaat Georgia war auch ein bedingungsloser Trump-Fan. Lange konnte ihr Idol nichts falsch machen, und selbstverständlich verkündete sie immer und immer wieder, seine Wahlniederlage gegen Joe Biden im Jahr 2020 sei nur dank Betrug möglich geworden.
Kurz: Mehr MAGA als MTG ging nicht. Doch in den letzten Monaten durchlief sie eine eigenartige Metamorphose. Aus dem Trump-Groupie wurde eine «Verräterin» – und jetzt könnte sie sogar zu einer Herausforderin werden. In den sozialen Medien und in seriösen Medien wird darüber spekuliert, ob ihr überraschender Rücktritt als Abgeordnete gleichzeitig auch als Startschuss für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur interpretiert werden kann.
So schreibt die «New York Times»: «Spekulationen, dass sich Ms. Greene für ein höheres Amt – selbst als Präsidentschaftskandidatin – in Stellung bringt, sind nicht unangebracht.» Ähnlich tönt es beim «Wall Street Journal»: «Man könnte versucht sein, den abrupten Rücktritt von Marjorie Taylor Greene aus dem Kongress als das Ende einer verschrobenen politischen Karriere zu betrachten. Aber es könnte sein, dass die Abgeordnete aus Georgia und ehemalige Favoritin von Donald Trump, den Präsidenten und die Republikanische Partei künftig verfolgen wird, und dass die Ideen, die sie vertritt, speziell eine Warnung für J.D. Vance darstellen werden.»
Tatsächlich enthält das zehnminütige Rücktritts-Video von MTG jede Menge politischen Sprengstoff. Darin stellt sie fest: «Wenn ich vom Präsidenten und der politischen MAGA-Maschine weggeworfen und ersetzt werde durch Neocons, Big Pharma, Big Tech, den Militärkomplex, ausländische Staatsoberhäupter und die Geldgeber der Elite, welche die normalen Amerikaner niemals verstehen werden, dann werden auch die gewöhnlichen Menschen weggeworfen und ersetzt werden.»
Diese Botschaft stösst auch bei der MAGA-Basis auf fruchtbaren Boden. So postete beispielsweise Victoria Spartz, eine republikanische Abgeordnete aus dem Bundesstaat Indiana: «Leider steckt viel Wahrheit in dem, was Marjorie zu sagen hat. Ich kann ihr keinen Vorwurf machen, dass sie die Institutionen verlässt, die das amerikanische Volk verraten haben.»
Es ist hinlänglich bekannt, dass Trump ehemalige Weggefährten, wenn er sie nicht mehr braucht, wegschmeisst wie gebrauchte Papier-Taschentücher. Doch der Streit mit MTG kommt für ihn zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Ihre Vorwürfe treffen ihn dort, wo es weh tut.
Der Präsident hat sich tatsächlich in den letzten Monaten von Teilen seiner MAGA-Basis entfernt. Nicht nur seine Weigerung, die Epstein-Files zu veröffentlichen, ist daran schuld. Seine Nähe zu den Tech-Oligarchen, sein Eintreten für Visa für ausländische Facharbeiter, sein Kredit an Argentinien, sein militärisches Zündeln mit Venezuela, der Shutdown, die Inflation und neuerdings die Explosion der Krankenkassenprämien – all diese Dinge werden auch von der Mehrheit seiner Wähler abgelehnt. Das geht aus zahlreichen Umfragen hervor, die ebenso zeigen, dass Trump sich in einem historischen Beliebtheits-Tief befindet.
Auch für Speaker Mike Johnson kommt der Rücktritt zu einem blöden Zeitpunkt. MTG war zwar nie ein Fan von ihm, doch sie hat – mit Ausnahme der Epstein-Files – stets mit den Republikanern abgestimmt. Jetzt kann ihr Sitz erst im März wieder besetzt werden, die eh schon hauchdünne republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus ist damit noch wackliger geworden.
Schliesslich bringt der Rücktritt auch die Grand Old Party (GOP) in Nöte. In den letzten Wochen ist klar geworden, dass die Partei in vielen entscheidenden Fragen gespalten ist. Das Friedensabkommen, das der Ukraine aufs Auge gedrückt wird, ist bloss das jüngste Beispiel. Ob Subventionen für die Krankenkassenprämien oder Militärhilfe für Israel, beides ist auch innerhalb der GOP umstritten. Der Streit zwischen christlichen Nationalisten und den traditionellen Republikanern in der Antisemitismus-Frage hat gar das Potenzial für eine Zerreissprobe.
Der überraschend freundliche Empfang, den Trump Zohran Mamdani, dem gewählten Bürgermeister von New York, am vergangenen Freitag im Weissen Haus gewährte, hat viele Republikaner ebenfalls auf dem falschen Fuss erwischt. Die Abgeordnete Elise Stefanik, ebenfalls ein Trump-Fan, tobt, denn sie kandidiert für das Amt der Gouverneurin des Bundesstaates New York und hat die Verteufelung Mamdanis zum Fokus ihrer Kampagne gemacht.
Trumps Formtief und die Richtungskämpfe in der Partei haben auch zur Folge, dass sich die Kämpfe um seine Nachfolge intensivieren. Bisher galt der Vize-Präsident als Kronfavorit. «Hätte man mich vor drei Monaten gefragt, ich hätte geantwortet, dass die Republikaner J.D. Vance nominieren werden», erklärt beispielsweise der demokratische Abgeordnete Ro Khanna in der «New York Times». «Jetzt denke ich, es könnte auch Marjorie Taylor Greene oder Marco Rubio oder sonst jemand sein.»
Zum gleichen Schluss kommt auch die «Washington Post» in einem redaktionellen Kommentar: «Die 51-Jährige hat nicht ausgeschlossen, auch künftig politisch aktiv zu sein, und es ist denkbar, dass sie sich für 2028 in Stellung bringt. Sollte die Wirtschaft stagnieren, könnte sie sich als Aussenseiterin gegen J.D. Vance positionieren. Ihr Rücktritts-Video fühlt sich auf jeden Fall an wie eine Wahlkampfrede.»
