Nur die Turnschuhe, die aus dem Plastiksack herausragen, geben einen Hinweis, dass hier ein lebendiger Mensch abtransportiert wird – und kein tollwütiges Tier oder eine Leiche.
März 2016: In einer Subwaystation an der Ecke 14th Street, Seventh Avenue in Manhattan, wird Johnell Muhammad angehalten. U-Bahn-Kontrolleure verdächtigen den Mann, ohne gültiges Ticket unterwegs zu sein. Muhammad wehrt sich, bespuckt die eintreffenden Polizisten, die ihn kontrollieren wollen, kratzt sie, traktiert sie mit Faustschlägen. Zwei Polizisten werden dabei verletzt. Später werden in seinen Taschen zwei Crack-Pfeifen gefunden – so steht es im Polizeibericht.
Anstatt Taser, Pfefferspray oder letale Waffen einzusetzen, ringen die Polizisten Muhammad nieder, fesseln seine Hände, fixieren seine Knöchel und Beine mit einem Plastikband – und wickeln ihn in eine verschliessbare Tasche, die unweigerlich Assoziationen an einen Leichensack weckt. Der Kopf ist nicht mehr sichtbar, nur die Füsse baumeln aus der Tasche. Zu dritt heben die Polizisten den mit Tragegurten versehenen Beutel hoch. Dann endet die Aufnahme abrupt.
Das Video, im März auf YouTube hochgeladen, sorgt seit einigen Wochen für erbitterte Diskussionen innerhalb der psychiatrischen Gemeinde New Yorks. Experten beklagen eine menschenunwürdige Behandlung von psychisch auffälligen und mental instabilen Personen. Wendy Brennan, Direktorin der staatlichen National Alliance for Mental Illness (NAMI) sagt: «Der Gebrauch dieser Body Bags ist verstörend und hat potentiell traumatisierende Wirkungen auf die Zielpersonen».
Polizeikräfte hingegen verteidigen den Einsatz von Body Bags – im Fachjargon «Mesh Restraining Device» genannt – als effektive Methode, um mit einem Minimum an Gewaltanwendung ein Maximum an Sicherheit zu erreichen.
Die Body Bags dienten dazu, «gewalttätige oder potentiell gewalttätige Personen, die im Begriff sind, sich selber, Dritte und Polizisten oder Rettungskräfte zu schaden, sicher und effektiv zu behandeln», so ein Statement des New York Police Departments.
Die Häufung an Fällen tödlicher Polizeigewalt in den USA haben der Forderung nach besserer Schulung von Polizisten und sicherer Zwangsmassnahmen Nachdruck verliehen. Nach dem Erstickungstod von Eric Garner Juli 2014 entzündeten sich landesweite Proteste, unlängst wurde ein Fall publik, bei dem Polizisten in Georgia einen in Handschellen gelegten Mann während Minuten taserten – der 32-Jährige überlebte den Vorfall nicht.
Offenbar ist der Gebrauch der Body Bags in New York seit längerem gang und gäbe. Seit 25 Jahren gehöre der Mesh Restraining Device zum Repertoire der Einsatzkräfte, alleine von Januar bis zum 20. April seien sie 122 Mal zum Einsatz gekommen, schreibt das NYPD auf Anfrage der «New York Times».
Spezialisten zeigen sich erstaunt: Carla Rabinowitz, eine Beraterin von Community Access, einer Organisation, die sich mit psychischen Krankheiten beschäftigt und Schulungen für die Polizei durchführt, sagte gegenüber dem Medienportal «fusion», sie könne nicht glauben, dass die New Yorker Polizei seit 25 Jahren Body Bags verwende. «Und wenn, dann häuften sich die Fälle in letzter Zeit massiv.»
Andrew R. Miller, der Anwalt von Johnell Muhammad, verurteilt das Vorgehen der Polizisten als «exzessiv» und «völlig unverhältnismässig»: «Mein Mandat war Opfer, nicht Täter.» (wst)