Am Samstag war Schluss: Rupert Hauer brach eine Expedition zum höchsten Gipfel der Erde ab. Dem österreichischen Bergführer war das Ansteckungsrisiko im Basislager auf 5380 Meter über Meer zu hoch. Viele Gruppen bereiten sich dort für den Aufstieg zum 8848 Meter hohen Gipfel des Mount Everest vor – und unter ihnen grassiert das Coronavirus.
Der Expeditionsleiter Lukas Furtenbach sagte dem ORF: «Wer sich in so grosser Höhe mit CoV infiziert, dann auch Symptome entwickelt und erkrankt, dem kann man nur noch sehr schwer oder gar nicht helfen. Dieses unkalkulierbare Risiko gehen wir nicht ein.» Erst am Montagmorgen habe ein schwerkranker Teilnehmer eines anderen Teams mit dem Helikopter ausgeflogen werden müssen. Er sei trotz guter Sauerstoffversorgung in lebensgefährlichem Zustand gewesen.
Der massive Anstieg der Infektionsfälle am Everest, den Furtenbach beschreibt, fällt mit einem wahren Ansturm auf den beliebten Gipfel zusammen. Mitte Mai, in der Hauptsaison im Frühling, waren insgesamt 408 Ausländerinnen und Ausländer mit ihren Teams einheimischer Bergführer und Träger auf dem Berg – mehr als je zuvor, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet. Und da das Wetter gemäss den Prognosen ab 21. Mai besser sein wird, dürfte das Gedränge am Gipfel noch zunehmen, zumal die Saison Anfang Juni mit dem Einsetzen des Monsuns endet.
Gleichzeitig erlebt Nepal gerade eine schlimme Corona-Welle. Laut dem Gesundheitsministerium wurden am Mittwoch bei 20'786 Corona-Tests 9305 Infektionen erfasst. Krankenhäuser sind wie im Nachbarland Indien überfordert, Betten und medizinischer Sauerstoff werden knapp. Im letzten Jahr hatte Nepal den Everest für Bergsteiger noch gesperrt, um Ansteckungen mit dem Coronavirus zu verhindern.
Doch dieses Jahr sieht es anders aus; der arme Himalaja-Staat braucht das Geld. Und nur schon eine einzige Bewilligung, wie sie ausländische Bergsteiger für die Besteigung erwerben müssen, spült 11'000 Dollar (knapp 9900 Fr.) in die Kasse. 2018 hingen mehr als eine Million Jobs in dem 30-Millionen-Land direkt oder indirekt an der Tourismusindustrie. So erstaunt wenig, dass es laut dem Tourismusministerium, wie die NZZ schreibt, offiziell kein Corona am Mount Everest gibt.
Dem widersprechen Angaben von Veranstaltern und Bergführern: Der polnische Bergsteiger Pawel Michalski teilte in einem Facebook-Post mit, 30 Personen seien bereits aus dem Basislager abtransportiert und danach positiv auf das Virus getestet worden. Auch CNN nennt diese Zahl. Furtenbach sagt, in den letzten Tagen sei die Zahl der Infizierten im Basislager massiv angestiegen. Er nennt auch einen Grund für diesen Anstieg:
Und Bergführer Hauer befürchtet eine weitere Eskalation auf dem Berg, weil sich viele im Basislager nicht an die Sicherheitsmassnahmen hielten und Partys feierten. Diese Leute treffe man dann unweigerlich weiter oben am Berg wieder, wo manche Zeltplätze nur wenig Raum böten. Ansteckungen liessen sich dann kaum mehr vermeiden.
Tatsächlich scheinen sich einige Teams kaum um die Regeln zu kümmern. So trafen sich am Samstag mehrere Bergsteiger-Gruppen im Basislager zu einer Party mit Live-Musik. Unter den Feiernden befanden sich mehrere Neu-Ankömmlinge im Basislager, die zuvor den Dhaulagiri bestiegen und sich dort im Basislager aufgehalten hatten.
Bereits dort war es zu einem Covid-19-Ausbruch gekommen, der seinen Anfang nahm, nachdem Bergsteiger von der Annapurna zum Dhaulagiri kamen. Sie hatten zuvor die Besteigung der Annapurna tagelang in Pokhara gefeiert. Einige der Neu-Ankömmlinge vom Dhaulagiri warteten selbst die Frist von fünf Tagen nicht ab, bevor sie den Everest in Angriff nahmen – ein Test spricht im Schnitt erst nach fünf Tagen auf das Virus an.
Für Expeditionsleiter Furtenbach ist klar, dass dieses Verhalten unverantwortlich ist. Er begründete den Abbruch seiner Expedition mit dem Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten:
Ganz anders präsentiert sich die Lage auf der tibetischen Seite des Everests: China hat eine Sperre für alle Expeditionen verhängt, die den Gipfel von der Nordseite her besteigen wollen, wie CNN berichtet. Davon sind insgesamt 21 chinesische Bergsteiger betroffen, die zuvor eine Bewilligung erhalten hatten. Schon am 9. Mai hatten die chinesischen Behörden Pläne verkündet, wonach auf dem Gipfel eine Art Trennlinie markiert werden solle, damit Gipfelstürmer von der nepalesischen und tibetischen Seite sich nicht zu nahe kämen.
Auf dem höchsten Gipfel der Welt bei zweistelligen Minustemperaturen dürfte die Ansteckungsgefahr freilich eher gering sein – selbst wenn sich Teams von beiden Seiten, die sich auf dem Gipfel begegnen, jeweils umarmen sollten, wie es die Tradition vorsieht. (dhr)
Selber Schuld?
Manchmal ist es schon ein Teufelskreis...