In manchen Demokratien ist die Vertrauensfrage ein beliebtes Instrument, um die Regierung zu «testen». In Frankreich oder Italien ist sie fast ein Ritual. Nur selten wurde sie bislang in Deutschland gestellt, das letzte Mal vor fast 20 Jahren. Im Mai 2005 provozierte Bundeskanzler Gerhard Schröder damit die Auflösung des Bundestags und Neuwahlen.
Jetzt war es wieder so weit, und erneut hat mit Olaf Scholz ein SPD-Kanzler mit der Vertrauensfrage den Weg für Neuwahlen freigemacht. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird mit der Auflösung des Parlaments noch etwas zuwarten, denn sie darf nicht früher als 60 Tage vor dem vereinbarten Wahltermin am 23. Februar 2025 erfolgen.
Im Vorfeld hatte es eine gewisse Unruhe gegeben. Manche befürchteten, die Alternative für Deutschland (AfD) werde als «Systemsprengerin» Scholz’ rotgrüner Minderheitsregierung, die nach dem Ampel-Exit der FDP die Amtsgeschäfte weiterführt, zu einer Mehrheit im Bundestag verhelfen und somit die Neuwahlpläne durchkreuzen.
Deshalb wurden ins Wahlprozedere vom Montagnachmittag zwei «Sicherungen» eingebaut. Die Abstimmung fand nicht anonym, sondern namentlich statt, weshalb sich die AfD nicht «verstecken» konnte. Und die Grünen empfahlen Stimmenthaltung, damit die SPD selbst mit einer Unterstützung der AfD keine Mehrheit im Bundestag erreichen konnte.
Der Weg ist damit frei für den ungeliebten Winterwahlkampf. Die Parteien haben sich längst darauf eingestellt. In den Umfragen gab es bislang kaum Bewegung. CDU/CSU liegen mit etwas über 30 Prozent klar an der Spitze, gefolgt von der AfD mit knapp 20 Prozent. SPD und Grüne werden es sicher schaffen, für die übrigen Parteien wird es eng.
Weil niemand mit der rechtsradikalen AfD koalieren will, dürfte es eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Regierung geben. Vieles hängt von den kleineren Parteien ab, also primär FDP, Linke und BSW. Schaffen sie es in den Bundestag, könnte es erneut auf eine Dreiparteienregierung hinauslaufen, die nach dem Ampel-Debakel eigentlich niemand will.
Das sorgt für beträchtliche Unsicherheit, aber auch für einen spannenden Wahlkampf. Wie aber steht es um die Form der deutschen Parteien?
Die Kanzlerpartei hat ein Hickhack um die Frage erlebt, ob erneut Olaf Scholz als Spitzenkandidat antreten soll oder der viel beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius. In den Umfragen hat ihr dies weder genützt noch geschadet, die SPD liegt konstant auf Platz 3, wird aber je nach Institut mehr oder weniger stark von den Grünen bedrängt.
Ein Absturz auf den vierten Platz wäre ein Albtraum für viele Genossinnen und Genossen. Im letzte Woche veröffentlichten Wahlprogramm wollen sie die breite Bevölkerung bei den Steuern entlasten («mehr Netto vom Brutto», heisst das in Deutschland). Ein Steuerabzug soll den nach dem Aus der Förderprämie eingebrochenen Elektroauto-Absatz ankurbeln.
Olaf Scholz ist der unbeliebteste Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. Nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten im ZDF-Politbarometer findet, der 66-Jährige mache seine Arbeit «eher gut». Allerdings liegt er bei der Kanzlerfrage fast gleichauf mit CDU-Rivale Friedrich Merz. Daran klammert sich Scholz, und das vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Seit Jahren oder gar Jahrzehnten träumt Friedrich Merz vom Amt des Bundeskanzlers. Es wäre eine Sensation, wenn er es nicht schaffen sollte. Doch obwohl Merz schon 69 ist, hat er noch nie regiert und deshalb auch nie einen derartigen Wahlkampf bestritten. Prompt sind dem Unionskandidaten bereits einige Patzer und Stolperer unterlaufen.
«Was ist denn mit dem los?», titelte t-online.de in einem provokativen Kommentar. So kokettiert er mit einer schwarz-grünen Regierung, die viele Unionspolitiker besonders im Osten vehement ablehnen. In der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger liess Merz sogar offen, ob Robert Habeck erneut Wirtschaftsminister werden könnte.
Seit Monaten polemisiert auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gegen Schwarz-Grün. Der Machtmensch aus Franken hält sich für den einzigen geeigneten Kanzlerkandidaten der Union, doch bei der viel grösseren CDU ist er seit den Wahlen 2021 «unten durch». Viele geben ihm eine Mitschuld an der Niederlage.
Damals stichelte Söder immer wieder gegen Kanzlerkandidat Armin Laschet. Jetzt nimmt er sich Friedrich Merz vor. «Ein Gespenst geht um in der CDU, es spricht Fränkisch», meinte der «Spiegel». Söders Trumpf sind die guten Umfragewerte der CSU in Bayern. Schneidet sie im Februar deutlich besser ab als die Union landesweit, ist er in einer starken Position.
Die rechtsextreme Partei gilt als nicht regierungsfähig, und sie tut alles, um diesem Ruf gerecht zu werden. So erklärte der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla in der «Welt» Russland zum Sieger des Ukraine-Kriegs, und der Thüringer Parteichef Björn Höcke warb am Landesparteitag für eine «eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, die von Lissabon bis Wladiwostok reicht».
Höcke, den viele für den «heimlichen» Chef der Bundes-AfD halten, bezog sich auf den ehemaligen französischen Staatschef Charles de Gaulle, doch das entspricht exakt dem Kreml-Narrativ. Trotzdem steht die AfD in den Umfragen gut da. Spitzenkandidatin Alice Weidel liegt in einer «Bild»-Umfrage bei der Kanzlerfrage sogar gleichauf mit Friedrich Merz.
Die Grünen sind vor allem in Ostdeutschland in weiten Teilen der Bevölkerung regelrecht verhasst. Daran sind sie zu einem grossen Teil selbst schuld, mit dem durchgedrückten Atomausstieg und dem Heizungsgesetz von Vizekanzler Robert Habeck, das in seiner ersten Fassung als Angriff auf die kleinen Hausbesitzer interpretiert wurde.
Trotzdem haben die Grünen Habeck als Kanzlerkandidat nominiert. Nun wollen sie ihr Image als woke Partei der Besserverdienenden mit Subventionen aufpolieren. Sie propagieren wie vor drei Jahren ein Klimageld für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Der Verkauf von E-Autos soll mit einem Ladegutschein für Geringverdiener angekurbelt werden.
Sie sind die Wackelkandidaten bei der Bundestagswahl. Die FDP schlägt sich mit der «D-Day-Affäre» herum, der Veröffentlichung eines Strategiepapiers, mit dem sie den Bruch der Ampel-Regierung angestrebt hat. Parteichef und Ex-Finanzminister Christian Lindner sorgte mit der Forderung für Aufregung, Deutschland müsse «mehr Musk und Milei wagen».
So gut wie chancenlos ist die Linke. Sie verpasste die Fünf-Prozent-Hürde schon vor drei Jahren und wurde durch die Abspaltung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) weiter geschwächt. Jetzt hofft sie, dass ihr wie 2021 drei Direktmandate die Rückkehr in den Bundestag ermöglichen. Ein Garant dafür ist Gregor Gysi, der mit bald 77 nochmals in seinem Berliner Wahlkreis antritt.
Das BSW wiederum pendelt in den Umfragen zwischen 4 und 8 Prozent. Diese Volatilität passt zur jungen Geschichte der Partei mit sehr wenig Mitgliedern und zum Zickzack-Kurs von Sahra Wagenknecht, die nach den Erfolgen bei den Landtagswahlen im Osten zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung lavierte. Am Ende setzten sich die «Realos» durch.
Die Deutschen können einem irgendwie leid tun. Die deutsche Politik braucht einen Richtungswechsel, der mit den etablierten Parteien nicht stattfinden wird. Die AfD wird zwar stärker, aber solange dort an den rechtsradikalen Mitgliedern und dem Pro-Putin-Pro-Russland Kurs festgehalten wird, werden sie in keine Regierung eingebunden.
Es wurde noch vom letzten Bundestag 2020 verabschiedet und von der Ampel entschärft.
Aber anscheinend gibt es seit 2021 eine komplett neue CDU, die nur zufällig namensgleich mit der CDU ist, die zwischen 2005 und 2021 die Kanzlerin stellte.