Im Zentrum von Peking ist vor 30 Jahren nichts passiert. So lautet die Lesart der chinesischen Führung. Auf dem Tiananmen, dem Platz des Himmlischen Friedens vor der «Verbotenen Stadt», herrschte Anfang Juni 1989 demnach genau das, was der Name besagt. Wer sich diese Propagandabrille nicht aufsetzt, weiss, dass es weder friedlich noch himmlisch zu und her ging.
Damals hatten Studenten den Platz während Wochen besetzt und für Demokratie demonstriert. In der Nacht zum 4. Juni 1989 schlug die Staatsmacht zurück. Die «Volksbefreiungsarmee» richtete auf dem Tiananmen ein Massaker an. Wie viele Menschen starben, weiss man nicht. Das Bild des einzelnen Mannes, der sich den Panzern in den Weg stellte, ist eine Ikone des 20. Jahrhunderts.
In China wird seine Verbreitung und die Erinnerung an das Massaker von der staatlichen Zensur rigoros unterdrückt. Im Vorfeld des 30. Jahrestags wurde Wikipedia in sämtlichen Sprachen blockiert. Der dank Künstlicher Intelligenz immer ausgefeiltere Überwachungsstaat erleichtert es, die Demokratiebewegung auf dem Tiananmen faktisch aus dem nationalen Gedächtnis zu tilgen.
Chinas Aufstieg wurde durch Tiananmen nur kurz gebremst. Deng Xiaoping, der «starke Mann» an der Spitze des Staates, setzte sich gegen seine Kritiker in der Kommunistischen Partei durch, die wirtschaftlichen Reformen wurden weitergeführt. Der Rest ist bekannt. Die totalitäre Volksrepublik ist drauf und dran, die weltweite Führungsrolle in Wirtschaft und Technologie zu übernehmen.
US-Präsident Donald Trump ist diese Herausforderung ein Dorn im Auge. Er hat einen Handelsstreit entfesselt und Einfuhrzölle auf chinesische Waren verhängt. Vordergründig hat er das hohe Handelsbilanzdefizit im Visier, doch Trump geht es um mehr. In seinem Weltbild sind die USA die klare Nummer eins. Er kann es nicht ertragen, dass China vorbeizieht.
Man kann unzählige negative Dinge über Trump sagen. Und seine Abwehrhaltung gegen den chinesischen Machtanspruch ist primär von egoistischen Motiven getrieben. Aber in der Tendenz liegt er richtig. Denn die (aussen-)politische Zurückhaltung unter Deng Xiaoping und seinen Nachfolgern ist Vergangenheit. Heute tritt China zunehmend selbstbewusst und aggressiv auf.
Die Schlüsselfigur dabei ist Staatschef Xi Jinping. Hinter seinem freundlichen Lächeln steckt ein kühl kalkulierender Machtpolitiker. Er hat den von Deng etablierten Mechanismus ausgehebelt, der eine zu grosse Machtkonzentration verhindern sollte, interne Rivalen kaltgestellt und sich faktisch zum Herrscher auf Lebenszeit gekrönt. Xi ist der neue Kaiser von China.
Das ist mehr als eine Floskel. Unter Xi soll China wieder zum «Reich der Mitte» werden, zum Zentrum der Welt. Man will jene Führungsrolle auch im Technologiebereich zurückerobern, die man während sehr langer Zeit besass. Im 19. Jahrhundert musste das innerlich geschwächte Kaiserreich diese an den Westen abtreten. Diese Demütigung will China nun ausmerzen.
Die «Belt and Road»-Initiative, auch bekannt als «neue Seidenstrasse», ist ein wichtiges Element in der Strategie, mit der China seinen globalen Einfluss bis nach Europa ausdehnen will. Auch in den Kerntechnologien wolle man «eine unbesiegbare Position» erreichen, erklärte Xi Jinping letzte Woche, als er unter anderem eine Firma für Seltene Erden besuchte.
Diese gar nicht so seltenen Rohstoffe sind für die Herstellung elektronischer Geräte unverzichtbar. «Seltene Erden sind wichtige strategische Ressourcen», sagte Xi mit einem Fingerzeig an die Amerikaner, denn China verfügt über die weltweit grössten Vorkommen. Am Dienstag meldete eine Zeitung, China prüfe «ernsthaft» eine Beschränkung der Ausfuhr in die USA.
Von offizieller Seite wurde der Bericht heruntergespielt, doch Peking ist definitiv nicht bereit, im Handelsstreit mit Washington nachzugeben. Und hier kommt Huawei ins Spiel. Der Telekom-Konzern sei «die globale Speerspitze für Chinas technologische Aufholjagd und Expansion», sagte der China-Kenner Sebastian Heilmann von der Universität Trier im Interview mit der NZZ.
Donald Trump hat Huawei auf eine schwarze Liste gesetzt. Damit darf Google sein Android-Betriebssystem nicht mehr für Huawei-Handys zur Verfügung stellen. Der US-Präsident wirft dem Konzern zudem vor, mit der von ihm gelieferten 5G-Technologie Spionage für die chinesische Regierung zu betreiben. Er warnt andere Länder davor, mit Huawei zu kooperieren.
Australien, Neuseeland und Japan haben Huawei vom Aufbau des 5G-Netzes ausgesperrt. In der Schweiz arbeitet Sunrise in diesem Bereich mit den Chinesen zusammen. Sie haben eine Charmeoffensive lanciert und bieten laut den Tamedia-Zeitungen ein No-Spy-Abkommen an. Ausserdem wollen sie rund 1000 Arbeitsplätze in der Forschung schaffen.
«Wir würden eher Huawei schliessen, als irgendetwas zu unternehmen, das den Interessen unserer Kunden schadet», behauptet Firmengründer Ren Zhengfei. Doch in totalitären Systemen kann sich kein Unternehmen den Ansprüchen des Staates entziehen. «Wenn die Staatssicherheit oder das Militär vor der Tür steht, wird Huawei diese öffnen müssen», sagt China-Experte Heilmann.
Wie eng der chinesische Staat und Huawei verbandelt sind, zeigt das Beispiel Kanada. Im letzten Dezember wurde Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou, eine Tochter des Firmengründers, auf Betreiben der USA bei einer Zwischenlandung in Vancouver verhaftet. Ihr werden Verstösse gegen die Iran-Sanktionen vorgeworfen. Meng ist auf Kaution frei, darf Kanada aber nicht verlassen.
Die chinesische Regierung reagierte hart und rücksichtslos. Sie liess zwei kanadische Staatsbürger unter fadenscheinigen Umständen festnehmen. Sie sitzen in Isolationshaft, dürfen keine Anwälte empfangen und nur einmal pro Monat mit Vertretern der kanadischen Botschaft sprechen. Zwei weitere Kanadier wurden wegen angeblichen Drogenhandels zum Tode verurteilt.
Das Beispiel zeigt, wie eng Huawei mit der chinesischen Führung verbandelt ist. «Jede Abweichung von der offiziellen politischen Linie muss vermieden werden», sagte Sebastian Heilmann der NZZ. Vor allem aber zeigt der Fall Kanada, wie wenig China von rechtsstaatlichen Abläufen hält und wie eiskalt die Führung gewillt ist, ihre Muskeln spielen zu lassen.
Kanada sollte allen Ländern eine Warnung dafür sein, worauf man sich im Umgang mit China einlässt. Das gilt nicht zuletzt für die Schweiz und ihre peinliche Anbiederung an die Machthaber in Peking. Lohnt es sich wirklich, für ein paar wirtschaftliche Vorteile mit einem Regime zu paktieren, das seinen Machtanspruch ohne Rücksicht auf Demokratie und Rechtsstaat durchsetzt?
Spionage und technologische Hintertüren sind keine Exklusivität der Chinesen, wie man seit Edward Snowden weiss. Dennoch sollte man 30 Jahre nach Tiananmen gut überlegen, worauf man sich einlässt. Denn China ist nach wie vor scharf auf westliches Knowhow und versucht, dieses auch mit illegalen Mitteln zu «erwerben», wie ein am Wochenende bekanntgewordener Fall einer Zuger Hightech-Firma zeigt.
Donald Trump hat deshalb recht, man kann China und Huawei nicht trauen. Ob er seine harte Linie durchziehen wird, ist jedoch zu bezweifeln. Wenn die amerikanischen Konsumenten die teureren chinesischen Importe im Portemonnaie zu spüren bekommen und Google der vollständige Ausschluss aus dem Riesenmarkt droht, weil Huawei ein eigenes Betriebssystem entwickelt, dürfte er rasch in einen billigen Deal einwilligen.
Der Rest der Welt aber sollte im Umgang mit China eine gesunde Portion Skepsis behalten.
TanookiStormtrooper
Ökonometriker
Wenn man Komponenten verschiedener Spione hat, bekämpfen die sich zumindest Gegenseitig. Noch besser wäre es aber, wenn Europa endlich effektive Spionagebekämpfung mit empfindlichen Bussen und echten Strafen betreiben würde.
Firefly