Seit mehr als 40 Jahren wird jeder grössere Skandal in der amerikanischen Politik mit Watergate verglichen. Wirklich berechtigt war dies nie, immerhin führte die «Mutter aller Politskandale» zum ersten und bis heute einzigen Rücktritt eines US-Präsidenten. Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey durch Präsident Donald Trump am Dienstag aber macht den Vergleich zwingend.
In den USA wurden augenblicklich Parallelen zu einem Schlüsselmoment der Watergate-Affäre gezogen. An einem Samstagabend im Oktober 1973 feuerte der republikanische Präsident Richard Nixon den unabhängigen Sonderermittler Archibald Cox. Er sollte den «drittklassigen Einbruch» (so Nixons Pressesprecher) in das Hauptquartier der Demokraten im Juni 1972 untersuchen.
Cox hatte versucht, die Herausgabe jener Tonbänder zu erzwingen, mit denen Nixon alle Gespräche im Oval Office aufzeichnen liess. Der Präsident wollte dies mit der Entlassung des lästigen Ermittlers verhindern, doch sein dafür verantwortlicher Justizminister wie auch dessen Stellvertreter weigerten sich und traten zurück. Erst die Nummer drei im Ministerium fügte sich Nixons Anweisung.
Das «Samstagabend-Massaker» wurde zum Rohrkrepierer. Der Druck auf den Präsidenten nahm zu. Der Kongress intensivierte die Ermittlungen. Immer mehr Vertraute von Nixon packten aus. Am Ende musste er die Tonbänder rausrücken. Sie belegten, dass Nixon in die Vertuschung des Einbruchs involviert war. Der Amtsenthebung entzog er sich im August 1974 durch den Rücktritt.
Wird es Donald Trump ähnlich ergehen? «Seit Watergate hat kein Präsident die Person entlassen, die eine Untersuchung gegen ihn geleitet hat», schreibt die «New York Times». Offiziell begründete Trump den Rauswurf mit Comeys «Fehlverhalten» in der Affäre um Hillary Clintons E-Mails. Dabei hatte ihn Trump im Wahlkampf dafür regelrecht in den Himmel gelobt. Wen wundert es da, dass der FBI-Chef im ersten Moment glaubte, sein Rauswurf sei ein Witz?
Für Stirnrunzeln sorgte in Washington auch, dass Donald Trump im Entlassungsschreiben festhielt, James Comey habe ihm dreimal versichert, dass gegen ihn persönlich nicht ermittelt werde. Auch das erinnert an Richard Nixon und dessen Hoffnung, er könne mit dem Rauswurf von Archibald Cox seinen Kopf aus der Watergate-Schlinge ziehen.
Falls Trump gehofft hatte, er könne mit dem Verweis auf Clinton die Demokraten ruhig stellen, lag er daneben. Vertreter der Oppositionspartei reagierten empört. Trumps Verhalten sei «nixonesk», hielt Senator Bob Casey aus Pennsylvania fest. Sein Kollege Richard Blumenthal aus Connecticut ging noch weiter: «Seit Watergate sind unsere Rechtssysteme nie mehr so bedroht und unser Glaube an die Unabhängigkeit und Integrität dieser Systeme so erschüttert gewesen.»
Die Anhänger des Präsidenten übten sich in Schadensbegrenzung. Die Untersuchung des FBI über mögliche Kontakte von Trumps Wahlkampfteam mit Russland gehe weiter. Das Misstrauen aber sitzt tief. Was wird geschehen, wenn Trump einen loyalen Gefolgsmann zum neuen FBI-Direktor ernennen sollte? Der Senat müsste ihn bestätigen, doch würde er dies verweigern?
Immer lauter werden deshalb die Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung. Möglich wäre die Einsetzung eines Sonderermittlers wie im Watergate-Skandal. Zuständig wäre das Justizministerium. Jeff Sessions, Trumps Justizminister, hat sich in der Russland-Affäre in den Ausstand begeben. Er soll jedoch zur Entlassung von James Comey geraten haben, so die «New York Times».
Der Kongress könnte die Russland-Untersuchung ebenfalls verstärken, ähnlich wie damals nach dem «Samstagabend-Massaker». Bereits aktiv sind die Geheimdienst-Ausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus. Am Dienstag regten selbst einige Republikaner die Einsetzung eines Sonderausschusses oder gar einer unabhängigen Kommission an.
Doch es bleiben Fragezeichen. Zu den Zeiten von Watergate war das Parlament wesentlich unabhängiger als in der heutigen, extrem polarisierten Washingtoner Politik. Es sei keineswegs sicher, dass Trumps republikanische Kollegen «annähernd so bereit sein werden, sich von ihm loszusagen, trotz der aussergewöhnlichen Art von Comeys Rauswurf», meint Politico.
Der Historiker David Greenberg äusserte in der «Washington Post» ähnliche Zweifel: «Viele Abgeordnete und Senatoren haben Trump im Wahlkampf laut kritisiert, doch seit er im Amt ist, haben sie kaum gewagt, sich ihm in den Weg zu stellen.» Nun aber sei «die Zeit der Ausflüchte» vorbei. Die Republikaner müssten «den gleichen Mut und die gleiche Integrität zeigen wie nach Watergate», schreibt Greenberg.
Noch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Geschichte wiederholen wird. Die Russland-Connection könnte zu Trumps Waterloo werden. Oder vielmehr zu seinem Watergate.