Die Schweiz stimmt am 18. Juni über ein Klimaschutzgesetz ab. Am Dienstag präsentierte das Ja-Komitee seine Argumente vor den Medien. Am selben Tag hat das EU-Parlament in Strassburg ein ganzes Bündel an Gesetzen verabschiedet. Europa werde damit «der erste klimaneutrale Kontinent», sagte die maltesische Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
An Superlativen fehlte es auch sonst nicht. Der deutsche Abgeordnete Peter Liese (CDU) sprach vom «grössten Klimaschutzgesetz aller Zeiten». Es ist ein zentraler Bestandteil des Green Deal, mit dem die Europäische Union bis 2050 klimaneutral werden will. Für die Schweiz hat der Bundesrat eine identische Zielvorgabe formuliert.
Die EU hat sich ein ambitioniertes Zwischenziel gesetzt: Sie will ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 senken. Dazu hatte die EU-Kommission vor zwei Jahren ihr «Fit for 55»-Paket vorgestellt. Es wurde von den Grünen als mangelhaft kritisiert, doch am Dienstag unterstützten sie wie die meisten Fraktionen das Massnahmenpaket.
Kernstück ist die Verschärfung des EU-Emissionshandels (ETS). Er basiert auf dem Konzept, dass Unternehmen für von ihnen emittierte Treibhausgase Zertifikate erwerben. Bei höheren Emissionen müssen sie entsprechend mehr kaufen. Senken sie den Ausstoss, können sie überschüssige Zertifikate verkaufen. Es entsteht ein doppelter Anreiz zur CO2-Reduktion.
Soweit die schöne Theorie. In der Praxis hat der 2005 eingeführte Emissionshandel lange kaum funktioniert. Zwar konnten die Emissionen reduziert werden, doch letztlich besteht das gleiche Problem wie bei Lenkungsabgaben oder einer CO2-Steuer: Aus Angst vor Wettbewerbsnachteilen schreckte man vor griffigen Massnahmen zurück.
Ganze Bereiche, die einem harten Konkurrenzumfeld ausgesetzt sind (Industrie, Luft- und Schiffsverkehr) wurden vom ETS ausgenommen oder mit Gratis-Zertifikaten «beschenkt». Weniger als die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen in der EU waren bislang vom System erfasst. Das neue Gesetz will mit diesen Ausnahmen «aufräumen».
Kostenlose Verschmutzungsrechte sollen schrittweise auslaufen. Gleichzeitig wird die Zahl der Zertifikate schneller verringert als geplant, wodurch der Preis in die Höhe getrieben wird. «Die Ära der Gratis-Verschmutzung ist vorbei. Wer klimafreundlich produziert, spart bares Geld», sagte Michael Bloss, der zuständige Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament.
Ein Problem bleibt bestehen: Wenn der Ausstoss von CO2 verteuert wird, drohen Firmen und ganze Produktionsbereiche in Regionen mit lascheren Regeln verlagert zu werden. «Carbon Leakage» nennt sich das im Fachjargon. Deshalb wird für Produzenten im Ausland ein sogenannter CO2-Grenzausgleich eingeführt, der ab 2034 vollständig gelten soll.
Es handelt sich um eine Art Zoll. Wer bestimmte Waren einführen will, muss die Differenz zwischen dem CO2-Preis im Herkunftsland und den EU-Zertifikaten ausgleichen. Gelten soll diese Regel für Eisen, Stahl, Aluminium und Zement, aber auch für Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Damit soll ein «Klimadumping» durch Drittstaaten verhindert werden.
Schweizer Unternehmen sind nicht betroffen, weil der hiesige Emissionshandel seit 2020 mit jenem der EU verknüpft ist. Das gilt auch für Island, Liechtenstein und Norwegen. Offen ist jedoch die Frage, ob der Grenzausgleich mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO kompatibel ist. Klagen vor dem WTO-Schiedsgericht gegen die EU sind absehbar.
Ab 2027 wird der Emissionshandel auf Gebäudeheizungen und den Verkehr ausgeweitet. Damit kann er Menschen mit geringen Einkommen belasten, weshalb ein Klimasozialfonds über 86,7 Milliarden Euro geschaffen wurde. Er soll zu drei Vierteln durch Einnahmen aus dem ETS finanziert werden. Den Rest zahlen die Mitgliedsstaaten.
Der Fonds kann für direkte Zuschüsse verwendet werden, oder für effizientere Heiz- und Verkehrssysteme. Kritiker halten die Summe für zu gering. Grünen-Politiker Michael Bloss hätte sich ein europäisches «Klimageld» gewünscht, wie er in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Rundschau» festhielt, als Pro-Kopf-Dividende aus dem ETS für Bürgerinnen und Bürger.
Der Dienstag war für ihn dennoch «ein grosser Tag für den Klimaschutz». Noch müssen die Mitgliedsländer die Beschlüsse ratifizieren, doch das gilt als Formsache. Und am Mittwoch ging es im gleichen Stil weiter: Produkte, die direkt oder indirekt mit der Abholzung von Regenwäldern verbunden sind, dürfen künftig nicht mehr in der EU verkauft werden.
Mit Material von Keystone-SDA
Jetzt nur nicht nachlassen und mit diesem Elan fortfahren.