Am 1. Mai kommt es in ganz Paris zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei – auch auf dem Platz Contreescarpe im 5. Arrondissement. Ein Video, das noch am selben Tag auf dem Twitter-Account eines Aktivisten auftaucht, zeigt, wie Polizisten am Rande der Demonstration eine Demonstrantin und einen Demonstranten zunächst einkesseln.
Ein Mann mit Polizeihelm und Kapuzenpulli führt die Frau ab, anschliessend kehrt er zurück, schlägt und tritt auf den Mann ein, den die Polizisten zuvor brutal zu Boden gebracht haben. Die Polizisten lassen den Mann gewähren. Unter den Reaktionen auf Twitter mischen sich solche, die in dem Mann einen «falschen» Polizisten erkannt haben wollen.
🔴🔴🔴🔴 ALERTA VIOLENCES POLICIÈRES
— Taha Bouhafs🔻 (@T_Bouhafs) 1. Mai 2018
DES POLICIERS TABASSENT ET GAZENT TOUT LE MONDE PLACE CONTREESCARPE !!
FAITES TOURNER IL FAUT QUE TOUT LE MONDE VOIT !!#ViolencesPolicieres #1erMai pic.twitter.com/Dabr6HHwyJ
Am 18. Juli, rund zweieinhalb Monate nach dem Ereignis, veröffentlicht «Le Monde» einen Artikel mit Zündstoff: Bei dem Mann mit Kapuzenpulli und Polizeihelm auf dem Video handle es sich um einen leitenden Mitarbeiter von Präsident Macron. Alexandre Benalla sei während des Präsidentenwahlkampfs 2017 für die Sicherheit Macrons verantwortlich gewesen. Macrons Stabschef habe ihm erlaubt, als Beobachter an einem Einsatz der Polizei bei der Demonstration teilzunehmen.
Die Staatsanwaltschaft leitet umgehend ein Ermittlungsverfahren gegen den engen Mitarbeiter des Präsidenten ein.
Die französische Regierungszentrale lässt verlauten, Benalla sei bereits für zwei Wochen suspendiert und anschliessend in die Verwaltung versetzt worden. Wer schon von der «Le Monde»-Veröffentlichung von den Vorfällen wusste, ist unklar. Macron schweigt.
Die Vorwürfe werden konkret: Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Benalla des Amtsmissbrauchs und des Missbrauchs von Symbolen, die der öffentlichen Hand vorbehalten sind. Ein weiterer «Mann im Dienst des Präsidenten» wird ebenfalls verhaftet. Über Benalla werden mehr und mehr Details bekannt. So war der Reservist der Gendarmerie bereits für Ex-Präsident François Hollande tätig gewesen, jedoch wegen «Fehlverhaltens» suspendiert worden.
Für den Wahlkampf beantragte Benalla, unter Berufskollegen auch «Rambo» genannt, einen Waffenschein, der vom Innenministerium aber abgelehnt wurde. Der 26-Jährige erhielt später dennoch einen – von der Pariser Polizei.
Die Kritik an der Macron-Regierung wächst. Rechte wie linke Politiker vermuten, dass es Manöver gegeben habe, um die Affäre zu vertuschen. Linksaussen-Chef und Ex-Präsidentschafts-Kandidat Jean-Luc Mélenchon fordert die Einleitung eines Strafverfahrens. Macron schweigt.
Bereits am Freitag wird Benalla verhaftet und mit ihm drei Polizisten, die dem Beschuldigten illegalerweise Videomaterial beschafft haben sollen – Aufnahmen von Überwachungskameras der Stadt, am 18. Juli, zu dem Zeitpunkt also, an dem «Le Monde» den Vorfall aufdeckte. Abgeordnete fordern den Rücktritt von Innenminister Collomb, sollte er von den Vorfällen bereits gewusst haben.
Macron schweigt.
Am Montag äussert sich Innenminister Collomb zur Benalla-Affäre. Er habe früh von den Gewaltvorwürfen gewusst. Vertuschungsvorwürfe weist er zurück. Als er am 2. Mai erfahren habe, dass Macrons Büro den Sicherheitsmitarbeiter bestrafen wolle, habe er sich «nicht weiter um das Thema gekümmert».
Polizeichef Delpuech sagte, er habe ebenfalls am 2. Mai von den Ereignissen erfahren, danach nach eigenen Angaben Kontakt zum Innenministerium aufgenommen, das ihn darüber informiert habe, bereits in Verbindung zum Präsidialamt zu stehen.
Einen Tag später widerspricht der für öffentliche Ordnung zuständige Chef der Pariser Polizei, Alain Gibelin, bei einer Anhörung der Version von Macrons Sprecher: Benalla habe über keinerlei Genehmigung verfügt, sich als Beobachter der Polizei anzuschliessen.
Während die Benalla-Affäre sich zu einer der grössten Krisen der Amtszeit von Macron entwickelt, schweigt der Präsident.
Am Dienstag kündigt die konservative Oppositionspartei Les Républicains einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Premierminister Edouard Philippe an. Auch die Presse kritisiert das Vorgehen der Regierung.
Am Abend desselben Tages sagt Macron bei einem Treffen mit Parlamentariern: «Ich bin es, der Alexandre Benalla vertraut hat. Ich bin es, der die Strafe bestätigt hat». Ob er selbst frühzeitig von dem Vorfall wusste, ist immer noch unklar. Politische Gegner Macrons fordern eine Anhörung des Präsidenten selbst.
(dwi)