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Schwul, Syrer, Flüchtling – wie Subhi Nahas um sein Leben fürchtete

Der Syrer Subhi Nahas lebt heute in den USA.
Der Syrer Subhi Nahas lebt heute in den USA.
bild: oram

Syrer, Flüchtling, schwul: «Ich hatte Angst, dass die Männer des ‹IS› mich vergewaltigen und umbringen»

Als schwule Männer in Syrien vermehrt zur Zielscheibe von Extremistengruppen werden, beschliesst Subhi Nahas die Flucht. Über den Libanon und die Türkei kommt er in die USA. Jetzt spricht er über den Terror des «IS» gegen LGBT-Menschen.
13.02.2016, 13:3301.03.2016, 16:39
greg zwygart / mannschaft
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Auf der Mannschaft-Redaktion haben schon lange alle Feierabend gemacht, als Subhi Nahas scheu lächelnd den Skype-Anruf entgegennimmt. In San Francisco ist es jetzt neun Uhr morgens und er ist soeben in den Büros von ORAM angekommen. Hier arbeitet der 28-jährige Syrer, seit er von den USA in ihrem Neuansiedlungsprogramm aufgenommen wurde.

ORAM steht für «Organization for Refuge, Asylum & Migration» und setzt sich als weltweit einzige Organisation ausdrücklich für LGBT-Menschen auf der Flucht ein.

«In der 70-jährigen Geschichte der UNO war es höchste Zeit, dass das Schicksal von LGBT-Menschen, die weltweit um ihr Leben fürchten, ins Rampenlicht gerückt wird.»
US-Botschafterin bei der UNO Samantha Powers

Bescheiden erzählt Subhi von seinem grossen Auftritt vor dem UNO-Sicherheitsrat im August. Die Anhörung wurde von LGBT-Organisationen weltweit als historischen Schritt bejubelt, war es doch das erste Mal, dass sich der Sicherheitsrat den Themen LGBT-Rechte und Terror gegen LGBT-Menschen annahm.

Subhi Nahas am Tag seiner Anhörung vor dem UNO-Sicherheitsrat.
Subhi Nahas am Tag seiner Anhörung vor dem UNO-Sicherheitsrat.
bild: michelle nichols

«In der 70-jährigen Geschichte der UNO war es höchste Zeit, dass das Schicksal von LGBT-Menschen, die weltweit um ihr Leben fürchten, ins Rampenlicht gerückt wird», sagte die US-Botschafterin bei der UNO, Samantha Powers, am Tag der Anhörung vor den versammelten Medien.

«Bei den Hinrichtungen jubeln Hunderte Stadtbewohner, einschliesslich der Kinder, als wäre man an einer Hochzeit.»
Subhi Nahas

Emanzipation durchs Internet

Der Zeitpunkt der Anhörung zeigt die Dringlichkeit der Situation. Nur Tage zuvor hatte sich der sogenannte «Islamische Staat» zur Hinrichtung von 30 Menschen bekannt, die der Sodomie angeklagt worden waren. 

«Bei den Hinrichtungen jubeln Hunderte Stadtbewohner, einschliesslich der Kinder, als wäre man an einer Hochzeit», erzählt Subhi. «Und wenn du nicht tot bist, nachdem du vom Gebäude geworfen wurdest, wirst du von der Bevölkerung gesteinigt. Das wäre auch mein Schicksal gewesen.»

Die Ansprache vor dem UNO-Sicherheitsrat war für Subhi eine stärkende Erfahrung. Obwohl die Teilnahme für die Mitgliedstaaten nicht obligatorisch war, wohnten unter anderem auch Russland, Nigeria und Jordanien der Anhörung bei. Die Vertreter von Tschad und Angola erschienen jedoch nicht.

«Wenn du nicht tot bist, nachdem du vom Gebäude geworfen wurdest, wirst du von der Bevölkerung gesteinigt. Das wäre auch mein Schicksal gewesen.»
Subhi Nahas

Sein Psychologe outet Subhi bei den Eltern

Subhi ist zierlich gebaut und spricht leise, jedoch mit bestimmter Stimme und einem gepflegten Englisch. Er wächst in der kleinen Stadt Idlib in einer «respektvollen, aber konservativen» Familie nahe der türkisch-syrischen Grenze auf.

Als Kind unterscheidet er sich von den anderen. Man hänselt ihn, will nicht mit ihm spielen. Dass er anders ist, billigen die Eltern nicht und schicken den 15-jährigen Sohn zum Psychologen.

Dieser nutzt das Vertrauen des jungen Mannes aus und outet ihn bei seinen Eltern. Er rät ihnen einen strengen Umgang, um seine Sexualität in den Griff zu bekommen.

Dass Homosexualität eine perverse Krankheit ist, glaubt Subhi nicht. Das Internet eröffnet ihm eine neue Welt. Er erfährt, dass es andere Menschen gibt, die so denken und fühlen wie er, und dass sie in gewissen Ländern Rechte geniessen. In seiner Freizeit engagiert sich Subhi für ein arabisches Schwulenmagazin.

Homosexualität war nie ein Thema in Syrien

Homosexualität war in Syrien nie ein Thema, auch vor Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 nicht. Sexuelle Handlungen unter gleichgeschlechtlichen Menschen waren illegal und unter keinen Umständen zu billigen.

«Man sah sofort, dass andere Leute schon dort gewesen waren. Überall waren Blut und Flecken zu sehen. Es war furchteinflössend.»
Subhi über den Ort, wo er gefoltert wurde

Die Polizei konnte Menschen aus irgendwelchen Gründen verhaften, belästigen oder angreifen. Dabei spielte es keine Rolle, wie man sich kleidete, wie man sprach oder wie man sich bewegte. Auch nicht, ob man überhaupt schwul war.

Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs lanciert die Regierung eine Anti-LGBT-Kampagne im Fernsehen. Parks und Cafés, die als beliebte Treffpunkte der Community gelten, werden geräumt. Einige Personen werden verhaftet und gefoltert, andere verschwinden spurlos.

Wer unter Folter gesteht, wird umgebracht

Als 2012 die al-Nusra-Front, ein Ableger der al-Qaida, die Kontrolle über Idlib gewinnt, verschlimmern sich die Umstände für LGBT-Menschen. Die Islamistengruppe statuiert ein Exempel an einem schwulen Mann und verkündet, die Stadt «von Sodomiten zu reinigen». Die Streifzüge nehmen zu, wer während der Folter seine Sünden gesteht, wird umgebracht.

«Ich hatte Angst, dass einer – oder alle – mich vergewaltigen und dann umbringen würden.»
Der homosexuelle Syrer Subhi

Mittlerweile studiert Subhi englische Übersetzung an der lokalen Universität. Eines morgens, als er sich auf dem Weg zu den Vorlesungen befindet, wird er an einem Checkpoint aufgegriffen. Zusammen mit anderen Studenten wird Subhi zu einem abgelegenen Haus in einem Waldstück gefahren. «Man sah sofort, dass andere Leute schon dort gewesen waren. Überall waren Blut und Flecken zu sehen. Es war furchteinflössend», erzählt Subhi.

Den Extremisten fällt auf, dass Subhi sich von den anderen unterscheidet. Während sie die anderen freilassen, behalten sie ihn zurück und befragen ihn weiter. Sie wollen wissen, weshalb er anders spricht und läuft.

Während dreissig Minuten beschimpfen und schlagen sie ihn. «Ich hatte Angst, dass einer – oder alle – mich vergewaltigen und dann umbringen würden», erinnert sich Subhi.

Wie durch ein Wunder lassen sie ihn wieder frei. Warum, weiss er bis heute nicht.

Unter Beobachtung des Vaters

Von nun an bleibt Subhi zu Hause. An die Uni zu gehen wäre ein zu grosses Risiko für ihn. Doch auch zu Hause fühlt er sich nicht sicher. Sein Vater beobachtet ihn auf Schritt und Tritt und lässt seine Wut an ihm aus.

Als Subhi eines Tages spät nach Hause kommt, eskaliert die Situation. Sein Vater packt ihn am Kopf und rammt ihn in die Glaskeramik der Küchentheke. Subhi zeigt auf die kleine Narbe am Kinn, die ihn für immer an diesen Abend erinnern wird.

«Ich wusste nicht, ob sie mit dem ‹IS› kooperierten, oder ob er sie unter Druck gesetzt hat. Ich wusste nur, dass ich nicht mehr sicher war.»
Subhi

Die gewalttätige Auseinandersetzung mit dem Vater animiert ihn zur Flucht. Mithilfe eines Freundes im Libanon organisiert er ein Taxi, dass ihn von Idlib über die Grenze ins knapp 350 Kilometer entfernte Beirut bringen soll. Der Taxifahrer ist eingeweiht und erhält strikte Anweisungen, die Formalitäten an der Grenze für Subhi zu erledigen. «Damit ich aufgrund meiner Art zu sprechen und zu gehen nicht wieder zur Zielscheibe werde», sagt er.

Über Beirut in die Türkei

Die Flucht läuft wie geschmiert und Subhi findet Zuschlupf in einem Safe-House für LGBT-Menschen in Beirut. Während sechs Monaten versucht er Arbeit zu finden und schreibt vereinzelt wieder Texte für diverse LGBT-Magazine.

«Die Türkei wird von Tag zu Tag unsicherer für LGBT-Menschen.»

Es ist März 2013, als sich Subhi entschliesst, in die Türkei weiterzuziehen. Er engagiert sich für diverse Organisationen, macht Übersetzungsarbeit und schreibt weiterhin für LGBT-Magazine. Er lernt die Arbeit von ORAM kennen und wird zu einem selbstbewussten Aktivist.

«Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich nicht mehr allein», erinnert sich Subhi. «Ich war umgeben von leidenschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich um mich und meine Freunde sorgten und uns beschützten wollten.»

«Mannschaft» ist das Schweizer Magazin für Schwule

Bild

Drohungen übers Handy

Doch die gefühlte Sicherheit währt nicht lange. Subhis LGBT-Aktivismus zieht die Blicke des «Islamischen Staats» auf ihn. Ein Bekannter aus seiner Heimatstadt Idlib, der sich der Extremistengruppe anschloss, erzählt einem gemeinsamen Freund, dass er Subhi umbringen werde.

Über sein Handy erhält er einen Drohanruf von einer türkischen Nummer. «Du weisst schon, wer wir sind», sagt ihm eine männliche Stimme. Er erkennt seinen Bekannten aus Idlib. Bis zu dreissig Anrufe erhält Subhi pro Tag, die er alle ignoriert.

«Meine Freunde fühlen sich einsam und haben Angst vor dem, was ihnen passieren könnte. Es ist dieselbe Einsamkeit und Angst, die ich einmal gefühlt habe.»
Subhi Nahas

Zur selben Zeit wird er von seiner Familie in Syrien kontaktiert. Er solle doch nach Hause kommen. «Ich wusste nicht, ob sie mit dem «IS» kooperierten, oder ob er sie unter Druck gesetzt hat. Ich wusste nur, dass ich nicht mehr sicher war», sagt Subhi. «Ich war verängstigt, denn in der Türkei können sich «IS»-Anhänger frei bewegen.»

Eine Freundin bringt Subhi in ein Safe-House. Zu diesem Zeitpunkt wird er vom Hochkommissariat für Menschenrechte UNHCHR als Flüchtling anerkannt und Subhi kann auf die Aufnahme in ein Neuansiedlungsprogramm warten.

Die Türkei ist nicht sicher für LGBT-Menschen

Im Juni 2015, zwei Jahre nach seiner Ankunft in der Türkei, beginnt Subhi sein neues Leben in den USA. Für ihn ist klar, dass er sich weiterhin für LGBT-Flüchtlinge engagieren will. Bei ORAM arbeitet er als Übersetzer, Grafiker und als Systemadministrator.

«In der Türkei gibt es mindestens 400 weitere syrische LGBT-Flüchtlinge, die auf eine sichere Weiterreise in einen Drittstaat warten», sagt Subhi. «Die Türkei wird von Tag zu Tag unsicherer für LGBT-Menschen.»

«Wir können nicht viel machen, um die Umstände von LGBT-Menschen in Syrien, im Irak oder anderen Ländern zu verbessern. Aber wir können denjenigen helfen, denen die Flucht gelungen ist.»

Subhi pflegt regelmässigen Kontakt zu seinen Freunden in der Türkei. Einige schickten ihm Fotos von Körperstellen, die während dem Polizeiangriff an der Istanbul Pride von Gummischrot getroffen wurden. Andere werden regelmässig Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt. Ein Aktivist wurde sogar in seiner Wohnung überfallen und vergewaltigt.

«No Place For Me»: Wenn Menschen wegen ihrer Sexualität flüchten müssen

Syrien und Irak sind «verlorene» Länder für LGBT-Menschen

«Meine Freunde fühlen sich einsam und haben Angst vor dem, was ihnen passieren könnte. Es ist dieselbe Einsamkeit und Angst, die ich einmal gefühlt habe», sagt Subhi.

Bei ORAM könne er sich dafür engagieren, dass Flüchtlinge einen sicheren Ort und eine neue Heimat finden. «Wir können nicht viel machen, um die Umstände von LGBT-Menschen in Syrien, im Irak oder anderen Ländern zu verbessern. Aber wir können denjenigen helfen, denen die Flucht gelungen ist.»

Diese 23 Bilder aus Syrien beweisen, dass gerade was komplett falsch läuft

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Die Lage an der syrisch-türkischen Grenze ist prekär. Rund 40'000 Menschen warten darauf, das Bürgerkriegsland zu verlassen.
quelle: x03674 / ammar abdullah
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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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NymeriasDream
13.02.2016 14:11registriert April 2015
Sehr interessanter Artikel. Danke. Mich würde noch interessieren, wie LGBT Flüchtlinge bei uns behandelt und geschützt werden. Als schwuler Mann auf engstem Raum in einer Unterkunft mit, teils streng gläubigen Männern (egal welche Glaubensrichtung!) zu Hausen, stelle ich mir relativ unangenehm und möglicherweise auch gefährlich vor... Vorallem auch, wenn ich daran denke, wie Menschen in meinem Umfeld, die sonst vernünftig und aufgeklärt zu sein scheinen, auf LGBT reagieren.
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PolloHermano
13.02.2016 15:54registriert Juni 2014
Für alle, die nicht wissen was LGBT-Menschen sind und bevor ihr es auch googeln müsst: Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender
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Der Beukelark
14.02.2016 09:35registriert Januar 2016
Ich frage mich immer wieder warum der Menschen nur so intolerant ist und nicht jeder jedem Glückseligkeit gönnt. Das Menschen wegen ihrer Art zu gehen, zu sprechen oder zu lieben, verfolgt und gefoltert werden, ist doch einfach schrecklich und ein Armutszeugnis für die Menschheit ansich. Eine hochentwickelte Spezies mit derart wenig Empathie und Verständnis für andersartiges hat sich irgendwie falsch entwickelt.
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