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Zwei Monate Gaza-Krieg: Wie es um das Ziel Israels steht

Israel will die Hamas auslöschen – eine Bilanz nach 2 Monaten Krieg

Wie nahe ist Israel seinem Ziel der Eliminierung der Hamas? Und wie realistisch ist dieses Ziel überhaupt? Eine Bilanz nach zwei Monaten.
07.12.2023, 07:0007.12.2023, 15:55
Lara Knuchel
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Heute vor zwei Monaten flammte der Israel-Gaza-Krieg mit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel neu auf. Nach dem Tod der 1200 Israelis am 7. Oktober, erklärte es sich Israel zum Ziel, die terroristische Hamas komplett zu zerstören. Seither läuft im Gaza-Streifen eine massive Offensive, sowohl mit Boden- als auch Luftangriffen.

Wie realistisch ist das Ziel Israels?

Mouin Rabbani, Forscher und Analyst, der sich auf den arabisch-israelischen Konflikt spezialisiert hat, sagt im Podcast The Intercept:

«[Die Hamas] ist eine tief verwurzelte Bewegung, die überall dort existiert, wo es heute palästinensische Gemeinden gibt. [...] Die Vorstellung, dass man diese Gruppe auslöschen kann, selbst wenn es gelingen sollte, jeden Quadratzentimeter des Gazastreifens zu erobern, ist eine Illusion.»

Hussein Ibish, Senior Resident Scholar am Arab Gulf States Institute in Washington, schlägt gegenüber France24 in dieselbe Kerbe:

«Israel schlägt lediglich um sich und will sich rächen. Das erklärte Kriegsziel der ‹Zerstörung der Hamas› ist nicht möglich, weil die Hamas ein Markenname und eine Idee ist, keine Liste von Personen oder Ausrüstung und Infrastruktur, die getötet oder zerstört werden können. Die Organisation wird überleben, egal, was Israel tut.»

Zwar gibt es auch Experten, die glauben, dass Israel zumindest nahe an sein erklärtes Ziel kommen kann. Guido Steinberg, deutscher Islam- und Terrorismusexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagte vor einigen Tagen in einem Interview dazu: «Ich glaube, es ist möglich, Hamas zu eliminieren. Das heisst, die meisten Hamas-Kämpfer sowie deren Schlüsselfiguren zu fassen oder zu töten.» Aber Steinberg sagt auch: «Die Hamas gänzlich zu eliminieren – im Sinne, dass sie Israel nicht wieder angreifen könnte, sollte der Krieg vorbei sein –, ist unmöglich.» Die Hamas werde auch nach dem Krieg aus ihrer Basis von Unterstützern weiter rekrutieren können.

epa06102345 An armed fighter of the Ezz-Al Din Al Qassam Brigades, the armed wing of Palestinian Hamas movement, attends a protest against the security measures at the Al-Aqsa mosque after the Muslim  ...
Die Hamas zu eliminieren – ein (praktisch) unmögliches Ziel: ein bewaffneter Kämpfer der Al-Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der islamistischen Terrorgruppe. Bild: EPA/EPA

Das amerikanische Magazin U.S. News & World Report verweist zudem darauf, dass die echten strategischen Führungskräfte der Hamas nicht in Gaza leben. Stattdessen geniessen sie luxuriöse Leben in Katar und reisen unbehelligt durch den Nahen Osten. Das Bombardieren der Terroristen im Gazastreifen bringt Israel seinem Ziel nur bedingt näher.

Je länger, desto unmöglicher

Die internationale Unterstützung, auf die Israel angewiesen ist – insbesondere derer aus den USA – beginnt arg zu bröckeln. Der «Economist» schreibt dazu: «Israel weiss, dass die Zeit und die Unterstützung für seine Offensive im Gazastreifen ablaufen – und dass es eine Reihe unmöglicher Ziele erreichen muss, bevor das passiert.»

So beginnt gerade die Kritik auf der internationalen Bühne derzeit immer vehementer zu werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte am vergangenen Samstag an der COP28-Klima-Konferenz:

«Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die israelischen Behörden ihre Ziele und ihr Endziel genauer definieren müssen: die totale Zerstörung der Hamas – glaubt jemand, dass das möglich ist? Wenn das der Fall ist, wird der Krieg 10 Jahre dauern.»

Zwar verstärkt die israelische Armee, zumindest gegen aussen, seinen Effort, zivile Opfer zu schützen. Seit dem 1. Dezember werden die Bewohner über die Medien, in Textnachrichten und durch Flugblätter, die von Flugzeugen abgeworfen werden, informiert: sowohl über die Zonen, in denen die Armee zu operieren gedenkt, als auch über «sichere Gebiete», in die sie evakuiert werden sollen. Doch ob das einen Effekt haben wird – und ob es überhaupt realistisch ist – ist unklar.

Nicht zuletzt kommt für Israel erschwerend hinzu, dass sich im Gazastreifen nach wie vor israelische Geiseln befinden. Es ist das erklärte Ziel der Regierung, sie alle zu befreien. Doch auch die Geiseln könnten jederzeit Opfer von Bombardierungen werden.

Der «Economist» fasst das Ziel Israels so zusammen:

«Die israelische Armee wird sich immer mehr bewusst, dass sie unter einer Kombination von unvereinbaren Erwartungen agiert: von Israels Politikern und seiner Öffentlichkeit, die wollen, dass sie die Hamas vernichtet; von den Familien der Geiseln, die ihre Angehörigen zurückhaben wollen; und von seinen internationalen Verbündeten, die weniger palästinensische Opfer und ein mögliches Ende dieses Krieges fordern.»

Wie steht es um die Umsetzung?

Gemäss Angaben dreier israelischen Sicherheitsbeamten gegenüber der Washington Post seien bisher 5000 Hamas getötet worden. Damit ist die Terrorgruppe mit einer geschätzten Grösse von 30'000 bis 40'000 Personen noch grösstenteils intakt. Doch auch die Zahl der toten Hamas-Kämpfer beruht bloss auf einer Schätzung, wie einer der Sicherheitsbeamten sagt:

«Wir arbeiten an den Informationen, analysieren sie und finden heraus, wie viele und wo sie getötet wurden.»

Viel höher ist die Zahl der zivilen Opfer im Gaza-Streifen: Gemäss Angaben der Hamas, sind im aktuellen Krieg bisher fast 16'000 Menschen getötet worden. Darüber schaut Israel allerdings hinweg: Immer wieder posten israelische Sicherheitsbeamte ihre Fortschritte auf X, wo sie Fotos getöteter Hamas-Terroristen zeigen.

Am Dienstagabend gab der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz bekannt, dass die Armee rund die Hälfte aller Bataillonskommandeure der Hamas getötet habe.

Israel sagt auch, man habe bereits Hunderte von Hamas-Tunneln zerstört. Aber: Die Terrororganisation hatte 16 Jahre Zeit, ein extensives Tunnel-Netz zu errichten, von man dem glaubt, dass es über den Gazastreifen reicht.

FILE - A Palestinian youth walks inside a tunnel used for military exercises during a weapon exhibition at a Hamas-run youth summer camp in Gaza City July 20, 2016. An extensive labyrinth of tunnels b ...
Noch steht ein grosser Teil der Hamas-Tunnel. Bild: keystone

Es wird vermutet, dass sich viele Hamas noch in stark befestigten Hochburgen im Norden des Gaza-Streifens verschanzen. Aus diesem Grund seien die Operationen im Norden noch längst nicht abgeschlossen, so sagte einer der Sicherheitsbeamten gegenüber der «Washington Post» weiter.

Dies, obwohl der Fokus der israelischen Armee bisher im Norden lag und dort bereits zwischen 47 und 59 Prozent aller Gebäude zerstört worden sind. Trotzdem sei noch immer ein Drittel von der im Norden liegenden Gaza-Stadt ausserhalb der Kontrolle der israelischen Streitkräfte, wie Michael Milshtein, ehemaliger Leiter der palästinensischen Abteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, sagt.

Die dort bereits bekannten Hochburgen, wie etwa Shejaiya, wo 2014 einige heftige Kämpfe stattgefunden hatten, seien zunächst umgegangen worden, schreibt die Washington Post. Satellitenbilder von Planet Labs zeigten wenig Anzeichen von israelischer Präsenz rund um Shejaiya – zumindest bis zum Ende der 7-tägigen humanitären Feuerpause am 1. Dezember.

Am Sonntag kündigte Avichay Adraee, der arabischsprachige Sprecher der israelischen Armee, die geplanten Angriffe auf die Region an und warnte:

«Dies ist eine endgültige Ankündigung: Ihr seid alle Ziele.»

Seit der Wiederaufnahme der Kämpfe wurden die Gebiete Schauplatz schwerer Bombardierungen und Angriffen. Oberstleutnant Richard Hecht, ein Sprecher des israelischen Militärs, räumt ein:

«Es wird ein langer Weg sein. Wir brauchen Zeit.»

Auch der Süden – insbesondere die zweitgrösste Stadt Gazas, Chan Junis – steht seit Neustem im Fokus Israels. Israel glaubt, dass sich Hamas-Anführer Jahia Sinwar und weitere ranghohe Offiziere dort im Untergrund aufhalten. Die Bodenoffensive im Süden dürfte laut der US-Regierung noch mehrere Wochen andauern. Wie der US-Fernsehsender CNN unter Berufung auf mehrere ranghohe US-Regierungsbeamte berichtete, könnte Israel demnach im Januar zu einer «weniger intensiven, stark lokalisierten Strategie übergehen», die auf bestimmte Hamas-Terroristen und -Anführer abziele.

Was ist das Ziel der Hamas?

Das erklärte Ziel der Hamas ist klar: Palästina soll befreit und der Staat Israel aufgelöst werden. Langfristige, konkrete Pläne hat die Hamas gemäss Expertinnen und Experten allerdings keine.

Mouin Rabbani erklärt im Podcast «The Intercept»:

«Ich habe den Eindruck, dass das strategische Ziel der Hamas, wenn man es in einem Satz zusammenfassen soll, darin besteht, den Status quo unwiderruflich zu zerstören. Hatten sie sehr klare Vorstellungen davon, was sie darüber hinaus wollten? Auf der taktischen Ebene, ja.»

So hätten sie etwa mit Absicht so viele israelische Soldaten und Zivilistinnen und Zivilisten entführt, um die Freilassung von palästinensischen Häftlingen zu erwirken. Aber ein klares, erreichbares Ziel darüber hinaus, haben sie gemäss dem Eindruck von Rabbani nicht.

Und danach?

Laut Hussein Ibish, dem Senior Resident Scholar am Arab Gulf States Institute in Washington, habe Israel «null Ahnung», was nach dem Ende des Kampfes passieren soll. Er glaube nicht, dass Israel über die «Zerstörungsphase» hinaus gedacht habe.

Dasselbe sagt auch Guido Steinberg, der deutsche Islam- und Terrorismusexperte: So wie es aussehe, habe Israel «absolut keine Ahnung», gerade darüber, was mit dem Gazastreifen geschehe, sollte Israel den Krieg gewinnen.

Das Magazin «Foreign Policy» sprach zu der Frage, wie es mit dem Gazastreifen weitergehen könnte, mit einem Dutzend aktueller und ehemaliger amerikanischer und israelischer Diplomaten und Geheimdienstmitarbeitenden, palästinensischen Wissenschaftlern sowie Kennern der Region. Alle hätten «tiefe Verunsicherung» zum Ausdruck gebracht. Durch die politischen, sicherheitspolitischen und diplomatischen Hindernisse zeichneten sich «allmählich eine Reihe düsterer Szenarien ab, die sich fast wie ein Ausschlussverfahren anhörten», so «Foreign Policy».

Zunächst würde, im Falle eines grossen Verlusts auf Seiten der Hamas, ein Machtvakuum entstehen. Wer das füllen könnte, ist unklar. Der naheliegendste Kandidat wäre die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die das Westjordanland verwaltet, meint der Bericht von «Foreign Policy». Aber auch das sei kompliziert: Es sei unklar, ob die PA überhaupt die Kapazität zur Führung hätte, meinen die Experten gegenüber der Zeitung. Und die überwältigende Mehrheit der Palästinenser halte die Palästinensische Autonomiebehörde für korrupt und ineffizient.

An Israeli military helicopter flies next to the Israeli-Gaza border, as seen from southern Israel, Wednesday, Dec. 6, 2023. (AP Photo/Ariel Schalit)
Was passiert danach mit dem Gazastreifen? Ein israelischer Helikopter an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Bild: keystone

Es sei grundsätzlich schwierig, sich ein Szenario für den Tag danach vorzustellen, in dem das israelische Militär nicht zumindest eine kurzfristige Präsenz vor Ort aufrechterhält – um zu verhindern, dass sich die letzten Reste der Hamas wieder formieren, und um die unmittelbare Situation zu stabilisieren.

Etwas längerfristig sehen die Experten gegenüber «Foreign Policy» die Möglichkeit, dass eine Koalition arabischer Staaten – potenzielle Unterzeichner des Abraham-Abkommens, mit denen Israel zusammenarbeiten kann – als Interimstruppe das Sicherheits- und Regierungsvakuum in Gaza mit Unterstützung der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen füllen könnte. Ami Ayalon, der ehemalige Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes, sagt:

«Ich kann mir vorstellen, dass ägyptische, jordanische und saudische Soldaten zusammen mit der internationalen Gemeinschaft die Region während einer Übergangsphase kontrollieren und dass die [Vereinigten Arabischen] Emirate und die Saudis eine riesige Geldsumme für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen werden.»

Auch Jamie Shea, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär für neu entstehende Sicherheitsherausforderungen bei der NATO, sagt, es würde ein unabhängiges Land geben müssen, das seine Dienste anbieten würde. Aber:

«Zunächst muss sich jedoch der Staub legen. Eine neue, zentristischere und gemässigtere israelische Regierung muss gebildet werden.»

Shea geht eher davon aus, dass die «Zurück zur Tagesordnung»-Hypothese, die wahrscheinlichste sei.

«Die Hamas wird zweifellos in irgendeiner Form weiter existieren, auch wenn sich ihre Führung ausserhalb des Gazastreifens befindet – ein Grossteil von ihr lebt bereits in Doha und wird von der Regierung von Katar unterstützt.»

Derweil werde Israel noch immer mit dem Konflikt zwischen Palästinensern im Westjordanland und den 200'000 Siedlern konfrontiert sein.

«Der Iran wird sich weiterhin unerbittlich gegen Israel stellen und alle israelfeindlichen Milizen von der Hamas und dem Islamischen Dschihad bis hin zur Hisbollah, den Houthis im Jemen und den verschiedenen islamistischen Gruppen in Syrien finanzieren, bewaffnen und ausbilden.»

Die «Zurück zur Tagesordnung»-Hypothese – sie erscheint immer wahrscheinlicher, schreibt auch ein «Foreign-Policy» -Kolumnist am 6. Dezember: «Alle scheinen sich einig zu sein, dass die Wiederbesetzung des Gazastreifens durch Israel eine schlechte Idee ist.» Die Regierung Biden habe die israelische Regierung bereits gewarnt, dass sie eine solche Rückkehr zur militärischen Verwaltung des Gebiets nicht unterstützen würde. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit einer erneuten israelischen Besetzung grösser, als viele vermuten, schreibt der Kolumnist. «Das liegt daran, dass die Israelis Sicherheit wollen und alle derzeitigen Ideen für den Gazastreifen entweder nicht praktikabel oder politisch unhaltbar sind (oder beides).»

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239 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Laborant
07.12.2023 07:21registriert November 2019
Wenn man den Gazastreifen von der Hamas befreit, die Menschen dort danach aber wieder in ihrem Elend ertrinken gelassen werden, ist es nur eine Frage der Zeit bis wieder Terror entsteht. Ob unter dem Namen Hamas oder einem anderen.
Ich frage mich allerdings ob die Palästinenser einen israelischen Mashallplan annehmen wollen, oder ob andere Länder schlichten müssten. Die Hamas gehört auf eine internationale Terrorliste gemeinsam mit Al-Kaida und ISIS.
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trollo
07.12.2023 06:24registriert Januar 2016
Welche Reaktionen Israels haben die Hamas und die Feiernden des Terrors vom 7. Oktober erwartet?
Anstatt zu feiern hätten die Restvernünftigen die Attentäter an Israel ausliefern können oder mindestens den Versuch dazu unternehmen sollen.
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Chibs
07.12.2023 09:21registriert April 2021
Wenn das Schicksal Palästinas auch nur einen Menschen in den arabischen und islamischen "Brudervölkern" interessieren würde, wäre das Leid der palästinensischen Bevölkerung längst Geschichte. Das tut es aber nicht. Viel lieber wird dieses Volk von ihren liebenden Brüdern und Schwestern in Syrien, Irak, SA, Jordanien, Ägypten, Iran etc. seit Jahrzehnten als Speerspitze des Terrors gegen Israel missbraucht.

Genau so wie das Problem NK innert Kürze von CN (und nur von CN) gelöst werden könnte, kann das Problem "Palästina" nur von der arabischen Welt gelöst werden.
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