Heute vor zwei Monaten flammte der Israel-Gaza-Krieg mit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel neu auf. Nach dem Tod der 1200 Israelis am 7. Oktober, erklärte es sich Israel zum Ziel, die terroristische Hamas komplett zu zerstören. Seither läuft im Gaza-Streifen eine massive Offensive, sowohl mit Boden- als auch Luftangriffen.
Mouin Rabbani, Forscher und Analyst, der sich auf den arabisch-israelischen Konflikt spezialisiert hat, sagt im Podcast The Intercept:
Hussein Ibish, Senior Resident Scholar am Arab Gulf States Institute in Washington, schlägt gegenüber France24 in dieselbe Kerbe:
Zwar gibt es auch Experten, die glauben, dass Israel zumindest nahe an sein erklärtes Ziel kommen kann. Guido Steinberg, deutscher Islam- und Terrorismusexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagte vor einigen Tagen in einem Interview dazu: «Ich glaube, es ist möglich, Hamas zu eliminieren. Das heisst, die meisten Hamas-Kämpfer sowie deren Schlüsselfiguren zu fassen oder zu töten.» Aber Steinberg sagt auch: «Die Hamas gänzlich zu eliminieren – im Sinne, dass sie Israel nicht wieder angreifen könnte, sollte der Krieg vorbei sein –, ist unmöglich.» Die Hamas werde auch nach dem Krieg aus ihrer Basis von Unterstützern weiter rekrutieren können.
Das amerikanische Magazin U.S. News & World Report verweist zudem darauf, dass die echten strategischen Führungskräfte der Hamas nicht in Gaza leben. Stattdessen geniessen sie luxuriöse Leben in Katar und reisen unbehelligt durch den Nahen Osten. Das Bombardieren der Terroristen im Gazastreifen bringt Israel seinem Ziel nur bedingt näher.
Die internationale Unterstützung, auf die Israel angewiesen ist – insbesondere derer aus den USA – beginnt arg zu bröckeln. Der «Economist» schreibt dazu: «Israel weiss, dass die Zeit und die Unterstützung für seine Offensive im Gazastreifen ablaufen – und dass es eine Reihe unmöglicher Ziele erreichen muss, bevor das passiert.»
So beginnt gerade die Kritik auf der internationalen Bühne derzeit immer vehementer zu werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte am vergangenen Samstag an der COP28-Klima-Konferenz:
Zwar verstärkt die israelische Armee, zumindest gegen aussen, seinen Effort, zivile Opfer zu schützen. Seit dem 1. Dezember werden die Bewohner über die Medien, in Textnachrichten und durch Flugblätter, die von Flugzeugen abgeworfen werden, informiert: sowohl über die Zonen, in denen die Armee zu operieren gedenkt, als auch über «sichere Gebiete», in die sie evakuiert werden sollen. Doch ob das einen Effekt haben wird – und ob es überhaupt realistisch ist – ist unklar.
Nicht zuletzt kommt für Israel erschwerend hinzu, dass sich im Gazastreifen nach wie vor israelische Geiseln befinden. Es ist das erklärte Ziel der Regierung, sie alle zu befreien. Doch auch die Geiseln könnten jederzeit Opfer von Bombardierungen werden.
Der «Economist» fasst das Ziel Israels so zusammen:
Gemäss Angaben dreier israelischen Sicherheitsbeamten gegenüber der Washington Post seien bisher 5000 Hamas getötet worden. Damit ist die Terrorgruppe mit einer geschätzten Grösse von 30'000 bis 40'000 Personen noch grösstenteils intakt. Doch auch die Zahl der toten Hamas-Kämpfer beruht bloss auf einer Schätzung, wie einer der Sicherheitsbeamten sagt:
Viel höher ist die Zahl der zivilen Opfer im Gaza-Streifen: Gemäss Angaben der Hamas, sind im aktuellen Krieg bisher fast 16'000 Menschen getötet worden. Darüber schaut Israel allerdings hinweg: Immer wieder posten israelische Sicherheitsbeamte ihre Fortschritte auf X, wo sie Fotos getöteter Hamas-Terroristen zeigen.
#عاجل جيش الدفاع والشاباك يكشفان عن توثيق خاص لقادة لواء شمال قطاع غزة ولواء غزة في حماس في صور لم يكشف عنها من داخل نفق لحماس؛ تمت تصفية معظم هؤلاء القادة خلال القتال وسحق قدراتهم
— افيخاي ادرعي (@AvichayAdraee) December 5, 2023
🔻لواء شمال غزة هو ثاني أكبر لواء حجمًا في منظمة حماس الإرهابية. خلال مهاجمة النفق الذي اختبأ فيه… pic.twitter.com/dT7zFn5ehU
Am Dienstagabend gab der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Pressekonferenz bekannt, dass die Armee rund die Hälfte aller Bataillonskommandeure der Hamas getötet habe.
Israel sagt auch, man habe bereits Hunderte von Hamas-Tunneln zerstört. Aber: Die Terrororganisation hatte 16 Jahre Zeit, ein extensives Tunnel-Netz zu errichten, von man dem glaubt, dass es über den Gazastreifen reicht.
Es wird vermutet, dass sich viele Hamas noch in stark befestigten Hochburgen im Norden des Gaza-Streifens verschanzen. Aus diesem Grund seien die Operationen im Norden noch längst nicht abgeschlossen, so sagte einer der Sicherheitsbeamten gegenüber der «Washington Post» weiter.
Dies, obwohl der Fokus der israelischen Armee bisher im Norden lag und dort bereits zwischen 47 und 59 Prozent aller Gebäude zerstört worden sind. Trotzdem sei noch immer ein Drittel von der im Norden liegenden Gaza-Stadt ausserhalb der Kontrolle der israelischen Streitkräfte, wie Michael Milshtein, ehemaliger Leiter der palästinensischen Abteilung des israelischen Militärgeheimdienstes, sagt.
Die dort bereits bekannten Hochburgen, wie etwa Shejaiya, wo 2014 einige heftige Kämpfe stattgefunden hatten, seien zunächst umgegangen worden, schreibt die Washington Post. Satellitenbilder von Planet Labs zeigten wenig Anzeichen von israelischer Präsenz rund um Shejaiya – zumindest bis zum Ende der 7-tägigen humanitären Feuerpause am 1. Dezember.
Am Sonntag kündigte Avichay Adraee, der arabischsprachige Sprecher der israelischen Armee, die geplanten Angriffe auf die Region an und warnte:
Seit der Wiederaufnahme der Kämpfe wurden die Gebiete Schauplatz schwerer Bombardierungen und Angriffen. Oberstleutnant Richard Hecht, ein Sprecher des israelischen Militärs, räumt ein:
Auch der Süden – insbesondere die zweitgrösste Stadt Gazas, Chan Junis – steht seit Neustem im Fokus Israels. Israel glaubt, dass sich Hamas-Anführer Jahia Sinwar und weitere ranghohe Offiziere dort im Untergrund aufhalten. Die Bodenoffensive im Süden dürfte laut der US-Regierung noch mehrere Wochen andauern. Wie der US-Fernsehsender CNN unter Berufung auf mehrere ranghohe US-Regierungsbeamte berichtete, könnte Israel demnach im Januar zu einer «weniger intensiven, stark lokalisierten Strategie übergehen», die auf bestimmte Hamas-Terroristen und -Anführer abziele.
Das erklärte Ziel der Hamas ist klar: Palästina soll befreit und der Staat Israel aufgelöst werden. Langfristige, konkrete Pläne hat die Hamas gemäss Expertinnen und Experten allerdings keine.
Mouin Rabbani erklärt im Podcast «The Intercept»:
So hätten sie etwa mit Absicht so viele israelische Soldaten und Zivilistinnen und Zivilisten entführt, um die Freilassung von palästinensischen Häftlingen zu erwirken. Aber ein klares, erreichbares Ziel darüber hinaus, haben sie gemäss dem Eindruck von Rabbani nicht.
Laut Hussein Ibish, dem Senior Resident Scholar am Arab Gulf States Institute in Washington, habe Israel «null Ahnung», was nach dem Ende des Kampfes passieren soll. Er glaube nicht, dass Israel über die «Zerstörungsphase» hinaus gedacht habe.
Dasselbe sagt auch Guido Steinberg, der deutsche Islam- und Terrorismusexperte: So wie es aussehe, habe Israel «absolut keine Ahnung», gerade darüber, was mit dem Gazastreifen geschehe, sollte Israel den Krieg gewinnen.
Das Magazin «Foreign Policy» sprach zu der Frage, wie es mit dem Gazastreifen weitergehen könnte, mit einem Dutzend aktueller und ehemaliger amerikanischer und israelischer Diplomaten und Geheimdienstmitarbeitenden, palästinensischen Wissenschaftlern sowie Kennern der Region. Alle hätten «tiefe Verunsicherung» zum Ausdruck gebracht. Durch die politischen, sicherheitspolitischen und diplomatischen Hindernisse zeichneten sich «allmählich eine Reihe düsterer Szenarien ab, die sich fast wie ein Ausschlussverfahren anhörten», so «Foreign Policy».
Zunächst würde, im Falle eines grossen Verlusts auf Seiten der Hamas, ein Machtvakuum entstehen. Wer das füllen könnte, ist unklar. Der naheliegendste Kandidat wäre die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die das Westjordanland verwaltet, meint der Bericht von «Foreign Policy». Aber auch das sei kompliziert: Es sei unklar, ob die PA überhaupt die Kapazität zur Führung hätte, meinen die Experten gegenüber der Zeitung. Und die überwältigende Mehrheit der Palästinenser halte die Palästinensische Autonomiebehörde für korrupt und ineffizient.
Es sei grundsätzlich schwierig, sich ein Szenario für den Tag danach vorzustellen, in dem das israelische Militär nicht zumindest eine kurzfristige Präsenz vor Ort aufrechterhält – um zu verhindern, dass sich die letzten Reste der Hamas wieder formieren, und um die unmittelbare Situation zu stabilisieren.
Etwas längerfristig sehen die Experten gegenüber «Foreign Policy» die Möglichkeit, dass eine Koalition arabischer Staaten – potenzielle Unterzeichner des Abraham-Abkommens, mit denen Israel zusammenarbeiten kann – als Interimstruppe das Sicherheits- und Regierungsvakuum in Gaza mit Unterstützung der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen füllen könnte. Ami Ayalon, der ehemalige Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes, sagt:
Auch Jamie Shea, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär für neu entstehende Sicherheitsherausforderungen bei der NATO, sagt, es würde ein unabhängiges Land geben müssen, das seine Dienste anbieten würde. Aber:
Shea geht eher davon aus, dass die «Zurück zur Tagesordnung»-Hypothese, die wahrscheinlichste sei.
Derweil werde Israel noch immer mit dem Konflikt zwischen Palästinensern im Westjordanland und den 200'000 Siedlern konfrontiert sein.
Die «Zurück zur Tagesordnung»-Hypothese – sie erscheint immer wahrscheinlicher, schreibt auch ein «Foreign-Policy» -Kolumnist am 6. Dezember: «Alle scheinen sich einig zu sein, dass die Wiederbesetzung des Gazastreifens durch Israel eine schlechte Idee ist.» Die Regierung Biden habe die israelische Regierung bereits gewarnt, dass sie eine solche Rückkehr zur militärischen Verwaltung des Gebiets nicht unterstützen würde. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit einer erneuten israelischen Besetzung grösser, als viele vermuten, schreibt der Kolumnist. «Das liegt daran, dass die Israelis Sicherheit wollen und alle derzeitigen Ideen für den Gazastreifen entweder nicht praktikabel oder politisch unhaltbar sind (oder beides).»
Ich frage mich allerdings ob die Palästinenser einen israelischen Mashallplan annehmen wollen, oder ob andere Länder schlichten müssten. Die Hamas gehört auf eine internationale Terrorliste gemeinsam mit Al-Kaida und ISIS.
Anstatt zu feiern hätten die Restvernünftigen die Attentäter an Israel ausliefern können oder mindestens den Versuch dazu unternehmen sollen.
Genau so wie das Problem NK innert Kürze von CN (und nur von CN) gelöst werden könnte, kann das Problem "Palästina" nur von der arabischen Welt gelöst werden.