Im Morgengrauen des 7. Oktobers 2023 dringen Hunderte Kämpfer der radikalislamischen Hamas vom Gazastreifen aus in den Süden Israels ein. Mit Sprengstoff und Bulldozern durchbrechen sie die Befestigungsanlage an der Grenze und dringen mit Motorrädern, Pickups und Motor-Gleitschirmen ins Nachbarland ein.
In rund 50 Ortschaften sowie auf dem Nova-Musikfestival werden am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, der an diesem Tag zudem mit dem jüdischen Feiertag Simchat Tora zusammenfiel, gemäss israelischen Angaben 1205 Menschen getötet. 251 weitere werden zudem als Geiseln verschleppt.
Panik und Verwirrung sind zunächst gross: Die Lage ist unübersichtlich, niemand weiss in den ersten Tagen nach dem sorgfältig geplanten Überfall, was genau passiert, wer tot und wer noch am Leben ist. Viele Verwandte suchen verzweifelt nach ihren Angehörigen.
Erst mehrere Tage später wird das Ausmass klar. Unter den 251 Geiseln aus 239 Familien befinden sich auch Betagte, Frauen und Kinder. Das jüngste Opfer ist nur neun Monate alt, die Eltern und der knapp vier Jahre ältere Bruder werden ebenfalls entführt. Längst nicht alle Geiseln stammen aus Israel, 138 besitzen (manchmal zusätzlich zum israelischen) einen ausländischen Pass.
Rund 54 Verschleppte sind Thailänder, die als Arbeiter auf israelischen Feldern in der Region um den Gazastreifen tätig sind. Ungefähr 15 stammen aus Argentinien, 12 sind deutsche Staatsbürger, auch einige US-Amerikaner, Russen und Franzosen werden entführt. Eine verlässliche Liste wird aber nie veröffentlicht.
Zwar machen sich die israelischen Streitkräfte (IDF) umgehend auf die Suche nach den Geiseln, doch für viele kommt jede Hilfe zu spät. 37 der Entführten werden noch am 7. Oktober und in den Wochen danach getötet, wie sich später herausstellt. Darunter auch die 22-jährige Deutsch-Israelin Shani Louk, die mit ihrem Freund das Nova-Festival besucht hatte und deren leblosen Körper die Hamas-Terroristen auf einem Pickup durch Gaza-Stadt fuhren, wie ein vielbeachtetes Video damals zeigte.
Mit dem Ziel, die Hamas komplett auszulöschen und alle Geiseln zu befreien, beginnt die israelische Armee ab dem 27. Oktober mit ihrer Bodenoffensive in den Gazastreifen. Insgesamt können während Militäroperationen aber nur acht Geiseln befreit werden, drei werden gar durch «Friendly Fire» getötet.
105 der insgesamt 117 Verschleppten, die bis heute lebend nach Israel zugebracht werden konnten, werden im Rahmen eines Gefangenenaustauschs unter der Vermittlung von Ägypten und Katar freigelassen. Im Austausch gegen palästinensische Häftlinge kommen während einer Waffenruhe im November vor allem Frauen und Kinder, aber auch eine grosse Gruppe Thailänder frei. Gemäss der britischen Tageszeitung «The Guardian» mussten die Opfer auch Wochen später noch intensiv psychiatrisch behandelt werden, da sie schlimmste Misshandlungen und Traumata erlitten hätten.
Für viele ist der Albtraum aber nicht vorbei. Gemäss den israelischen Behörden befinden sich aktuell (Stand: 1. Oktober 2024) noch 97 der am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln in den Händen der Hamas. Für sie gibt es aktuell wenig Hoffnung: Indirekte Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza und die mögliche Freilassung weiterer Geiseln verliefen zuletzt erfolglos.
Immer wieder gibt es zudem Hiobsbotschaften. Beispielsweise Anfang September, als die israelischen Streitkräfte die Leichen von sechs jungen Geiseln in einem Tunnel im Gazastreifen entdecken. Wie sich später herausstellt, haben die Terroristen ihre Gefangenen wohl nur Stunden vor dem Eintreffen der Streitkräfte exekutiert. Ein Video zeigte, wie eine der getöteten Geiseln zu einem unbekannten Zeitpunkt vor ihrem Tod um ihre Freilassung fleht.
Zudem verkündete ein Hamas-Sprecher, dass man neue Anweisungen herausgegeben habe, wie mit den Geiseln umzugehen sei, wenn sich die israelische Armee nähere – und deutete damit an, dass auch weiteren Geiseln die Erschiessung droht, sollten Israel versuchen, sie zu befreien.
Mit dem Kriegsausbruch im Libanon wird die Lage für die verbliebenen Geiseln nicht einfacher, denn der Fokus der Öffentlichkeit liegt nun plötzlich woanders. Für 33 von ihnen kommt ohnehin jede Hilfe zu spät. Die israelischen Streitkräfte gehen davon aus, dass sie von der Hamas bereits exekutiert worden sind.