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Zweiter Angriff auf Flüchtlingslager Dschabaliya – das wissen wir

Palestinians look for survivors among the rubble of destroyed buildings following Israeli airstrikes on Jabaliya refugee camp on the outskirts of Gaza City, Tuesday, Oct. 31, 2023. (AP Photo/Abdul Qad ...
Palästinenser suchen in riesigen Kratern nach Überlebenden.Bild: keystone

Zweiter Angriff auf Flüchtlingslager Dschabaliya – das wissen wir

Riesige Krater, eingestürzte Gebäude, aneinandergereihte Leichensäcke: Das Flüchtlingslager Dschabaliya bietet ein Bild der Zerstörung. Am Dienstagnachmittag wurde es erstmals zur Zielscheibe Israels, am Mittwoch folgte der nächste Angriff. Was wir darüber wissen.
02.11.2023, 04:51
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Was ist passiert?

Bei einem Grossangriff des israelischen Militärs am Dienstag auf Dschabaliya im Norden des Gazastreifens sind zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Am Mittwoch wurde das verwüstete Viertel erneut getroffen. Das berichteten mehrere internationale Medien, darunter die «New York Times» und CNN.

Bei dem Schlag am Dienstag wurden nach Angaben des israelischen Militärs am Dienstag rund 50 Terroristen getötet, darunter ein Drahtzieher des Massakers der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober.

Dr. Atef al-Kahlout, der Direktor des indonesischen Krankenhauses in Gaza, sagte am Mittwoch gegenüber CNN, dass nach dem Angriff mindestens 80 Leichen im Krankenhaus eingetroffen seien und dass weitere aus den Trümmern geborgen würden.

Gemäss al-Kahlout seien die meisten Opfer Frauen und Kinder. Hunderte weitere Menschen seien verletzt worden.

Palestinians look from windows at the damage caused by Israeli airstrikes in Jabaliya refugee camp, northern Gaza Strip, Wednesday, Nov. 1, 2023. When Secretary of State Antony Blinken was asked this  ...
Palästinenser schauen aus den Fenstern auf die durch israelische Luftangriffe verursachten Schäden im Flüchtlingslager Dschabaliya im nördlichen Gazastreifen, Mittwoch, 1. November 2023. Bild: keystone

Gemäss der Nachrichtenagentur AFP habe man nach dem ersten Angriff am Dienstag auf Videoaufnahmen vom Unglücksort mindestens 47 Leichen ausmachen können, die aus den Trümmern gezogen worden seien.

Was sagt Israel?

Das israelische Militär sprach von einem «gross angelegten Angriff» auf eine «militärische Hochburg der Hamas» im Westen der Stadt Dschabaliya. Dort seien unter anderem Terroristen ausgebildet worden.

Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) erklärten, sie hätten bei den Angriffen am Mittwoch Muhammad A'sar, den Kommandeur der Hamas-Panzerabwehrraketenanlage, getötet.

Bei den Angriffen am Dienstag stand der hochrangige Hamas-Kommandeur Ibrahim Biari im Visier. Er soll gemäss Israel unter anderem an den Hamas-Massakern im israelischen Grenzgebiet von vor dreieinhalb Wochen beteiligt gewesen sein.

In Dschabaliya soll er sich zwischen Zivilisten versteckt haben, was eine häufige Taktik der Hamas sei, so das israelische Militär. Zudem habe die islamistische Organisation in der Gegend die Kontrolle über zivile Gebäude gehabt, hiess es weiter.

Er und eine grosse Zahl anderer Terroristen sei bei dem Angriff getötet worden. Zudem seien Tunnels eingestürzt, welche von der Hamas als unterirdische Infrastruktur benutzt worden seien. Ob Biari wirklich tot ist und ob er sich da befunden hat, lässt sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Angesprochen auf die vielen zivilen Opfer, die der Angriff gefordert hatte, sagte der Sprecher des israelischen Militärs Richard Hecht zu CNN:

«Das ist die Tragödie des Krieges.»

Was sagt die Hamas?

Die Hamas bestreitet vehement, dass sich einer ihrer Anführer im Flüchtlingslager aufgehalten hätte. Hazem Qassem, der Sprecher der militanten Gruppe, wirft Israel vor, mit dieser Angabe das «abscheuliche Verbrechen gegen sichere Zivilisten, Kinder und Frauen im Lager Dschabaliya» rechtfertigen zu wollen.

Gemäss Angaben der islamistischen Terrororganisation Hamas sind an beiden Tagen mindestens 195 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Demnach würden noch über hundert Menschen unter den Trümmern vermisst, über 700 weitere seien verletzt. Das teilte die Pressestelle der von der Hamas geführten Verwaltung im Gazastreifen mit. Unter den Toten solle sich laut der Hamas aber kein ranghoher Kommandeur befinden. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

A man sits on the rubble as others wander among debris of buildings that were targeted by Israeli airstrikes in Jabaliya refugee camp, northern Gaza Strip, Wednesday, Nov. 1, 2023. (AP Photo/Abed Khal ...
Ein Mann sitzt auf Gebäudetrümmern und schaut auf das riesige Loch, das die Bomben im dicht besiedelten Dschabliya hinterlassen haben.Bild: keystone

Was sagen die Leute vor Ort?

Am Mittwoch dauerten die Rettungsarbeiten noch immer an. Die Rettungsteams haben jedoch Mühe, sich in dem Gebiet fortzubewegen. Die Strassen sind teilweise so schmal, dass kein Auto dazwischen passt. Zudem fehlt ihnen das Benzin für den Betrieb von Maschinen. Aus diesem Grund graben und helfen die Menschen noch immer mit blossen Händen.

Der Schock nach dem Angriff sitzt tief. Es habe sich angefühlt wie ein Erdbeben, erzählte Einwohner Ragheb Aqal der Nachrichtenagentur AFP.

«Ich ging hin und sah die Zerstörung. Häuser, die unter den Trümmern begraben waren, Leichenteile, Märtyrer und Verwundete in grosser Zahl.»

Mohammad Ibrahim sei gerade in einer Schlange gestanden, um Brot zu kaufen, als plötzlich sechs bis acht Bomben gefallen seien. Gegenüber CNN erzählt er:

«Da waren sieben bis acht riesige Löcher im Boden, voll mit getöteten Menschen, überall Leichenteile. Es fühlte sich an wie das Ende der Welt.»

Ein Video der nächstgelegenen medizinischen Einrichtung von Dschabaliya zeigt, wie sich Leichen vor dem Gebäude aneinanderreihen. Drinnen warten währenddessen verletzte Menschen darauf, behandelt zu werden.

EDS NOTE: GRAPHIC CONTENT - In this frame grab from video, covered bodies lie outside an Indonesian hospital following Israeli airstrikes at the Jabaliya refugee camp on Gaza City?s outskirts, Tuesday ...
Ein Screenshot des Videos, das die Leichensäcke vor dem Spital zeigt.Bild: keystone

Viele von ihnen werden auf dem Boden versorgt, da das Spital bereits komplett überfüllt ist. Zum Teil werden deshalb auch Menschen zum Al-Shifa-Spital transportiert. Das Spital also, unter dem sich laut israelischen Angaben eine Hauptzentrale der Hamas befinden soll. Das Al-Shifa ist allerdings ebenso voll. Eine junge Ärztin erzählt gegenüber CNN:

«Kleine Kinder kamen mit tiefen Wunden und schweren Verbrennungen in das Spital. Sie kamen ohne ihre Familien. Viele schrien und fragten nach ihren Eltern. Ich blieb bei ihnen, bis wir einen Platz finden konnten, denn das Spital war voll mit Patienten.»

Wie leben die Menschen in Dschabaliya?

Gemäss der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency), einem Hilfswerk der Vereinten Nationen (UN) für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten, gibt es in Gaza acht anerkannte Flüchtlingslager – Dschabaliya ist das grösste davon. Es wurde nach dem Krieg von 1948 errichtet, erstreckt sich über eine Fläche von 1,4 km² und beheimatet 116'000 registrierte Flüchtlinge.

Das Flüchtlingslager kämpft mit einem Mangel an Wohnraum, hoher Arbeitslosigkeit und schlechten hygienischen Verhältnissen. Laut der UNRWA sind 90 Prozent des Wassers nicht trinkbar.

Dschabaliya ist das Lager, das am nächsten zum Erez-Grenzübergang liegt – der derzeit einzige Grenzübergang auf dem Landweg zwischen dem Gazastreifen und Israel. Die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung hat keinen Anspruch auf eine Ausreisegenehmigung. Aus- und einreisen darf nur, wer zu bestimmten, von Israel definierten Kategorien gehört.

Viele Möglichkeiten bleiben der palästinensischen Bevölkerung also nicht. Der Sprecher des israelischen Militärs Richard Hecht rief die palästinensische Bevölkerung einmal mehr auf, den Norden des Landes zu verlassen und sich in den Süden des Landes zu evakuieren.

Mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa.

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154 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Hyper80
01.11.2023 11:06registriert Juni 2020
Furchtbare Bilder. Es ist grausam und unmenschlich wieviele Zivilisten in diesem Krieg geopfert werden.
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Hundshalter Leno
01.11.2023 11:43registriert September 2023
Wie immer, Aussage gegen Aussage. Aber egal wer da recht hat, jedes zivile Opfer ist ein Opfer zu viel. Kann man Israel für ihr Vorgehen kritisieren? Definitiv. Kann man die Hamaskämpfer kritisieren die sich an solchen Orten niederlassen? Definitiv.
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Zamorano1
01.11.2023 16:42registriert Oktober 2021
So vernichtet man die Hamas bestimmt nicht. Nein, genau dies ist hilft der Hamas immer wieder Nachwuchs zu finden. Wo keine Zukunft ist, wo die Eltern, Schwestern und Brüder getötet wurden, da ist der Wut gross und der Terror auf neiden Seiten geht weiter und weiter!
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