Bei einem Grossangriff des israelischen Militärs am Dienstag auf Dschabaliya im Norden des Gazastreifens sind zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Am Mittwoch wurde das verwüstete Viertel erneut getroffen. Das berichteten mehrere internationale Medien, darunter die «New York Times» und CNN.
Bei dem Schlag am Dienstag wurden nach Angaben des israelischen Militärs am Dienstag rund 50 Terroristen getötet, darunter ein Drahtzieher des Massakers der islamistischen Hamas in Israel vom 7. Oktober.
Dr. Atef al-Kahlout, der Direktor des indonesischen Krankenhauses in Gaza, sagte am Mittwoch gegenüber CNN, dass nach dem Angriff mindestens 80 Leichen im Krankenhaus eingetroffen seien und dass weitere aus den Trümmern geborgen würden.
Gemäss al-Kahlout seien die meisten Opfer Frauen und Kinder. Hunderte weitere Menschen seien verletzt worden.
Gemäss der Nachrichtenagentur AFP habe man nach dem ersten Angriff am Dienstag auf Videoaufnahmen vom Unglücksort mindestens 47 Leichen ausmachen können, die aus den Trümmern gezogen worden seien.
Das israelische Militär sprach von einem «gross angelegten Angriff» auf eine «militärische Hochburg der Hamas» im Westen der Stadt Dschabaliya. Dort seien unter anderem Terroristen ausgebildet worden.
Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) erklärten, sie hätten bei den Angriffen am Mittwoch Muhammad A'sar, den Kommandeur der Hamas-Panzerabwehrraketenanlage, getötet.
Bei den Angriffen am Dienstag stand der hochrangige Hamas-Kommandeur Ibrahim Biari im Visier. Er soll gemäss Israel unter anderem an den Hamas-Massakern im israelischen Grenzgebiet von vor dreieinhalb Wochen beteiligt gewesen sein.
In Dschabaliya soll er sich zwischen Zivilisten versteckt haben, was eine häufige Taktik der Hamas sei, so das israelische Militär. Zudem habe die islamistische Organisation in der Gegend die Kontrolle über zivile Gebäude gehabt, hiess es weiter.
Er und eine grosse Zahl anderer Terroristen sei bei dem Angriff getötet worden. Zudem seien Tunnels eingestürzt, welche von der Hamas als unterirdische Infrastruktur benutzt worden seien. Ob Biari wirklich tot ist und ob er sich da befunden hat, lässt sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.
Angesprochen auf die vielen zivilen Opfer, die der Angriff gefordert hatte, sagte der Sprecher des israelischen Militärs Richard Hecht zu CNN:
Die Hamas bestreitet vehement, dass sich einer ihrer Anführer im Flüchtlingslager aufgehalten hätte. Hazem Qassem, der Sprecher der militanten Gruppe, wirft Israel vor, mit dieser Angabe das «abscheuliche Verbrechen gegen sichere Zivilisten, Kinder und Frauen im Lager Dschabaliya» rechtfertigen zu wollen.
Gemäss Angaben der islamistischen Terrororganisation Hamas sind an beiden Tagen mindestens 195 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Demnach würden noch über hundert Menschen unter den Trümmern vermisst, über 700 weitere seien verletzt. Das teilte die Pressestelle der von der Hamas geführten Verwaltung im Gazastreifen mit. Unter den Toten solle sich laut der Hamas aber kein ranghoher Kommandeur befinden. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Am Mittwoch dauerten die Rettungsarbeiten noch immer an. Die Rettungsteams haben jedoch Mühe, sich in dem Gebiet fortzubewegen. Die Strassen sind teilweise so schmal, dass kein Auto dazwischen passt. Zudem fehlt ihnen das Benzin für den Betrieb von Maschinen. Aus diesem Grund graben und helfen die Menschen noch immer mit blossen Händen.
Der Schock nach dem Angriff sitzt tief. Es habe sich angefühlt wie ein Erdbeben, erzählte Einwohner Ragheb Aqal der Nachrichtenagentur AFP.
Mohammad Ibrahim sei gerade in einer Schlange gestanden, um Brot zu kaufen, als plötzlich sechs bis acht Bomben gefallen seien. Gegenüber CNN erzählt er:
Ein Video der nächstgelegenen medizinischen Einrichtung von Dschabaliya zeigt, wie sich Leichen vor dem Gebäude aneinanderreihen. Drinnen warten währenddessen verletzte Menschen darauf, behandelt zu werden.
Viele von ihnen werden auf dem Boden versorgt, da das Spital bereits komplett überfüllt ist. Zum Teil werden deshalb auch Menschen zum Al-Shifa-Spital transportiert. Das Spital also, unter dem sich laut israelischen Angaben eine Hauptzentrale der Hamas befinden soll. Das Al-Shifa ist allerdings ebenso voll. Eine junge Ärztin erzählt gegenüber CNN:
Gemäss der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency), einem Hilfswerk der Vereinten Nationen (UN) für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten, gibt es in Gaza acht anerkannte Flüchtlingslager – Dschabaliya ist das grösste davon. Es wurde nach dem Krieg von 1948 errichtet, erstreckt sich über eine Fläche von 1,4 km² und beheimatet 116'000 registrierte Flüchtlinge.
Das Flüchtlingslager kämpft mit einem Mangel an Wohnraum, hoher Arbeitslosigkeit und schlechten hygienischen Verhältnissen. Laut der UNRWA sind 90 Prozent des Wassers nicht trinkbar.
Dschabaliya ist das Lager, das am nächsten zum Erez-Grenzübergang liegt – der derzeit einzige Grenzübergang auf dem Landweg zwischen dem Gazastreifen und Israel. Die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung hat keinen Anspruch auf eine Ausreisegenehmigung. Aus- und einreisen darf nur, wer zu bestimmten, von Israel definierten Kategorien gehört.
Viele Möglichkeiten bleiben der palästinensischen Bevölkerung also nicht. Der Sprecher des israelischen Militärs Richard Hecht rief die palästinensische Bevölkerung einmal mehr auf, den Norden des Landes zu verlassen und sich in den Süden des Landes zu evakuieren.
Mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa.