Hassan Jabareen lächelt und bittet in sein winziges Büro in der israelischen Küstenstadt Haifa. Jabareen, ein kleiner, rundlicher Mann mit Vollbart und Schiebermütze, lässt Kaffee mit Kardamom bringen.
«Wir hatten schon häufiger Krisen, aber so schlimm war es noch nie», sagt der 59-Jährige und nippt an dem kleinen Plastikbecher. Der Araber mit palästinensischen Wurzeln leitet die Organisation Adalah (arabisch für «Gerechtigkeit») in Haifa, die sich laut eigenen Angaben für die Rechte der arabisch-israelischen Minderheit einsetzt.
Knapp 20 Prozent der Israelis sind Araber, sie sind Nachfahren der Palästinenser auf dem Gebiet des historischen Palästina, von dem ein Teil 1948 im neu gegründeten Staat Israel aufging. Sie besitzen einen israelischen Pass, sind also israelische Staatsbürger und doch zerrissen in ihrer Loyalität. Mal werden sie als arabische Israelis bezeichnet, mal als israelische Palästinenser. Schon das zeigt: Ihre Lage ist besonders heikel in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.
Wie erleben sie die aktuelle Eskalation des Konflikts, der sich in einen regionalen Flächenbrand ausweiten könnte? Stehen sie hinter ihrem Staat Israel, der die Hamas auslöschen will – oder fühlen sie sich eher den Palästinensern verbunden, denen im Gazastreifen eine humanitäre Katastrophe droht?
Jabareen und sein Team von knapp 25 Mitarbeitern leisten vor allem Rechtshilfe für Araber in Israel, begleiten Gerichtsverfahren, klagen gegen Diskriminierung. Denn Israel, so der Vorwurf, verletze immer wieder die Rechte seiner arabischen Staatsbürger. Vor allem die Regierung von Benjamin Netanjahu habe die Diskriminierung arabischer Israelis in Windeseile verschärft, beklagt Jabareen. Doch Israel ist ein Rechtsstaat – anders als viele seiner arabischen Nachbarländer – und entsprechend können Menschenrechtler wie Jabareen vor Gericht ziehen, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen.
Jabareen spricht leise, fast andächtig, als trüge er eine grosse Last. «Es ist eine gefährliche Zeit», sagt der Anwalt, er spüre, dass sich «etwas Finsteres» zusammenbraue. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und den darauffolgenden israelischen Luftangriffen auf Gaza hätten sich die Spannungen zwischen Juden und Arabern im Land verschärft, sagt er. Die Lage für die Araber in Israel ist seitdem noch schwieriger geworden.
Nun, da in Gaza auch noch ein Krankenhaus von einer Rakete getroffen wurde und die Palästinenser Israel die Schuld daran geben, fürchtet Jabareen, werde die israelische Gesellschaft vollends «explodieren».
Israel bestreitet, für den Angriff auf die Klinik verantwortlich zu sein. Das israelische Militär veröffentlichte am Mittwochmorgen unter anderem Drohnenaufnahmen und abgehörte Telefonate, die darauf hindeuten, dass eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad, einer anderen palästinensischen Terrorgruppe in Gaza, die Explosion verursacht hat. Doch Jabareen misstraut der israelischen Armee. «Israel ist für das Töten der Zivilisten in dem Krankenhaus verantwortlich», glaubt er.
Jabareen befürchtet, dass israelische Araber nun immer mehr zur Zielscheibe werden. «Rechte Extremisten, unterstützt von der Regierung Netanjahu», verbreiteten vor allem im Netz viel Hetze. «Sie sagen Dinge wie: ‹Die Araber sind die fünfte Kolonne›, dass man ihnen nicht trauen könne oder dass es an der Zeit sei, sie zu deportieren». Organisierte Gruppen in sozialen Medien würden «Verdächtige» markieren und deren Telefonnummer, Adresse und manchmal sogar die Namen ihrer Familienmitglieder veröffentlichen, sagt Jabareen.
Andere würden wegen eines Facebook-Posts bei ihrer Universität oder ihrem Arbeitgeber denunziert. Ein Mandant drohe etwa von der Uni zu fliegen – er habe gepostet, Israel sei barbarisch, weil es den Gazastreifen bombardiere. Staat und Gesellschaft gingen «immer repressiver» gegen die arabische Minderheit in Israel vor, sagt Jabareen, fast jede Kritik an der Regierung werde zurzeit als Unterstützung für die Hamas ausgelegt.
Durch das Fenster von Jabareens Büro kann man auf den Hafen von Haifa blicken. Vögelschwärme ziehen über ein Getreidesilo. Die Mittelmeermetropole gilt als eine der Städte in Israel, in der Araber und Juden weitgehend friedlich zusammenleben. Jabareen sieht darin ein Ideal für das ganze Land. Doch er findet, ohne Gerechtigkeit gebe es auch keinen Frieden.
«Der Angriff der Hamas gegen israelische Zivilisten am 7. Oktober war brutal und durch nichts zu rechtfertigen», sagt Jabareen. Er lehne die Hamas ab, so wie seiner Meinung nach die meisten der rund 1,2 Millionen Araber in Israel. Doch viele hier fühlten auch den Schmerz der Palästinenser, die «seit 56 Jahren unter israelischer Besatzung» lebten, so Jabareen. Und:
Das Leid der Palästinenser könne nicht weggebombt werden, sagt Jabareen. Ebenso wenig die Tatsache, dass die Hamas wohl weiterhin die Vertreterin der Palästinenser im Gazastreifen bleiben wird – auch nach dem Massaker.
Aber hat die Hamas den Interessen der Palästinenser nicht geschadet? «Natürlich», sagt Jabareen, «das ist ja das Schlimme!» Die Palästinenser würden «zerquetscht» zwischen der Gewalt der Hamas und der des israelischen Staates. Welchen militärischen Sinn habe es zum Beispiel, zwei Millionen Palästinensern das Wasser abzustellen, fragt er. «Israel ist auf Rache aus, doch Rache ist illegal.»
Auch Kamil Mansur blickt düster in die Zukunft. «Wir ziehen von einem Krieg in den nächsten», sagt der Unternehmer aus Gisch. Aus dem arabischen Dorf im Norden Israels, nicht weit von der libanesischen Grenze, sei alles Leben verschwunden, sagt Mansur – Geschäfte, Restaurants, alles sei geschlossen. Auch die Menschen verliessen ihre Heimat, so der 38-Jährige.
Mansur lebt mit seiner Frau Tamam und seinen drei Kindern in Gisch, wie die meisten Einwohner des aramäischen Dorfes ist er Christ. Seit die Hamas Israel den Krieg erklärt hat, ist er arbeitslos. In seine Pension gleich hinter dem Haus komme niemand mehr und seine Reiseagentur «Jish Tours», die Flüge nach Europa und in den Nahen Osten anbietet, sei geschlossen.
Langsam denke auch er darüber nach, das Dorf zu verlassen, sagt Mansur. «Vielleicht nach Deutschland oder Kanada. Irgendwohin, wo ich und meine Familie eine Zukunft haben.» Nicht nur der Krieg mache ihm zu schaffen. «Als Araber in Israel ist man Bürger zweiter Klasse», sagt Mansur.
Er sei enttäuscht von der israelischen Regierung, aber auch vom jüdischen Teil der Gesellschaft. «Ich fühle mich israelisch, spreche sehr gut Hebräisch, zahle Steuern, habe jüdische Freunde. Doch sobald ein Konflikt da ist, bin ich Araber. Wie ein Feind im Inneren.» Er werde genötigt, Position zur Hamas zu beziehen, oder behandelt, als wäre er kein richtiger Israeli. Die Netanjahu-Regierung giesse zusätzlich Öl ins Feuer, sagt Mansur, indem sie Araber per se verdächtige, mit Terroristen zu sympathisieren.
Dabei lehnten die meisten israelischen Araber die Hamas ab, sagt auch Mansur. Gaza sei zwar das grösste Gefängnis der Welt, aber wenn man die Hamas freiliesse, wäre es das Ende des Staates Israel. Als Araber sei Israel nicht das angenehmste Land, aber als Christ noch die beste Option im Nahen Osten. Er sagt:
Ein dumpfer Schlag ertönt im Tal. «Das sind unsere», sagt Mansur und meint die israelische Artillerie, die vermutlich gerade eine Granate in den Libanon abgefeuert hat. Die IDF («israelische Verteidigungskräfte») und die Hisbollah-Miliz liefern sich seit Tagen eine Art «Wie du mir, so ich dir»-Gefecht an der Nordgrenze, bei dem beide Seiten bemüht scheinen, eine Eskalation zu vermeiden. Noch. Mansur weiss, dass sich das jederzeit ändern könnte.
Yoseph Haddad geht noch einen Schritt weiter. «Alles, was jetzt in Gaza passiert, ist die Schuld der Hamas.» Die Kritik an der israelischen Luftwaffe, sie würde zu weit gehen und in Gaza ganze Häuserblocks dem Erdboden gleichmachen, weist der 37-Jährige die Vorwürfe empört zurück. «Zu weit? Nicht weit genug», sagt Haddad am Telefon.
Auch für die Explosion Dienstagnacht in einem Krankenhaus von Gaza seien die «Terroristen» verantwortlich, sagt Haddad: der Islamische Dschihad, weil er Raketen von Wohngebieten aus abfeuere, die Hamas, weil sie das Kriegsverbrechen verschleiere und Lügen verbreite.
Israel habe wegen der Terroristen Enthauptete, Vergewaltigte und über 1400 Ermordete zu beklagen – «daraus sollte man keinen Konflikt zwischen Juden und Arabern machen. Es ist einer zwischen Barbaren und der zivilisierten Welt», sagt Haddad.
Der studierte Politikwissenschaftler hat sich mit seinen kantigen Aussagen in Israel einen Namen gemacht. Er spricht bei öffentlichen Anlässen, wird in TV-Shows eingeladen und hat eine NGO namens «Together Vouch for Each Other» («Zusammen füreinander einstehen») gegründet, die Brücken zwischen Juden und Araber in Israel bauen will.
Haddad ist eine Ausnahmeerscheinung in Israel, sein Herz für den Judenstaat entdeckte er schon früh. Mit 18 Jahren meldete er sich freiwillig – Araber sind nicht dazu verpflichtet – zum Dienst in der israelischen Armee. 2006 wurde er in den Libanonkrieg geschickt, wo ihm eine Granate den Fuss wegsprengte. Doch «tolle jüdische und arabische Ärzte» hätten ihn wieder angenäht. Wenn Haddad redet – und er redet viel – klingt es so, als gebe es keine Probleme zwischen Juden und Arabern in Israel.
Doch Haddads pro-zionistische Positionen gefallen nicht jedem. Viele Araber in Israel sehen ihn kritisch. Das weiss auch er. Im August seien er und seine Familie sogar am Flughafen von Dubai von «Mitgliedern meiner Community», also arabischen Israelis, attackiert worden. Auch in Europa hat sich Haddad Feinde gemacht: Bei einer Rede Haddads am University College London rief ein Schmähplakat zum Protest gegen die Veranstaltung auf, da Haddad als israelischer Soldat 2006 beim Einmarsch Israels in den Libanon geholfen habe. «Wenn ihr diesen Mann seht, sagt in Den Haag Bescheid». Gemeint war der Internationale Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag.
Die Anfeindungen, die er aus der arabischen Community erhalte, kämen jedoch von einer Minderheit, wenn auch einer lauten. Die Mehrheit sei froh, in Israel zu leben, auch wenn sie sich nicht trauten, das offen zu sagen. Viele scheuten sich, sagt Haddad, weil ihnen das als mangelnde Sympathie für die Palästinenser ausgelegt werde.
«Aber das ändert sich gerade», glaubt Haddad. Als die über 1000 Hamas-Kämpfer in die Kibbuzim einfielen und dort für Stunden ohne Gegenwehr wüteten, sei auch israelischen Arabern sofort klar gewesen, was es heisst, unter der Terrorherrschaft der Hamas zu leben. «Die Hamas ist nicht nur der Feind der Juden, sondern auch der Araber», ist sich Haddad sicher.
Hoffentlich lernt die Welt, wie weit man kommt, wenn man Populisten ähnlich wie Netanjahu wählt.
Und damit ist alles gesagt was wichtig ist. Ich verstehe nicht wie manche lieber "Free Palestina" schreien können statt zu sehen das dies ein Kampf gegen Terroristen ist.