Damit hatte kaum jemand gerechnet: Friedrich Merz verpasste am Dienstag im ersten Wahlgang die Kür zum deutschen Bundeskanzler. 18 Mitglieder der schwarz-roten Koalition verweigerten ihm im Bundestag die Zustimmung. Der «Zählappell» der Fraktionen von CDU/CSU und SPD hatte auf eine sichere Wahl hingedeutet. Entsprechend zuversichtlich hatte sich Merz gezeigt.
Die Konsternation stand dem CDU-Chef ins Gesicht geschrieben, als sein Scheitern verkündet wurde. Danach brach Hektik aus, denn nie in der Geschichte der Bundesrepublik kam es zu einem solchen Debakel. Am knappsten war es bei der ersten Kanzlerwahl 1949, als Konrad Adenauer dank seiner eigenen Stimme exakt auf die nötige Mehrheit kam.
Immerhin klappte es im zweiten Wahlgang am Dienstagnachmittag. Die Erleichterung war gross, denn bei einem erneuten Scheitern wäre die Staatskrise perfekt gewesen. Das «Blame Game» war ohnehin im Gang. Mögliche Gründe für einen Denkzettel gibt es einige, sowohl an die Adresse von Merz als auch des SPD-Vizekanzlers Lars Klingbeil.
Ende gut, alles gut? So einfach ist es nicht, denn die Welt und besonders Europa sind auf eine handlungsfähige deutsche Regierung angewiesen. Wir leben in einer Zeit grosser innen- und aussenpolitischer Herausforderungen, dennoch leistete sich der Bundestag in Berlin den fragwürdigen «Luxus», den neuen Kanzler im ersten Anlauf durchfallen zu lassen.
Freuen darüber konnten sich nur jene, die sich mit der Demokratie schwertun oder sie offen bekämpfen. Das beginnt mit der AfD, die vom Verfassungsschutz letzte Woche als «gesichert rechtsextremistisch» eingestuft wurde und nun jubeln konnte. Parteichefin Alice Weidel forderte Neuwahlen und bezeichnete Merz in Trump-Manier als Wahlbetrüger.
Donald Trump und sein Vize J.D. Vance dürften sich ebenfalls die Hände reiben. Ihre Verachtung für Europa ist grenzenlos. Es muss für sie eine Genugtuung sein, wenn dessen Führungsmacht Deutschland dermassen ins Stolpern gerät. Von Wladimir Putin ganz zu schweigen. Wozu muss er einen hybriden Krieg führen, wenn die deutsche Demokratie sich selbst zerlegt?
Dieses Geschenk für Autokraten hätte es nicht gebraucht. Offenbar gibt es in den Reihen der neuen Koalition einige, die ihre persönlichen Animositäten höher gewichteten als das Interesse des Landes. Andererseits könnte diese anfängliche Blamage auch als heilsamer Schock wirken. CDU/CSU und SPD müssten sich jetzt erst recht zusammenraufen.
An Herausforderungen fehlt es wahrlich nicht. Klar an erster Stelle steht für die meisten Deutschen gemäss dem ZDF-Politbarometer die Wirtschaft, noch vor Migration oder Verteidigung. Der neuen Regierung trauen sie demnach nicht allzu viel zu. Für Friedrich Merz gilt dies erst recht. 56 Prozent beurteilen ihn als neuen Bundeskanzler negativ.
Die Erwartungen sind folglich tief, und das ist auch eine Chance. Es gibt einige Sachthemen, die das Bündnis ebenfalls spalten könnten, von der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine bis zur Eindämmung der Migration. Der Merz-Schock könnte deshalb heilsam sein. Darauf vertrauen sollte man nach diesem Kanzler-Trauerspiel jedoch besser nicht.
Warum muss man alles schlecht reden? Wegen den Abweichlern im ersten Wahlgang ist die Regierung nicht besser oder schlechter.
Lasst die Leute arbeiten.