Donald Trump, Verbrecher
«Schuldig in allen Anklagepunkten» (guilty on all counts) – diese Worte zergehen einem förmlich im Mund. Donald Trump ist jetzt ein verurteilter Verbrecher, und das Urteil ist nicht das Resultat eines politischen Schauprozesses. Zwölf zufällig ausgewählte Geschworene haben es gefällt, nachdem sie während mehr als vier Wochen in einem kargen Gerichtssaal gesessen haben und sich rund 80 Stunden lang Reden der Anklage, der Verteidigung und Zeugenaussagen angehört hatten. Sie sind einstimmig zum Schluss gekommen, dass Trump «jenseits der geringsten Zweifel» die ihm zur Last gelegten Straftaten auch begangen hat.
Zwei Gefühle vermischen sich: Schadenfreude und Erleichterung.
Schadenfreude, weil ein Mann, der sich bisher für unantastbar gehalten hat, endlich zur Rechenschaft gezogen wird. Ein Mann, der glaubt, Frauen in den Schritt greifen zu dürfen, «weil er ein Star ist». Ein Mann, der jede und jeden beschimpft und bedroht, der sich gegen ihn stellt, ein Mann, der fast jedes Mal lügt, wenn er den Mund aufmacht, und ein Mann schliesslich, der sich selbst im Gerichtssaal flegelhaft benimmt.
Schadenfreude auch, weil er über seinen eigenen Grössenwahn gestolpert ist. Der Schweigegeld-Prozess, in dem Trump jetzt verurteilt wurde, ist nach allgemeiner Einschätzung der schwächste aller vier Prozesse, in denen er sich verantworten muss. In den anderen geht es um einen verhinderten Staatsstreich und um den illegalen Besitz von streng geheimen Unterlagen. Sie werden jedoch kaum noch vor den Wahlen über die Bühne gehen.
Namhafte Juristen waren daher der Überzeugung, Trump habe alle Chancen, einmal mehr ungestraft davonzukommen. Die Anklage war alles andere als luftdicht. Schon eine sogenannte «hung jury» hätte gereicht, will heissen: Hätte bloss eine oder ein einziger Geschworener nicht an seine Schuld geglaubt, dann wäre er nicht verurteilt worden.
Dass dies nicht der Fall war, ist das Resultat von Trumps Grössenwahn. Er bezeichnet sich bekanntlich als «stabiles Genie». Das hat Folgen. Obwohl er die besten und teuersten Juristen zu seiner Verteidigung anheuerte, wollte er ihnen die Strategie vorschreiben – und lief damit ins Verderben. «Das Verteidigungs-Team von Trump widerspiegelte den Charakter seines Klienten», stellt der erfahrene Jurist Renato Mariotti in einem Gastkommentar in der «New York Times» fest. «Immer angreifen, nie nachgeben. Bisher ist für Trump die Rechnung damit stets aufgegangen. Im Gerichtssaal von Manhattan hat diese Haltung jedoch versagt.»
Die Erleichterung besteht darin, dass die bis zum Erbrechen zitierten Worte «niemand steht über dem Gesetz» kein leerer Spruch sind. Wie jeder andere Angeklagte musste auch Trump die ganzen vier Wochen lang im Gerichtssaal von Manhattan erscheinen und das Prozedere über sich ergehen lassen – etwas, worüber er sich jedes Mal bitterlich beklagte. Das Urteil beweist, dass das amerikanische Justizsystem – so kompliziert und unverständlich es in unseren Schweizer Augen auch erscheinen mag – letztlich funktioniert.
Der US-Rechtsstaat scheint gerettet – zumindest vorläufig. Trump wird jetzt alles unternehmen, um es anzugreifen. Dass er das Urteil anfechten und in Berufung gehen will, ist dabei sein gutes Recht und nicht weiter Besorgnis erregend. Gefährlich hingegen ist, dass er und seine Handlanger das Justizsystem frontal angreifen werden. «Das ist das Ende des fairsten und besten Justizsystems der Welt», trompetet der Ex-Fox-News-Star Tucker Carlson bereits via Twitter in die Welt.
Der Ex-Präsident wird sich nun in eine Märtyrer-Pose stürzen, sich abwechslungsweise mit Jesus Christus und Al Capone vergleichen und Rache und Vergeltung schwören. Er könnte damit Erfolg haben. Eine von ihm eingesetzte und ihm wohlgesinnte Richterin verzögert auf skandalöse Art und Weise den Geheimakten-Prozess in Florida. Denkbar ist auch, dass der konservativ dominierte Supreme Court Trumps absurder Forderung, auch als Ex-Präsident geniesse er «uneingeschränkte Immunität», zumindest teilweise stattgeben wird.
Das letzte Wort werden daher die Wählerinnen und Wähler am 5. November haben. Heute sind die politischen Konsequenzen des Urteils noch nicht absehbar. Umfragen zeigen zwar, dass unabhängige Wählerinnen und Wähler angeben, sie würden – sollte Trump verurteilt werden – ihm ihre Stimme verweigern. Ob sie dies tatsächlich auch tun werden, wird sich zeigen müssen.
Bedenklich ist jedoch die Tatsache, dass eine der beiden grossen Parteien sich immer weiter von Demokratie und Rechtsstaat entfernt. Mehrere Vertreter der Grand Old Party – darunter gar Speaker Mike Johnson – erschienen in einem Trump-Outfit vor dem Gerichtssaal in Manhattan, um ihre Solidarität mit dem Ex-Präsidenten zu bekunden.
Auch das klare Urteil wird daran nichts ändern. Seine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten ist nicht in Gefahr. Die Republikaner haben gelernt, mit Verbrechern zu leben. Schliesslich sind bereits Trumps Wahlkampf-Manager, sein nationaler Sicherheitsberater, sein Chefstratege und ein wichtiger Berater verurteilte Straftäter.
