Wie ein alternder Rockstar hat Trump in seiner Ansprache an die Nation nur seine alten Hits heruntergeleiert – und das nicht einmal besonders gut. Warum hat er sich überhaupt die Mühe genommen? Eine These lautet: Der Präsident ärgere sich bis aufs Blut darüber, dass in den letzten Wochen die Demokraten die News dominierten. Mit seiner Rede aus dem Oval Office wolle er das Momentum wieder auf seine Seite zwingen.
Es ist nicht nur das Duo Nancy Pelosi/Chuck Schumer, das Trump vor dem Licht steht. Es ist vor allem auch Alexandria Ocasio-Cortez. Wie Trump stammt die junge Demokratin aus New York, allerdings nicht aus Queens, sondern aus Brooklyn. Wie Trump ist sie landesweit ein Star geworden. Das zeigt sich daran, dass man sie bereits an ihrem Kürzel AOC erkennt, eine seltene Auszeichnung.
Ironischerweise sind es vor allem die Rechten, die den Ruhm der Linken fördern. Seit den Midterms wird die 29-Jährige fast pausenlos von den Trumpianern attackiert. Sie stamme gar nicht aus einer Arbeiterfamilie, habe an einer teuren Uni studiert, trage Designer-Klamotten und wolle mit ihren sozialistischen Ideen die Vereinigten Staaten in ein neues Venezuela verwandeln, wird ihr auf Fox News, Breitbart und anderen dubiosen Kanälen vorgeworfen.
AOC reagiert darauf souverän. Ein Video, das sie tanzend auf einem Dach zeigt und ihre Naivität beweisen soll, verwandelt sie umgehend mit einen neuen Text in einen viralen Hit. Das Spiel auf den sozialen Medien beherrscht sie perfekt. «Ocasio-Cortez ist eine Macht in den sozialen Medien geworden», stellt Tina Nguyen in «Vanity Fair» fest. «Die Rechten machen sich permanent Sorgen, dass sie die gleiche kaltblütige ‹Schei…drauf›-Haltung an den Tag legt wie Donald Trump.»
AOC hat jedoch auch Inhalte anzubieten. So will sie eine progressive Steuer einführen, die dazu führen würde, dass die Superreichen rund 70 Prozent ihres Einkommens dem Fiskus abliefern müssten. Naiv, unverantwortlich, gefährlich sozialistisch, heulen die Rechten auf.
Doch AOC erhält für diesen Vorschlag Unterstützung von prominenter Seite. Paul Krugman, immerhin Träger des Nobelpreises für Ökonomie, schreibt in seiner Kolumne in der «New York Times»: «AOC ist alles andere als verrückt, ihr Vorschlag befindet sich im Einklang mit den Thesen von seriösen Ökonomen. (Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA genau ein solches progressives Steuersystem, Anm. d. Verf.) Hingegen haben ihre Kritiker verrückte Ideen – und ihre Steuerpolitik befindet sich im Zentrum dieser Verrücktheit.»
Zudem hat AOC die Idee eines Green New Deal wiederbelebt. Dabei handelt es sich um ein staatliches Programm, das die Amerikaner von ihrer Ölsucht befreien und die USA klimatauglich machen soll. Die Idee ist nicht neu, aber nach wie vor brennend aktuell. Wenn wir nicht von den fossilen Brennstoffen loskommen, ist die Klimaerwärmung nicht mehr aufzuhalten.
Auch für ihren neuen grünen Deal erhält AOC Zustimmung in der «New York Times». Kolumnist Thomas Friedman – er gilt als einer der einflussreichsten Journalisten der Welt – wünscht sich zwar eine kapitalistischere Variante, stellt jedoch fest: «Ich bin so aufgeregt, dass die neue demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und andere ihre Version eines Green New Deal wieder aufs Tapet bringen, und jetzt erhält sie die Aufmerksamkeit, die sie verdient.»
In wenigen Monaten ist es AOC so gelungen, zum Symbol eines anderen Amerikas zu werden, eines Amerikas, das jung, bunt, grün, fröhlich, sozial und multikulti ist. Sie hat dabei gezeigt, wie man die alten weissen Männer der Trump-Fraktion ins Leere laufen lassen und mit ihren eigenen Waffen schlagen kann. Mit Leonhard Cohen kann die New Yorkerin daher summen: «First we take Manhattan, then we take Berlin.»
Amerika hat einen neuen Darling. Zumindest der linke Teil des Landes. Alexandria Ocasio-Cortez ist zum Shootingstar der Demokraten aufgestiegen, seit sie in den Vorwahlen für einen Sitz im Repräsentantenhaus überraschend ein Partei-Schwergewicht besiegt hatte. Seither ist um die New Yorkerin ein Hype entstanden, der ungesunde Züge trägt.
AOC, wie sie genannt wird, ist eine perfekte Projektionsfläche. Die 29-Jährige ist jung, sieht blendend aus und hat ein grosses Mundwerk. In den Medien ist sie omnipräsent. «60 Minutes», das angesehenste Politmagazin im US-Fernsehen, gab ihr eine Plattform, ebenso die unvermeidliche Rachel Maddow auf MSNBC nach Donald Trumps «Mauer-Ansprache» vom Dienstag.
.@AOC explains how an increasingly broken legal immigration system under Trump forces people to become undocumented. pic.twitter.com/nfIPq3XEzq
— Simon Hedlin (@simonhedlin) January 9, 2019
Das irritiert und nervt. Denn was hat Ocasio-Cortez bislang konkret geleistet? 2016 engagierte sie sich im Wahlkampfteam von Bernie Sanders. Sonst fällt sie vor allem mit knackigen Sprüchen und Attacken auf Donald Trump auf, den die Politikerin mit puertoricanischen und jüdischen Wurzeln als Rassisten beschimpft hat. Ein politisches Amt hat sie vor ihrer Wahl nicht bekleidet.
Ihr «demokratischer Sozialismus» ist gut für eine Schlagzeile, aber in den USA nicht mehrheitsfähig. Das zeigte sich bei den Midterms im November. Sanders-Demokraten setzten sich nur in «sicheren» Wahlkreisen wie jenem von AOC in den New Yorker Stadtteilen Bronx und Queens durch. Wo sie mit ernsthafter republikanischer Konkurrenz konfrontiert waren, zogen sie fast durchweg den Kürzeren.
Natürlich profitiert AOC davon, dass sie von rechts mit kübelweise Hass zugeschüttet wird. Deswegen aber darf man nicht über die problematischen Aspekte ihrer so frischen wie forschen Wortmeldungen hinwegsehen. Faktenchecker haben ihr in mehreren Fällen Halb- und Unwahrheiten nachgewiesen. «Trump hätte seine Freude daran», schreibt die NZZ.
Alexandria Ocasio-Cortez ist eben nicht Teil der Lösung, sondern des Problems. Amerika braucht nicht mehr Trump, sondern weniger. Also Politiker mit der Fähigkeit, Brücken zu bauen und Kompromisse zu schmieden. Und nicht Trump-Imitate von links.
Ihre Omnipräsenz ist ein Symptom für die Krise der US-Medien, die auf der Jagd nach Klicks und Auflage das Schrille und Laute bevorzugen. Phänomene wie Trump und Ocasio-Cortez sind auch eine Folge davon.
Es wäre deshalb nicht erstaunlich, wenn Donald Trump auf AOC eifersüchtig sein sollte. Letztlich ist der Hype um den «Jungstar» nicht gerechtfertigt. Was nicht heisst, dass Ocasio-Cortez eine Nullnummer wäre. Sie hat im Ansatz gute Ideen, dazu gehört der Green New Deal. Aber sie muss erst beweisen, dass sie das politische Handwerk beherrscht. Vorerst ist sie nichts als eine attraktive Projektionsfläche für Trump-Hasser.