Heute Abend, 21 Uhr Washingtoner Zeit, will sich Donald Trump an die Nation wenden und sie über die «menschliche und Sicherheitskrise» an der südlichen Grenze aufklären. Alle grossen TV-Stationen werden diese Rede übertragen, die meisten davon zähneknirschend. Am Donnerstag will der Präsident zudem persönlich in den Süden jetten und sich vor Ort über die Zustände erkundigen.
Er könnte sich den Trip sparen, denn seine Höflinge bereiten bereits jetzt den Boden vor. «Ich gehe davon aus, dass er den nationalen Notstand ausrufen wird», erklärte etwa Sean Hannity, Fox-News-Starmoderator und Trump-Vertrauter, in seinem Radioprogramm am Montag. Am Abend widmete Hannity seine TV-Sendung fast ausschliesslich diesem Thema und er setzte seine Zuschauer in Angst und Schrecken mit Statistiken über Morde, Vergewaltigungen und Drogenschmuggel, die angeblich von kriminellen Immigranten begangen werden.
Trump selbst hat bereits öffentlich darüber spekuliert, den Notstand zu erklären. Er könne es und werde es vielleicht auch tun, vielleicht auch nicht, liess er die Journalisten wissen, wie üblich vor knatternden Helikopterrotoren. Worum geht es?
Die Grenze zwischen den USA und Mexiko ist rund 3200 Kilometer lang, rund 1100 Kilometer sind bereits heute mit verschiedenen Typen von Zäunen geschützt. Trump will eine durchgehende solide Mauer, die mindestens 60 Milliarden Dollar kosten würde. Um den Bau zu beginnen, fordert er jetzt vom Kongress eine Vorauszahlung von 5,6 Milliarden Dollar.
Im Wahlkampf hat er stets davon gesprochen, dass diese Mauer aus Beton bestehen müsse und von den Mexikanern bezahlt werde. Inzwischen gibt er sich mit einer Mauer aus Stahl zufrieden und behauptet dreist, der neue Freihandelsvertrag werde indirekt dafür sorgen, dass Mexiko für die Kosten aufkomme. Ökonomisch gesehen ist das kompletter Unsinn.
Zwei Jahre lang verfügten die Republikaner über die Mehrheit in beiden Kammern. Sie hätten es in der Hand gehabt, die Finanzierung der Mauer sicherzustellen. Sie haben es nicht geschafft, weil selbst viele Republikaner Sinn und Zweck nicht einsehen. So hat Trumps Stabschef Mick Mulvaney vor nicht allzu langer Zeit erklärt, eine solche Mauer sei «absurd und beinahe kindisch». Selbstredend sieht er das heute anders.
Inzwischen haben die Demokraten mit einem Erdrutschsieg in den Midterms die Mehrheit im Abgeordnetenhaus errungen. Das Sagen in diesem Gremium hat nun Nancy Pelosi. Sie hat klargemacht, dass der Präsident genau einen Dollar für den Bau der Mauer erwarten kann.
In seiner gewohnt impulsiven Art ist Trump ausgeflippt und hat gedroht, nur ein Budget mit den 5,6 Milliarden Dollar für die Mauer zu akzeptieren, ansonsten werde er die Regierung teilweise schliessen und dafür auch die Verantwortung übernehmen. Das war dumm. Das Geld wurde ihm verweigert, er musste handeln. Jetzt spricht man von einem Trump-Shutdown.
Trump befindet sich in einer misslichen Lage. Um seine Basis bei der Stange zu halten, muss er sein zentrales Wahlversprechen, den Bau der Mauer, einhalten. Er hat jedoch keine Chance, das Geld bewilligt zu bekommen, und mit dem Shutdown schadet er vor allem seiner eigenen Partei. Einzelne Senatoren, die bald zur Wiederwahl stehen, werden bereits abtrünnig. Deshalb greift der Präsident nun zum Notstands-Holzhammer.
Konkret bedeutet dies, dass er mithilfe des Notrechts einen Teil des Geldes, das ursprünglich für militärische Bauten gesprochen wurde, nun für die Mauer verwenden will. Aber darf er das überhaupt? Grundsätzlich schon. Gäbe es die Sicherheitskrise an der südlichen Grenze tatsächlich, dann könnte der Präsident ein Gesetz aus dem Jahr 1976 anrufen, das ihm dies erlaubt.
Doch die Demokraten würden darauf sofort Einsprachen erheben und die Gerichte anrufen. (Vergessen wir nicht, die Amerikaner sind absolute Rechts-Freaks.) Und dann könnte es für Trump heikel werden. In einem Kommentar in der «New York Times» hat der Yale-Rechtsprofessor Bruce Ackerman ausführlich dargelegt, dass Trump keinesfalls das Notrecht für den Bau der Mauer missbrauchen darf. Die grusligen juristischen Details ersparen wir uns, aber im Endeffekt sagt Ackerman, dass es einen Missbrauch des Gesetzes von 1976 darstellen würde.
Unterstützung erhält Ackerman von Elizabeth Goitein, einer auf Notrecht spezialisierten Juristin. Sie erklärt ebenfalls in der «New York Times»: «Sollte ein Gericht tatsächlich abklären, ob der Notstand gerechtfertigt ist, dann wäre er (Trump) in grossen Schwierigkeiten. Ich denke, es handelt sich um einen Machtmissbrauch, wenn man einen Notstand erklärt, den es nicht gibt.»
Tatsächlich existiert die «Sicherheitskrise» an der Grenze zu Mexiko ausschliesslich in Trumps Einbildung und auf Fox News. In der realen Welt haben die illegalen Grenzübertritte seit 2000 deutlich abgenommen. Es sind zudem mehrheitlich Frauen und Kinder, die vor den unmenschlichen Bedingungen in Ländern wie El Salvador und Honduras fliehen und die um Asyl ersuchen. Die Gangster und Terroristen, von denen Trump spricht, reisen in der Regel mit dem Flugzeug ein.
Hingegen gibt es die «menschliche Katastrophe» an der Grenze tatsächlich. Die Immigranten leiden unter schlimmsten sanitären Bedingungen in Zelten und Notunterkünften. Zwei Kinder sind bereits gestorben. Mit anderen Worten: Trump und seine Regierung haben die Katastrophe, die sie mit Notrecht beheben wollen, selbst geschaffen.
Wie weit sie damit durchkommen, wird sich weisen. Politisch beginnt der Shutdown allmählich zu wirken. Die Mehrheit der Amerikaner lehnt den Bau der Mauer nach wie vor ab. Nancy Pelosi sitzt derweil fest im Sattel. Mit ihr legt man sich besser nicht an. Oder wie ihre Tochter Alexandra kürzlich auf CNN ausführte: «Sie schneidet dir den Kopf ab – und du merkst nicht einmal, dass du blutest.»