Mit seiner 80er-Jahre-Band Talk Talk war Mark Hollis auf dem Weg zum Weltstar. Dann schwenkte er um zu einer für viele Fans rätselhaften Musik jenseits von Pop und Rock. Gut 20 Jahre nach seinem Verstummen ist Hollis mit 64 gestorben - hoch verehrt als Avantgardist.
Seine Hits kennt jeder, der während der 80er Jahre irgendwann mal im Radio oder auf der Tanzfläche Musik gehört hat:
- es waren makellose Synthie-Pop-Ohrwürmer, die den jetzt mit 64 Jahren gestorbenen Sänger und Songwriter Mark Hollis in die Charts brachten.
Doch der schnelle, oberflächliche Ruhm, die Auftritte bei «Top of the Pops», die schicken Videos, selbst die Aussicht, mit seiner Band Talk Talk zum Weltstar zu werden - all das reichte dem Briten irgendwann nicht mehr. Hollis strebte nach Entschleunigung, nach Abstraktion, nach klanglicher Raffinesse - mit einem Sound, der sich über Jazz und Neoklassik der Stille näherte.
So begründete er das neue Genre «Post-Rock» und beeinflusste grosse englische Bands wie Radiohead, Elbow oder Porcupine Tree. Mit den Talk-Talk-Alben «Spirit Of Eden» (1988) und «Laughing Stock» (1991) wurde der am 4. Januar 1955 im Londoner Stadtteil Tottenham geborene Künstler zum Helden der Pop-Avantgarde - und bald darauf zu einem rätselhaften Eremiten, dessen Tod sich am Dienstag dementsprechend schwer verifizieren liess.
Hollis sei nach kurzer Krankheit, von der er sich nicht mehr erholt habe, gestorben, bestätigte schliesslich am Mittag sein langjähriger Manager Keith Aspden der Deutschen Presse-Agentur. «Ich versuche immer noch, das zu akzeptieren, aber leider ist es wahr.» Hollis sei sich «als Mensch stets treu geblieben».
Die beiden späten Schlüsselwerke von Talk Talk - Nachfolger der ebenfalls schon hoch ambitionierten, aber noch einigermassen zugänglichen Top-Ten-Platte «The Colour Of Spring» (1986) - liessen viele Fans allerdings auch resignierend zurück. Die Alben verkauften sich vergleichsweise mässig, wurden jedoch alsbald Kult. Heute sind sie in vielen Bestenlisten der Pop-Geschichte vertreten.
Und diese trötenden Elefanten im Intro von "Such A Shame". Mark Hollis, Sänger von Talk Talk, ist tot. Sehr lesenswerter Nachruf von Arno Frank https://t.co/0tDTEvM8Nk
— Jochen Leffers (@joleffers) 26. Februar 2019
Es war auch die totale Abgeschiedenheit des vor gut 20 Jahren mit seinem einzigen Soloalbum letztmals an die Öffentlichkeit getretenen Musikers, die seinem Tod etwas Geheimnisvolles verlieh. Aber es passt zu dieser seltsamen Karriere: Ein hochbegabter Musiker, der sich irgendwann so konsequent zurückzieht wie eine Greta Garbo oder ein J.D. Salinger - die Analogie zu Genies aus Film und Literatur hätte Mark Hollis vermutlich gefallen.
Dabei wirkten Talk Talk Anfang der 80er mit ihrem treibenden Synthie-Pop in der Nachfolge der britischen «New Romantics» so gar nicht bahnbrechend - eher wie eine Band vom Reissbrett für gut verkäuflichen Keyboard-Sound. Das erste Album hiess zwar «The Party's Over» (1982), doch mit den eher banalen Debütsongs ging die Party schnell richtig los.
Die Single «Such A Shame» kletterte in den Charts der Schweiz an die Spitze. Bald hatte man sich an Hollis' weinerlichen, nuschelnden Gesang gewöhnt, auch in der britischen Heimat und in den USA zündete das Quartett die nächste Stufe. Doch dann: Vollbremsung für Kommerz-Klänge.
Er schrieb Hits und verachtete die Musikindustrie. Mit seiner Band #TalkTalk überschritt #MarkHollis alle Grenzen. Nun ist er mit 64 Jahren gestorben. Ein Nachruf https://t.co/XNlXb1Wzei
— Tagesspiegel (@Tagesspiegel) 26. Februar 2019
Auf «Spirit Of Eden» waren die teilweise mit einem Chor eingespielten sechs Stücke nicht mehr als Popmusik zu erkennen, noch weniger dann auf «Laughing Stock». Die Verweigerung herkömmlicher Klänge zog Hollis bis zu seinem Soloalbum von 1998 mit fragilen, minimalistischen Melodien durch.
«Raum war schon immer wichtig für mich. Es ist besser, du spielst nur eine Note gut als zwei schlecht», sagte der Musiker zum Zeitpunkt des Solodebüts, das zum kreativen Schlussakt wurde. Seine Entscheidung, nicht mehr live aufzutreten, begründete er so: «Ich entscheide mich für meine Familie. Andere sind vielleicht dazu in der Lage, aber ich kann nicht auf Tournee gehen und zugleich ein guter Vater sein.»
Ein Verwandter von Hollis, Anthony Costello, schrieb am Montagabend, der Musiker sei «ein wunderbarer Ehemann und Vater» gewesen, «ein faszinierender und prinzipientreuer Mann». Sein früherer Talk-Talk-Bassist Paul Webb äusserte sich - ähnlich wie viele andere von Hollis inspirierte Musiker weltweit - «sehr geschockt und traurig». Er betonte: «Als Musiker war er ein Genie. Es war eine Ehre und ein Privileg, mit ihm in einer Band gewesen zu sein.» (aeg/sda/dpa)