Im syrischen Pulverfass genügt ein Funke für eine Explosion. Und manchmal noch weniger. In der Nacht auf Dienstag kam es zu einem Einsatz der syrischen Flugabwehr. Staatliche Medien berichteten über einen Angriff israelischer Kampfjets auf verschiedene Ziele. In Russland und Israel wurde die Meldung ebenfalls verbreitet. Später stellte sich heraus: Es war falscher Alarm.
Mehr als sieben Jahre dauert der Bürgerkrieg in Syrien, doch nie war die Nervosität so gross wie heute. Dazu trägt der mutmassliche Giftgaseinsatz in der Stadt Duma bei, der einen Militärschlag der USA, Grossbritanniens und Frankreichs zur Folge hatte. Weniger beachtet, aber weitaus brenzliger ist eine andere Konfrontation zweier Staaten, die in Syrien aktiv sind.
«Steuern Iran und Israel auf ihren ersten direkten Krieg zu?», fragt der «New York Times»-Kolumnist Thomas Friedman. In den letzten Wochen habe erstmals überhaupt ein direkter Schlagabtausch in Syrien begonnen. Im Februar schoss Israel eine iranische Drohne über seinem Staatsgebiet ab. Am 9. April folgte ein israelischer Luftangriff auf einen iranischen Stützpunkt in Syrien.
In einem Punkt sind sich Jerusalem und Teheran einig: Beide wollen, dass das Assad-Regime an der Macht bleibt. Zwar gibt es den ungelösten Konflikt um die Golanhöhen, die Israel im Sechstagekrieg 1967 von Syrien erobert hat. Dennoch hat man sich mit der Diktatur von Vater Hafis und Sohn Baschar Assad arrangiert. Sie ist für Israel «der Teufel, den wir kennen».
Für Iran ist Syrien der wichtigste Verbündete in der arabischen Welt. Ohne die Militärhilfe der Revolutionsgarden sowie der libanesischen Hisbollah und anderen schiitischen Milizen aus Irak oder Afghanistan hätte Assad den Bürgerkrieg wohl verloren. Israel verfolgt diese Aktivitäten mit Sorge, es fürchtet eine dauerhafte Militärpräsenz des Erzfeinds an seiner Grenze.
Sie bedeute eine «Bedrohung für Israels Sicherheit», sagte Gilad Erdan, der Minister für innere Sicherheit, am Sonntag im Armeeradio. «Wir werden dem Iran nicht erlauben, sich in Syrien festzusetzen», ergänzte Bildungsminister Naftali Bennett. Israel gestehe sich «volle Handlungsfreiheit» zu, sagte der Ultranationalist, der wie Erdan dem Sicherheitskabinett angehört.
Israel hat in den letzten Jahren wiederholt Ziele in Syrien angegriffen. Meist ging es dabei um Nachschublieferungen für die Hisbollah, die sich an der libanesischen Grenze zu Israel festgesetzt hat. Am 10. Februar jedoch schoss ein Helikopter eine Drohne der Revolutionsgarden ab, die in den israelischen Luftraum eingedrungen war. Letzte Woche enthüllte die Armee, dass die Drohne nicht auf einer Aufklärungsmission gewesen sei, sondern Sprengstoff transportiert habe.
Ein Armeesprecher sagte, die Drohne habe «einen Sabotageakt auf israelischem Gebiet» verüben sollen. Am 9. April, als die Weltöffentlichkeit durch den mutmasslichen Einsatz von Chemiewaffen absorbiert war, griffen israelische Kampfjets den Luftwaffenstützpunkt T4 in der syrischen Provinz Homs an. Mehrere Iraner starben, darunter angeblich der Kommandeur der Drohnen-Einheit.
«Es war das erste Mal, dass wir aktive iranische Ziele – Einrichtungen und Menschen – angegriffen haben», sagte eine hohe Quelle im israelischen Militär der «New York Times». Offiziell gibt es dafür keine Bestätigung. Indirekt droht Israel aber im Fall eines Gegenschlags mit einem Grossangriff auf Irans militärische Infrastruktur in Syrien. Am Dienstag liess die Regierung Karten verteilen, auf denen fünf Stützpunkte verzeichnet sind. Die Botschaft war klar: Wir wissen, wo ihr seid!
Iran will gemäss der «New York Times» in Syrien mehrere Luftwaffenbasen errichten, ebenso eine Fabrik für Raketen, die dank GPS-Steuerung Ziele in Israel sehr genau treffen könnte. Sicherheitskreise in Israel betonen, man werde keinesfalls den gleichen Fehler machen wie im Libanon, wo die Hisbollah ein gewaltiges Arsenal mit angeblich 130'000 Raketen aufgebaut hat.
In letzter Zeit wurde laut über einen «Stellvertreterkrieg» im Libanon gegen die Hisbollah nachgedacht. 2006 versuchte Israel in einem 33-Tage-Krieg schon einmal, die Schiitenmiliz militärisch zu bezwingen. Weil man sich weitgehend auf Luftangriffe beschränkte, wurde die Hisbollah kaum geschwächt, dafür ein grosser Teil der libanesischen Infrastruktur zerstört.
In Israel ist man sich bewusst, dass die Hisbollah nur mit einem massiven und verlustreichen Einsatz von Bodentruppen nachhaltig besiegt werden kann. Vielleicht zögert man deshalb. Eine andere Möglichkeit wäre ein direkter Luftschlag Israels auf Ziele im Iran. Die entsprechenden Pläne sind vorhanden, sie wurden für Angriffe auf mutmassliche iranische Atomanlagen entwickelt.
Die schiitischen Iraner wollen ihren Einfluss in den sunnitisch dominierten arabischen Ländern ausweiten. Sie engagieren sich militärisch nicht nur in Syrien und Libanon, sondern auch im Irak und Jemen, was in Israel und Saudi-Arabien für Alarmstimmung sorgt. Zu den treibenden Kräften gehört Qassem Soleimani, der berüchtigte Kommandant der Quds-Einheit der Revolutionsgarden, der für Auslandseinsätze zuständig ist. Er war wiederholt in Syrien anwesend.
Soleimani gehört zu den Hardlinern, die sich einen Machtkampf mit den gemässigten Kräften um Präsident Hassan Ruhani liefern. Im iranischen Volk sind die Militäreinsätze im Ausland unpopulär, sie verschlingen jene Milliarden, die man sich durch die Aufhebung der Sanktionen erhofft hatte. Darunter leidet auch die Wirtschaft, was sich zuletzt in einem Kurszerfall der Währung äusserte.
Wladimir Putin will Baschar Assad an der Macht halten. In diesem Punkt ist er sich mit Iran und Israel einig. Ansonsten gibt es mehr Gemeinsamkeiten zwischen Moskau und Jerusalem. Mit Iran verbindet die Russen ein Zweckbündnis, das schnell in Rivalität um Einfluss in Syrien umschlagen könnte. Die Sanktionen gegen Iran wegen des Atomprogramms hat Russland stets unterstützt.
Unklar ist, was von den USA zu erwarten ist. Präsident Donald Trump scheint wild entschlossen zu sein, seine Soldaten aus dem syrischen Hexenkessel zurückziehen, obwohl der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu ihn davon abhalten will. Hinter den Kulissen zeigte man sich in Israel enttäuscht über das beschränkte Ausmass des Raketenangriffs auf Syrien.
Am Mittwochabend beginnen in Israel die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Staatsgründung. Die Kriegsgefahr trübt die Stimmung. «Wir befinden uns leider auf Kollisionskurs in Syrien», sagte Itamar Rabinovich, der frühere Botschafter in Washington, dem Magazin «The New Yorker».