Seit fast drei Monaten tobt der Krieg zwischen Israel und Hamas. In den letzten Tagen überschlagen sich die Ereignisse, neben dem eigentlichen Kriegsschauplatz im Gaza-Streifen auch mit Anschlägen im Libanon und im Iran. Was das für die Region bedeutet, ordnet der Nahost-Experte Erich Gysling ein.
Das ist passiert:
Am Dienstagabend kommt es in Beirut zu einer Explosion. Dabei soll der Hamas-Anführer Saleh al-Aruri getötet worden sein.
Das wissen wir:
Mehrere Agenturen berichten von einem Drohnenangriff in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sieben Menschen seien dabei ums Leben gekommen, darunter Saleh al-Aruri, ein führendes Hamas-Mitglied. Tausende haben am Donnerstag an seiner Beisetzungsfeier teilgenommen.
Für Nahost-Experte Erich Gysling ist klar: «Dahinter steckt zu 99,9 Prozent Israel.» Der israelische Premier Netanjahu habe gesagt, dass Israel alle Hamas-Leute verfolge. Egal wo.
Mögliche Auswirkungen:
«Die Tötung al-Aruris hat unmittelbar keine Auswirkungen», sagt Gysling. Es herrsche ja bereits Krieg.
«Nur: Der Anschlag hilft nicht. Im Gegenteil.» Hamas werde sich im Gaza-Streifen nun nur umso mehr wehren, sagt Gysling und fügt an:
Für Gysling zeigen die letzten drei Monate: «Durch die Kampfhandlungen ist keine einzige Geisel freigekommen. Sondern einzig durch Verhandlungen.» Es bräuchte also dringend wieder Verhandlungen, so der Experte.
Das ist passiert:
In der iranischen Stadt Kerman kommt es am Mittwoch zu Explosionen. 84 Menschen werden getötet, 284 verletzt.
Die beiden Explosionen ereigneten sich während einer Gedenkzeremonie für den iranischen Top-General Ghassem Soleimani nahe seiner Grabstätte. Soleimani war vier Jahre zuvor von den USA im Irak getötet worden.
Das wissen wir:
Nahost-Kenner Gysling ging am Donnerstagnachmittag davon aus, dass die Anschläge aufs Konto einer inneriranischen Oppositionsgruppe gehen. «Konkret kämpfen beispielsweise die Belutschen seit Langem gegen das schiitische Regime.» Eine solche Täterschaft hielt Gysling für wahrscheinlicher als die Israelis oder die Amerikaner.
Warum? Der Anschlag in Kerman entspreche weder israelischer Taktik noch israelischer Interessen. Gysling:
Am Donnerstagabend bekannte sich die Terrormiliz «Islamischer Staat» («IS») zum Anschlag.
Das ist passiert:
Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat in einer Rede Israel vor einem Krieg gegen Libanon gewarnt.
Das wissen wir:
Anlässlich des vierten Jahrestags der Tötung von Soleimani hat Hisbollah-Führer Nasrallah in einer Rede klargemacht, wer al-Aruri getötet hat: für ihn eindeutig Israel. Nun droht er dem Land mit Krieg.
Mögliche Auswirkungen:
«Nasrallah brachte in seiner Rede zum Ausdruck, dass Hisbollah zwar für einen Krieg bereit sei, einen solchen aber eigentlich nicht wünscht», erläutert Gysling. Nasrallah wisse genau, dass er durch einen Krieg Libanon in ein gewaltiges Chaos stürze. Israel auf der anderen Seite wisse das ebenso.
«Entsprechend sind aktuell beidseitig Nadelstiche zu beobachten.» Gysling:
«Die Situation ist labil. Es kann jederzeit eine Eskalation geben», sagt Gysling. Eskaliere die Lage zusätzlich, dann sehr wahrscheinlich zwischen Hisbollah und Israel, konkret im Gebiet der Nordgrenze von Israel und im südlichen Libanon.
Vorläufig sei kein Friede in Sicht. «Israel will nicht aufhören, Hamas ebenso wenig.» Es sehe so aus, als würde sich der Horror noch lange hinziehen. «Und jeder Tote steigert den Hass der Gegenseite.»