Das Dementi folgte prompt: «Ich weiss nicht, was Bloomberg berichtet, aber anscheinend wissen sie besser als ich, was wir als Nächstes tun werden. Solange unser Land uns braucht, befinden wir uns in der Ukraine im Krieg», liess der Chef der russischen Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, die Weltöffentlichkeit via Telegram wissen.
Zuvor hatte der Wirtschaftssender berichtet, dass die Söldnertruppe angeblich Truppen aus der Ukraine abziehen wollte, um sich möglicherweise anderen Orten stärker zu widmen. Doch was würde das für den Krieg in der Ukraine bedeuten – und wie ernst sollte man solche Meldungen nehmen? t-online gibt einen Überblick.
Laut «Bloomberg» bereitet der Wagner-Chef vor, Teile seiner Armee aus der Ukraine abzuziehen. Grund sei, dass es die russische Armee verhindert habe, dass Wagner mehr Personal und Munition aus Russland erhalte, heisst es aus anonymen Quellen.
Stattdessen plane Wagner nun, sich vermehrt ihren Einsätzen in Afrika zu widmen. Offizielle Zahlen, wo und mit viel Soldaten die Gruppe überall tätig ist, liefert die Privatarmee nicht. Grundsätzlich ist es allerdings kein Geheimnis, dass die Söldnertruppe auf dem Kontinent aktiv ist: Eine Studie aus dem vergangenen Februar, die von der CSU-nahen Hanns Seidel Stiftung mitfinanziert wurde, geht davon aus, dass Wagner in mehr als einem Dutzend afrikanischen Ländern Soldaten stationiert hat: Als engste Partner nennt die Studie der «Global Initiative against Transnational Organized Crime» etwa den Sudan oder die Zentralafrikanische Republik.
Zahlreiche Berichte gibt es auch über Einsätze in Libyen, Mosambik oder Mali: Die dortige Militärjunta führt einen antiwestlichen Kurs und holte sich dafür die russischen Truppen ins Land, um gegen Dschihadisten und weitere Terrorgruppen vorzugehen.
Auch wegen der steigenden Wagner-Präsenz hatte Frankreich seine eigene Antiterrormission in dem Land beendet. Die Bundeswehr plant ebenfalls bis spätestens 2024 Mali zu verlassen. Ähnliche Wagner-Einsätze sind wohl auch in anderen Ländern geplant: Ein Ziel soll etwa Burkina Faso sein, das im Süden an Mali grenzt.
Dass Prigoschin über Munitionsmangel und mangelnde Unterstützung des Kremls klagt, kommt immer wieder vor. Erst am Montag hatte der Wagner-Chef einen Brief an den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu gesendet, in dem Verstärkung forderte. Schoigu solle dringend nötige Schritte einleiten, andernfalls habe das «negative Auswirkungen» auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Die Wagner-Söldner sollen aktuell vor allem in Bachmut aktiv sein, wo die Privatarmee unter hohen Verlusten vorrückt. Passend dazu hatte Prigoschin zuletzt verkündet, dass man bis zum Mai weitere 30'000 Soldaten rekrutieren möchte, zeitweise wurden auch Häftlinge aus Straflagern für Wagner angeworben.
Die Scharmützel, die sich Prigoschin mit dem Kreml liefern, sind allerdings nur vordergründig rein militärischer Art: Dem Chef der Söldner-Truppe werden immer wieder Ambitionen nachgesagt, irgendwann den Platz von Wladimir Putin einzunehmen. Putin selbst ist dagegen darauf bedacht, dass keine Figur in seinem Machtapparat ihm selbst gefährlich werden kann, wodurch es immer wieder Gegengewichte zu suchen scheint.
Prigoschins Privatarmee diente dem Kreml lange dazu, dass die russische Armee nicht zu mächtig wird. Gleichzeitig sind der Munitionsmangel und die mutmasslich ausbleibende Unterstützung ein Indiz dafür, dass Putin möglicherweise jetzt versucht, die Rolle der Wagner-Truppen und von Prigoschin in der Ukraine nicht zu gross werden zu lassen.
Glaubt man den Analysen den jüngsten Analysen des «Institute for the Study of War» (ISW) ist es durchaus denkbar, dass die Wagner-Söldner Bachmut verlassen könnten. Dabei geht es aber weniger um eine taktische Entscheidung, sich stärker Afrika zu widmen, sondern um die Furcht vor einer ukrainischen Offensive: Entsprechende Sorgen äusserte Prigoschin auch in einem kürzlich veröffentlichten Video. Angeblich seien 200'000 Reservisten auf der ukrainischen Seite bereit, nicht nur Bachmut zu attackieren, sondern auch die gesamte Ostfront und die russische Oblast Belgorod.
Das ISW ordnet die Zahlen als übertrieben ein und deutet die Äusserungen so, dass Prigoschin offenbar fürchtet, seine gesamten Einheiten in Bachmut demnächst zu verlieren. Es könnte also ein weiterer Versuch sein, zusätzliche Unterstützung vom Kreml zu erhalten. In dem Video fiel seine Rhetorik zudem weniger hart aus als in den Äusserungen zu Beginn der Woche. Das ISW geht davon aus, dass seine verbindlicheren Worte ein erneuter Versuch sind, Zugeständnisse aus dem Kreml zu erhalten.
Unbegründet sind Prigoschins Befürchtungen nicht. Einen entsprechenden Gegenangriff in Bachmut hatten die ukrainischen Streitkräfte zuletzt angekündigt. Die russischen Truppen verlören «deutlich an Kraft» und seien «erschöpft», erklärte der Befehlshaber der ukrainischen Bodentruppen, Oleksandr Syrskyj, am Donnerstag im Onlinedienst Telegram.
«Wir werden diese Gelegenheit sehr bald nutzen, so wie wir es bei Kiew, Charkiw, Balaklija und Kupjansk getan haben». Auch der Militärexperte Carlo Masala sagte jüngst in einem Interview mit t-online, dass von den russischen Soldaten aktuell keine grösseren Angriffe mehr zu erwarten seien. «Wenn man bedenkt, wie massiv Russland seine Arsenale mit Kriegsgerät und Menschen aufgestockt hat, sind die Erfolge minimal. Ich denke, der Höhepunkt der russischen Offensive ist erreicht.»
Die Planungen für eine grössere Frühjahrsoffensive sind schon länger im Gange. Laut Medienberichten zufolge sollen Mitglieder des ukrainischen Militärs Mitte März mehrere Szenarien mit Vertretern der US-Streitkräften in Wiesbaden durchgespielt haben. Ein Erfolg wäre laut Experte Masala, wenn es der Ukraine gelänge, eine Schneise von Saporischschja bis zum Asowschen Meer zurückzuerobern: «Dann könnten die Ukrainer auch die Krim in Bedrängnis bringen.»