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Russland: Nationalist Igor Girkin ruft zu Putsch gegen Putin auf

«Einer muss der Erste sein»: Russischer Nationalist ruft zu Putsch gegen Putin auf

In Russland hat Igor Girkin den Ruf eines strammen Nationalisten. Jetzt stellt sich der Geheimdienstler so offen wie nie gegen Kremlchef Wladimir Putin.
19.09.2023, 22:1519.09.2023, 22:24
Martin Küper / t-online
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t-online

Seine wiederholten Attacken gegen Kremlchef Putin haben Igor Girkin bereits ins Gefängnis gebracht – zum Schweigen bringen lässt sich der Nationalist und im Westen verurteilte Kriegsverbrecher davon aber nicht. Erst kürzlich erklärte Girkin auf seinem Telegram-Kanal mit knapp 700'000 Abonnenten, warum er ein besserer Präsident als Putin wäre. Jetzt hat Girkins Anwalt eine neue Botschaft von ihm veröffentlicht – und die hat es in sich.

Igor Girkin also know as Igor Strelkov, the former military chief for Russia-backed separatists in eastern Ukraine, sits in a glass cage in a courtroom at the Moscow's City Court in Moscow, Russi ...
Igor «Strelkow» Girkin stellt sich gegen den Kreml.Bild: keystone

Zunächst spricht Girkin von «offensichtlichen Unruhen» in Russland, die mit dem Aufstand der Wagner-Söldner Ende Juni ihren Anfang genommen hätten. Die «militärische Spezialoperation» in der Ukraine mache es aber unmöglich, den «seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehenden bürokratisch-oligarchischen Konsens zu stabilisieren», so der rechtsgerichtete Geheimdienstler. Mit dem Ausdruck bezieht sich Girkin offenbar auf Putins Herrschaftssystem, das sich auf Geheimdienstapparate, das Militär und reiche Wirtschaftsbosse stützt.

Girkin befahl Abschuss von Flug MH17

«Das bedeutet, dass die Unruhen früher oder später ihr Endstadium erreichen werden. Ein unkontrollierter Zusammenbruch des gesamten Systems der öffentlichen Verwaltung ist möglich», schreibt Girkin, der sich selbst den Kampfnamen «Strelkow» (Schütze) verliehen hat. «Gleichzeitig fehlt im politischen Bereich derzeit eine positive patriotische Kraft, die in der Lage wäre, die Entwicklung der Situation zumindest zu beeinflussen.»

epa10826862 Former military commander of the self-proclaimed Donetsk People's Republic (DPR) Igor Strelkov (Girkin) attends a hearing on complaints from the defense against his arrest at the Mosc ...
Girkin gehört zu den bekanntesten Nationalisten Russlands.Bild: keystone

Girkin ist in Russland kein Unbekannter. Der 52-Jährige gilt als eine der wichtigsten Stimmen der nationalistischen Rechten im Land. 2014 beteiligte sich Girkin am russischen Einmarsch im Osten der Ukraine und schwang sich dort zum «Verteidigungsminister» der sogenannten Volksrepublik Luhansk auf. In dieser Funktion ordnete Girkin den Abschuss von Flug MH17 an, bei dem 298 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Niederländer. Ein niederländisches Gericht verurteilte ihn deswegen voriges Jahr in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Eine Auslieferung Girkins durch Russland ist allerdings nicht zu erwarten.

Demokratie ist Girkins Horrorvorstellung

In Russland sitzt Girkin derweil aus anderen Gründen im berüchtigten Moskauer Untersuchungsgefängnis Lefortowo ein. Dorthin wurde er Ende Juli mutmasslich im Zusammenhang mit der Meuterei der Wagner-Söldner einen Monat zuvor gebracht. Girkin gilt zwar nicht als Verbündeter des inzwischen gestorbenen Söldner-Führers Jewgeni Prigoschin, hatte die Kriegsführung des Kremls aber ebenfalls immer wieder scharf kritisiert. Jetzt warnt Girkin, dass «das derzeitige Machtsystem seine Kontrollhebel verlieren wird» – und die «liberale Opposition» die einzige Alternative zu Putin sei.

Eine demokratische Entwicklung in Russland ist für Girkin eine Horrorvorstellung. Daher hält er es für seine Pflicht, «alle Anstrengungen zu unternehmen, um zumindest die Grundlage für die Vereinigung der ‹nicht kranken› patriotischen Kräfte als ‹dritte Kraft› zu schaffen», schreibt Girkin weiter. «Allerdings muss sich zuerst jemand erheben, und sei es nur, um ein Beispiel zu geben und andere zum Handeln aufzurufen.» Sich selbst sieht Girkin allerdings nicht in der Position, den Aufstand gegen Putin anzuführen, da er weder die Ressourcen noch die Autorität dafür habe.

«Einer muss der Erste sein!»

«Ich hoffe, dass mein Beispiel andere Menschen und andere Kräfte unter denen motivieren wird, die es jetzt nicht wagen, als Führer der nationalpatriotischen Bewegung aufzutreten», so Girkin. «Mein Standpunkt ist, dass es zu spät ist, Angst zu haben und zu warten – wir stehen am Vorabend des Zusammenbruchs der russischen Staatlichkeit. Einer muss der Erste sein!»

Der Kreml hat bislang nicht auf Girkins unverhohlenen Aufruf zum Putsch gegen Putin reagiert. Unklar ist, warum sich Girkin bislang überhaupt so offene Kritik am Kremlherrscher leisten konnte. Erst kürzlich hatte er Putin ganz offen verspottet. Denkbar ist, dass Girkin den Schutz bestimmter Kreise in den russischen Geheimdiensten geniesst. Genau wie Putin hat auch Girkin den Inlandsgeheimdienst FSB durchlaufen. 2013 soll er zum berüchtigten Militärgeheimdienst GUR gewechselt sein, der für Anschläge auf Kremlkritiker im Ausland verantwortlich gemacht wird.

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72 Kommentare
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FrancoL
19.09.2023 22:29registriert November 2015
Das wird für Russland hart, sehr hart, wenn die Nachfolger des Möchtegern Zaren Putin auch noch so unmöglich ticken. Das Land wird über Jahre nicht zur Ruhe kommen und immer wieder eine Gefahr darstellen.
Keine schöne Aussichten. Da gilt nur eines Abstand halten.
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Swen Goldpreis
19.09.2023 23:19registriert April 2019
Man würde ja vermuten, dass - rein nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit - auch einmal ein vernünftiger Widersacher auftaucht. Aber irgendwie scheint es in Russland nur noch Irre zu geben.
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B-Arche
20.09.2023 00:36registriert Februar 2016
Und 30% der US Republikaner-Wähler finden Putins Gesellschaftsbild und harte Illiberale Hand und sie würden auch gerne so sein. In Deutschland sitzt der Kreml im Bundestag (AfD, Die Linke) und in der Schweiz vertreibt die "Weltwoche" unreflektierte Kreml- und Pekingpropaganda.

Und niemand steht auf dagegen.
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