Zwei Tage nach dem Einschlag einer Rakete im polnischen Dorf Przewodow ist nach wie vor unklar, wie genau die Hintergründe aussehen. Nachdem zunächst Meldungen die Runde gemacht hatten, es handle sich um eine russische Rakete, hält die Nato mittlerweile eine von Kiew abgefeuerte Verteidigungsrakete für die wahrscheinlichste Option. Die Ukraine will davon aber nichts wissen – und verärgert damit den Westen. Eine Übersicht.
Nach ersten Untersuchungen ist für die Nato ziemlich klar: Bei der in Polen eingeschlagenen Rakete handelt es sich nicht um einen russischen Angriff. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, stellte Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in Brüssel klar. Zudem deute ganz grundsätzlich nichts darauf hin, dass Moskau einen Angriff gegen ein Nato-Land vorbereiten wolle.
Stattdessen geht die Nato nun davon aus, dass die Rakete aus Kiew abgefeuert worden sei – allerdings unbeabsichtigt. «Unsere Analyse deutet darauf hin, dass es sich um einen Unfall handelt. Die Ursache ist wohl eine ukrainische Rakete, die abgefeuert wurde, um einen russischen Angriff abzuwehren», so Stoltenberg. Dies sei aber kein Vorwurf an Kiew, stellte er klar: «Die Verantwortung liegt bei Russland, denn dies ist die unmittelbare Folge des laufenden Kriegs.» Die Ukraine habe das Recht, sein eigenes Staatsgebiet und wichtige Infrastruktur zu verteidigen.
Der gleichen Ansicht wie die Nato sind derweil auch Polen und die USA. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte bei einer Pressekonferenz, man habe keine Beweise dafür, dass Russland für den Raketeneinschlag verantwortlich sei. US-Sprecherin Adrienne Watson fügte an, es sei wohl eine ukrainische Rakete, die «unglücklicherweise» in Polen gelandet sei.
Die ukrainische Regierung will davon allerdings nichts wissen. Am Mittwochabend beharrte Präsident Wolodymyr Selenskyj stattdessen erneut darauf, dass Kiew nichts mit dem Einschlag in Polen zu tun habe. Dabei berief er sich auf einen Bericht seines Generals Walerij Saluschnyj. «Er hat mir gesagt, dass es sich nicht um eine von unseren Raketen handelt. Und ich habe keine Zweifel daran», so Selenskyj.
Der Präsident forderte deshalb, dass man der Ukraine Zugang zur Einschlagstelle gewähren müsse. «Sollte, Gott bewahre, ein Teil einer unserer Raketen diese Leute getötet haben, müssen wir uns entschuldigen. Aber dafür brauchen wir zunächst eine Untersuchung, den Zugang zur Unfallstelle sowie alle Daten.»
Dass die Ukraine nach wie vor jegliche Art von Beteiligung von sich weist, stösst bei der Nato nun auf Unverständnis. So zeigte sich ein Diplomat gegenüber der «Financial Times» verärgert über die Worte Selenskyjs. «Das ist langsam lächerlich. Die Ukrainer zerstören so unser Vertrauen in sie. Niemand gibt der Ukraine die Schuld und sie lügen», wirft er der Regierung in Kiew vor. Solche Worte seien «zerstörerischer als die Raketen».
Auch Russland äusserte sich am Mittwoch erneut zu den Vorfällen in Przewodow. Dabei stritt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow eine Schuld an den Einschlägen vehement ab und sprach von einer «erneut hysterischen und bösartig russophoben Reaktion» einiger Länder. Dies sei eine «absichtliche Provokation, um die Situation eskalieren zu lassen», so seine Kritik. Russland habe an diesem Tag nicht einmal Raketen in Richtung Kiew abgefeuert, so Peskow.
Am Dienstagabend kam es im polnischen Dorf Przewodow zu einem Raketeneinschlag. Bei der Explosion, die sich bereits am Nachmittag um ca. 15.40 Uhr ereignete, sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Przewodow liegt lediglich sechs Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt und rund 100 Kilometer nördlich der ukrainischen Stadt Lwiw.
Bereits kurz nachdem die ersten Berichte über den Raketeneinschlag publik wurden, kursierten Gerüchte, dass es sich um eine russische Rakete handeln könnte. Russland hatte während des Tages die Ukraine massiv mit Raketen beschossen. Laut Angaben aus Kiew flogen etwa 100 Raketen auf ukrainisches Staatsgebiet, auch Lwiw war von den Attacken betroffen.
Die polnische Regierung bestätigte anschliessend in der Nacht auf Mittwoch, dass es sich um eine Rakete aus russischer Produktion handelte. Der polnische Präsident Andrzej Duda betonte allerdings schon kurz darauf, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Russland die Rakete abgefeuert habe, und man keine voreiligen Schlüsse ziehen wolle. Sowohl Russland als auch die Ukraine verwenden Raketen aus sowjetischer Produktion.
(dab)
Natürlich käme ihm gelegener, wenn nun die Basis für mehr Waffenlieferungen geschaffen worden wäre.
Die Besonnenheit der Natoländer ist dagegen zu begrüßen.