Mehrere Hundert Menschen versammelten sich am Dienstagabend im Stadtzentrum von Ferizaj im Süden des Kosovo. Die Oppositionspartei «Lëvizja Vetëvendosje» (Bewegung für Selbstbestimmung) hatte zur Abschlusskundgebung des Lokalwahlkampfs gerufen. Angereist waren die Granden der Bewegung: Visar Ymeri, der Parteivorsitzende, und Albin Kurti, ihr Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten.
Doch der eigentliche Star des Abends war ein 53-jähriger, im Kanton Schaffhausen wohnhafter, schweizerisch-kosovarischer Doppelbürger: Faton Topalli. Seit 4 Jahren sitzt er im Parlament in Pristina. Er pendelt wochenweise zwischen seinen Aufgaben als stellvertretender Wohngruppenleiter in einem Zürcher Jugendheim und als Parlamentarier in Pristina hin und her.
Die letzten Wochen verbrachte er ausschliesslich im Kosovo. Topalli ist im Kampagnenmodus: «Ich bin sehr zufrieden mit dem bisherigen Wahlkampf», sagt er watson am Telefon. Umfragen sehen ihn auf einem Spitzenrang.
Kommt es wie erwartet zu einer Stichwahl am 19. November und geht Topalli daraus als Sieger hervor, könnte der Schaffhauser bald schon die Geschicke einer Stadt lenken, die mehr Einwohner hat als Luzern oder St.Gallen.
Topalli ist in Ferizaj aufgewachsen und kam 1983 mit 20 Jahren als politischer Flüchtling in die Schweiz. In seiner Heimat drohte ihm das Gefängnis, weil er Demonstrationen für mehr Autonomie für den Kosovo innerhalb der Jugoslawischen Föderation organisierte.
In der Schweiz studierte er Soziale Arbeit und erwarb an der Fachhochschule ZHAW einen Master-Abschluss. Er blieb in der albanischen Diaspora politisch aktiv, trat der SP bei und gründete den Verein «Pro Integra», der sich für die Interessen und Integration von Migranten einsetzt.
Wird Topalli Bürgermeister, will er vor Ort einiges zu verändern. Ferizaj ist eine der 38 Grossgemeinden des Kosovo. Sie umfasst 45 Ortschaften mit insgesamt 108’000 Einwohnern (Zahlen von 2011). Topalli will auch auf seine Erfahrungen in der Schweiz zurückgreifen.
«Wie in der Schweiz möchte ich als Politiker ein ganz normaler Mensch sein, der sich ohne Bodyguards bewegt», sagt Topalli. Er wolle Ferizaj zusammen mit den Bürgern entwickeln und diese in die Politik miteinbeziehen, wie das in der Schweiz geschehe.
Es gebe viel zu tun: In den Spitälern und Arztpraxen mangle es aufgrund schlechter Planung an Medikamenten, es fehle an Instrumenten und Labors, Ärzte seien nicht anwesend, weil sie auf privater Basis ein Zusatzeinkommen verdienen wollten: «Mit besserer Planung ist hier viel zu erreichen».
Topalli will die illegale Bautätigkeit beenden. Heute würden Planungsvorgaben und Bauvorschriften nicht eingehalten, weil die Stadtregierung mit der «lokalen Baumafia» unter einer Decke steckten. Es fehle an Grünräumen, Trottoirs, Parkmöglichkeiten: «Ferizaj ist eine Stadt aus Asphalt und Beton», sagt er.
In der Bildungspolitik will Topalli unter anderem mit der Praxis aufräumen, Schuldirektoren aufgrund ihres Parteibuchs einzusetzen, wie es bisher geschehe. Ausserdem hat sich Topalli vom dualen Bildungssystem in der Schweiz inspirieren lassen: «Wir wollen Firmen dazu ermuntern, Jugendlichen vor dem Sprung auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, bei ihnen Praxiserfahrung zu sammeln.» Langfristig brauche es hier aber eine nationale Reform.
Seine Gegner versuchten ihn im Wahlkampf mit dem Vorwurf zu schwächen, da er gar nicht in Ferizaj lebe, sei er zu weit weg von den Bürgern, sagt Topalli: «Dabei belegen Studien von unabhängigen NGOs, dass ich in den letzten Jahren einer der aktivsten Parlamentarier war.»
Topalli sieht in seinem Schweizer Background keinen Nachteil: Sein ausländischer Masterabschluss und seine Berufserfahrung in Privatwirtschaft und Behörden kommen bei den Wählern gut an. «Ausserdem haben sie Respekt dafür, dass ich bereit bin, in den Kosovo zurückzukehren und mich zu engagieren.»
Für den Schlussspurt seines Wahlkampfs haben sich Schweizer Freunde von Faton Topalli als Besucher angemeldet. Einer davon ist Andi Kunz, ehemaliger Stadtparlamentarier der Alternativen Liste (AL) in Schaffhausen. Er hatte Topalli schon während dessen erfolglosen Anlauf auf das Bürgermeisteramt 2013 besucht.
«Wir hoffen natürlich, dass wir dieses Mal etwas zu feiern haben am Wahlsonntag», sagt Kunz. Er sei optimistisch, dass es dieses Mal klappe. Wenn es dafür einen zweiten Wahlgang brauche, sei das auch nicht tragisch. Dann reise die Gruppe halt in vier Wochen noch einmal nach Ferizaj, sagt Kunz: «Wenn Faton zum Bürgermeister gewählt wird, wollen wir auf jeden Fall mit ihm darauf anstossen.»