45 Minuten dauerte es, bis etwas in Scherben lag. Markus Somm, genervt, dass ihn Moderator Projer schon wieder abklemmte, wischte mit einer ruckartigen Handbewegung sein Wasserglas vom Stehpult.
Dem Chefredaktor der «Basler Zeitung» beim Malheur Absicht zu unterstellen, wäre verfehlt. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis etwas zu Bruch ging, angesichts des Themas (die fragile Schweiz-EU-Beziehung) und angesichts der Impulsivität, die Somm von Beginn weg an den Tag legte.
In Leutschenbach blickte man aber nicht nur ins bzw. aufs Glas, man blickte auch über die Grenzen: Nach Frankreich, wo eine schicksalsträchtige Wahl bevorsteht. Und nach Brüssel, wo man sich allmählich Gedanken machen muss über die Zukunft der Union.
Die Europäische Union ist zwar kein Scherbenhaufen. Noch nicht. Aber der Druck auf den EU-Körper wächst und wächst und einige Glieder weisen Glasknochen auf. Euro-Krise, Griechenland-Krise, Flüchtlingskrise und zuletzt der Brexit. Sollte am Sonntag die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, das Rennen um die französische Präsidentschaft machen, dann ist der Frexit ein realistisches Szenario. Eine EU ohne Frankreich – eigentlich unvorstellbar.
Die Personenfreizügigkeit ist einer der Hauptpfeiler der EU – und genau daran wird von Paris bis Budapest emsig gesägt. Auch in der Schweiz. Mit der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative 2014 verpflichtete sich die Schweiz, die Zuwanderung zu begrenzen. Die Umsetzung der Initiative erwies sich aber als Knacknuss: Mit einem «Inländervorrang light» schaffte eine Mehrheit aus FDP und SP im Parlament die Quadratur des Kreises. Die SVP, Urheberin der MEI, sah das freilich anders. Für die Volkspartei hatte die bürgerlich-linke Front die Demokratie in der Schweiz zu Grabe getragen.
Jetzt ist klar, dass die AUNS eine Initiative zur Kündigung der PFZ lancieren wird – und dass die Beziehungen zu einer wie auch immer gearteten EU bei einer Annahme womöglich mehr als nur ein paar Risse aufweisen werden.
SVP-Nationalrat Luzi Stamm ist einer der Väter der kommenden Kündigungsinitiative. Der AUNS-Vize machte in der Arena aber keine Werbung in eigener Sache. Im Gegenteil. In hölzernem Stil trug Stamm vor, dass es der Schweiz seit der Einführung der PFZ «todsicher» schlechter gehe. Eine Kündigung sei deshalb unumgänglich. Das Argument verfingt nicht.
Mitunter wirkte Stamm wie ein Staubsaugervertreter, der weiss, wie es um die Düse seines Geräts bestellt ist: Es fehlt zwar die Saugkraft, aber irgendwie muss das Modell doch an den Mann gebracht werden.
Aber Stamm musste weder hausieren noch argumentieren. Stamm musste nur regelmässig seine einstudierte «Nivellierungs-Geste» vollführen (siehe Gif), den Rest übernahm BaZ-Chef und Volksflüsterer Markus Somm.
«Wir haben ein Riesenthema in Europa namens Zuwanderung», diagnostizierte Somm. Das sei der Hauptrund, warum rechtsextreme Politikerinnen wie Marine Le Pen überhaupt erst an der Macht schnuppern dürften. Solche Entwicklungen gelte es in der Schweiz zu verhindern, warnte Somm.
Der Verleger trat in dieser «Arena» als geläuterter Sünder auf. Vor zehn Jahren habe er die Personenfreizügigkeit («aus liberaler Sicht theoretisch eine gute Idee») noch befürwortet, beichtete Somm, jetzt aber sei er zur Besinnung gekommen. 800'000 Menschen in zehn Jahren – «das entspricht der Grösse des Kantons Waadt!» – seien zu viele, zu schnell auf einmal, gewesen. Er wisse nicht, ob er in Zukunft überhaupt noch zwischen Zürich und Bern pendeln könne, wenn es so weitergeht.
Somms Dichtestress liess Cédric Wermuth kalt. Der SP-Nationalrat stellte nicht in Abrede, dass die Zuwanderung die Bevölkerung in der Schweiz und ennet der Grenze beschäftigt. Nur sei eine Kündigung der PFZ die falsche Antwort. Es gelte vielmehr, die negativen Emissionen des freien Personenverkehrs einzudämmen – und zwar mittels einer Verstärkung der flankierenden Massnahmen. Und genau dagegen hätten sich «Herrn Somms Freunde» im Parlament immer quergestellt.
Neben Wermuth vertrat Elisabeth Schneider-Schneiter das «Team PFZ». Aber die CVP-Nationalrätin blieb ebenso blass wie Luzi Stamm auf der Gegenseite. Zwar erinnerte sie mehrmals daran, dass aufgrund der Guillotine-Klausel bei einer Kündigung der PFZ auch die restlichen Bilaterale-I-Verträge hinfällig werden. Ansonsten aber war Schneider-Schneiter ein Ebenbild der CVP in der Masseneinwanderungs-Debatte: im Zickzack-Kurs unterwegs.
Und als sie anregte, die EU solle in Zukunft weniger politisch, dafür mehr wirtschaftlich ausgerichtet werden, wurde sie von Wermuth regelrecht zerpflückt.
Das Problem sei eben gerade, dass die EU als rein wirtschaftspolitisches Integrationsprojekt ausgestaltet worden sei, so der SP-Nationalrat. Demokratisches Mitspracherecht, eine politische Vertiefung sowie übergeordnete wirtschaftspolitische Planungen seien dabei vergessen gegangen.
Mit dem zukünftigen Aussehen der Europäischen Union mochte sich Somm nicht befassen. Der BaZ-Chefankläger holte gegen Ende der Sendung lieber noch einmal zum Rundumschlag gegen das hiesige Polit-Establishment aus: «Ihr Politiker seid die einzigen in diesem Land, die vom Inländervorrang profitieren», polterte Somm in Richtung Wermuth und Schneider-Schneiter. Den einigermassen originellen Vorschlag Somms, statt Schweizern Deutsche oder Amerikaner in die Grosse Kammer zu schicken, veranlasste einen belustigten Wermuth zur Bemerkung, Somm habe sich soeben für das Ausländerstimmrecht und die erleichterte Einbürgerung stark gemacht.
Es lag aber nicht an Widersacher Somm, dass Wermuth am Ende dieser «Arena» die Gunst des Publikums gewann, sondern an einem Votum eines pensionierten Plattenlegers. Dessen Behauptung, dass es den Italienern und Portugiesen unter dem Saisonnierstatut ebenso gut ergangen sei wie unter der Personenfreizügigkeit, konnte Wermuth nicht unwidersprochen lassen. Der SP-Nationalrat schilderte, wie seine Grossmutter, die selber aus Italien eingewandert war, unter der jahrzehntelangen Abweisung in der Schweiz litt. So etwas dürfe sich nicht wiederholen. «Ich will nicht, dass wir Menschen hierherholen, sie als Bürger zweiter Klasse behandeln und dann wieder zurückschicken, als wären sie eine Handelsware.»