Seit der Eskalation der Gewalt in Myanmar vor rund zehn Tagen sind im Nachbarland Bangladesch nach Angaben der UNO 87'000 Flüchtlinge angekommen, die meisten von ihnen Mitglieder der muslimischen Rohingya-Minderheit. Weitere 20'000 warteten an der Grenze auf Einlass nach Bangladesch, hiess es in einem am Montag veröffentlichten UNO-Bericht.
Dhaka hatte in den vergangenen Tagen die Grenzkontrollen verstärkt. Doch der UNO-Bericht zitierte Flüchtlinge, denen zufolge sie bei der Grenzüberquerung nicht aufgehalten wurden.
#Rohingya refugees fleeing attacks in #Myanmar pour into #Bangladesh. The line is miles long. pic.twitter.com/ACI1YhbAGW
— Matthew Smith (@matthewfsmith) 4. September 2017
Ein Grenzsoldat sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Flüchtlinge seien dermassen zahlreich, dass es unmöglich sei, sie zu stoppen. Zuvor hatte Bangladesch viele der neu eintreffenden Flüchtlinge zurück nach Myanmar abgeschoben.
In Bangladesch lebten vor der jüngsten Krise bereits etwa 400'000 Rohingya-Flüchtlinge unter elenden Bedingungen in Camps an der Grenze zu Myanmar. Dort wurden der UNO zufolge auch die Neuankömmlinge untergebracht.
Viele fanden jedoch keinen Schutz vor den heftigen Monsunregen. Ein AFP-Reporter sah in der Nähe der Küstenstadt Cox's Bazar hunderte behelfsmässige Unterstände am Rande der weitläufigen Flüchtlingslager.
Bei Kämpfen zwischen der Armee und Rohingya-Rebellen in Myanmars westlichem Bundesstaat Rakhine gab es seit Ende August hunderte Tote. Die Gewalt trieb zahlreiche Menschen in die Flucht. Dutzende ertranken beim Versuch, den Grenzfluss Naf nach Bangladesch mit behelfsmässigen Booten zu überqueren.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte am Wochenende vor einer humanitären Katastrophe. Das Welternährungsprogramm (WFP) stellte wegen der Gewalt seine Hilfe für den Bundesstaat Rakhine vorerst ein.
In Rakhine leben etwa eine Million Rohingya in bitterer Armut. Die Muslime gelten als eine der am meisten verfolgten Minderheiten der Welt. Weite Teile der buddhistischen Mehrheit in Myanmar betrachten sie als illegale, staatenlose Einwanderer aus Bangladesch, obwohl viele der Rohingya schon seit Generationen in Myanmar leben.
Die Flüchtlinge in Cox's Bazar gaben an, Sicherheitskräfte und aufgehetzte Buddhisten hätten ihre Familien massakriert und ihre Dörfer niedergebrannt. Die Regierung in Myanmar, dem ehemaligen Birma, macht bewaffnete Rohingya-Rebellen für die Gewalt verantwortlich.
Myanmars De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi gerät unterdessen zunehmend in die Kritik, weil sie zu den Vorgängen in ihrem Land schweigt. Die ehemalige Gefangene der Militärjunta in Myanmar - sie wurde wegen ihres jahrelangen gewaltlosen Kampfs für Demokratie 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet - äusserte sich zunächst nicht zur Gewalt und zu den Flüchtlingen.
Ihr Büro veröffentlichte am Montag lediglich eine Bilanz der jüngsten Zusammenstösse. Demnach wurden 2600 Häuser in Rohingya-Dörfern und 136 Häuser in nicht-muslimischen Ortschaften zerstört; Suu Kyis Büro wies die Schuld daran ausschliesslich den Rohingya-Kämpfern zu.
Die UNO-Friedensbotschafterin und Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2014, Malala Yousafzai, erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter, sie habe in den vergangenen Jahren wiederholt die «tragische und beschämende Behandlung der Rohingya» verurteilt. Sie warte immer noch darauf, dass Aung San Suu Kyi dasselbe tue, fügte die 20-jährige pakistanische Kinderrechtsaktivistin hinzu.
In Staaten in Südostasien mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit wächst die öffentliche Besorgnis über das Schicksal der Rohingya. Der pakistanische Oppositionspolitiker und ehemalige Cricketstar Imran Khan twitterte: «Schändliche Zustimmung zum Rohingya-Genozid durch Aung San Suu Kyi.» Das pakistanische Aussenministerium forderte Myanmar auf, Berichte über Gräueltaten gegen Rohingya zu überprüfen.
Die indonesische Aussenministerin Retno Marsudi traf am Montag in Naypyidaw den myanmarischen Armeechef, General Min Aung Hlaing, und Aung San Suu Kyi. Sie drängte die Regierung, mehr zur Entschärfung der Krise zu unternehmen. Irans Aussenminister Dschawad Sarif forderte internationales Einschreiten gegen die «ethnischen Säuberungen» in Myanmar.
Zuvor hatte Indonesiens Staatschef Joko Widodo das «sofortige Ende der humanitären Krise» gefordert. Am Montag zogen dutzende Demonstranten vor Myanmars Botschaft in Jakarta. Auch in Malaysia fanden Kundgebungen für die Rohingya statt und auch in Tschetschenien demonstrierten tausende Menschen gegen die Verfolgung der Rohingya. (sda/afp)