International
Ukraine

Die Lage im Ukrainekrieg vor der nächsten Verhandlungsrunde mit Russland

Die Lage im Ukrainekrieg vor der nächsten Verhandlungsrunde

22.07.2025, 19:2622.07.2025, 19:26
Mehr «International»

Morgen Mittwoch soll in Istanbul die nächste Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland stattfinden, falls der Kreml zustimmt. Die Aussichten auf einen Waffenstillstand sind freilich eher gering. Russland, das bereits 2014 die ukrainische Halbinsel Krim und nach Beginn seines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs weitere Gebiete des Nachbarlandes annektiert hat, verlangt von der Ukraine die Anerkennung dieser Annexionen sowie den Verzicht auf einen NATO-Beitritt und westliche Militärhilfe. Die Ukraine weist diese Maximalforderungen zurück.

>>> Die aktuelle Entwicklung im Liveticker

An der Front gehen die Kämpfe unterdessen in unverminderter Härte weiter. Allein am vergangenen Sonntag verzeichnete der ukrainische Generalstab 122 russische Angriffe an verschiedenen Abschnitten der Front, die von Artillerie und aus der Luft unterstützt wurden. Die russische Luftwaffe warf dabei 71 gelenkte Gleitbomben auf die gegnerischen Stellungen ab. Diese Angaben lassen sich – wie nahezu immer – nicht unabhängig prüfen. Die verstärkte Intensität der russischen Angriffe dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass Moskau vor den Verhandlungen noch versucht, vermehrt Druck aufzubauen.

KEYPIX - epa12252637 Communal workers work at the site of a drone strike in Odesa, southern Ukraine, 22 July 2025, amid the Russian invasion. At least one person was injured after Russian forces attac ...
Ausgebrannte Autowracks in Odessa nach einem russischen Drohnenangriff. Bild: keystone

Kaum Veränderungen beim Frontverlauf

Insgesamt hat sich der Frontverlauf in den letzten Tagen indes nur geringfügig verändert. Nach wie vor rücken die russischen Bodentruppen vor – allerdings weiterhin nur sehr langsam. Die letzten umfangreichen Gebietsgewinne konnten sie im März erzielen, als sich die ukrainischen Truppen aus der von ihnen teilweise besetzten russischen Oblast Kursk zurückzogen.

Im Norden der Front, in der Region Sumy, vermochte die ukrainische Armee laut dem Lagebericht des Institute for the Study of War (ISW) in den vergangenen Tagen bei Kindratiwka einen Gebietsstreifen zurückzuerobern, während Russland weiter östlich den Ort Jabluniwka einnehmen konnte.

Frontverlauf in der ukrainischen Region Sumy, 21. Juli 2025.
https://storymaps.arcgis.com/stories/36a7f6a6f5a9448496de641cf64bd375
Die Geländegewinne der ukrainischen (blau) und der russischen Armee (rot) nördlich von Sumy im Norden der Ukraine, Stand 21. Juli.Karte: ISW

Dagegen stiessen russische Einheiten weiter südöstlich in den Regionen Luhansk und Donezk vor, namentlich bei Lypowe nördlich von Lyman und in Richtung von Nowopawliwka an der Grenze zur Oblast Dnipro, wo sie den Ort Selenji Hai erreichten. Ukrainische Truppen stiessen westlich von Torezk und bei Kamjanske, in der Oblast Saporischschja, vor.

Frontverlauf bei Nowopawlika, Ukraine, 20. Juli 2025.
Frontverlauf in der Oblast Donezk bei Nowopawliwka. Karte: ISW

Pokrowsk droht die Einkreisung

Bei Pokrowsk, das der ukrainischen Armee als logistisches Drehkreuz zur Versorgung der Einheiten im Donbass dient, hat sich die Lage allerdings für die ukrainischen Verteidiger weiter verschärft. Dort versuchen die russischen Truppen, die Stadt von Nordosten und Südwesten her einzukreisen. Seit Anfang Juli haben sie dabei territoriale Fortschritte erzielt.

Frontverlauf bei Pokrowsk, Ukraine, 1. Juli 2025
Frontverlauf bei Prokowsk am 1. Juli und ... Karte: ISW
Frontverlauf bei Pokrowsk, Ukraine, 21. Juli 2025
... am 21. Juli. Karte: ISW

Der russische Geländegewinn bei Pokrowsk ist auch deshalb von Belang, weil nun die Hauptversorgungsroute, die durch Rodynske in die umkämpfte Stadt führt, nicht nur in Reichweite der feindlichen Artillerie liegt, sondern auch der Gefahr durch FPV-Drohnen ausgesetzt ist. Dies wird die Versorgungslage in Pokrowsk weiter erschweren. Falls kein erfolgreicher ukrainischer Entlastungsangriff erfolgt, der die russischen Truppen zurückdrängt, könnten die logistischen Probleme die Verteidiger mittelfristig dazu nötigen, die Stadt aufzugeben. Nach Einschätzung der vor Ort kämpfenden Soldaten ist der Fall von Pokrowsk unvermeidlich. Ein ukrainischer Drohnenpilot sagte gegenüber «The Kyiv Independent», es sei leider nur eine Frage der Zeit.

Drohnen statt Panzer

In der Schlacht um Pokrowsk setzt die russische Armee konsequent auf Flankenangriffe statt der extrem verlustreichen Frontalangriffe und Häuserkämpfe; mit ihrer Umfassungsstrategie versucht sie primär, die Versorgungslinien der Stadt abzuschneiden. Zugleich steht der Kampf um Pokrowsk exemplarisch für den Übergang zu einer neuen Phase der Kriegsführung: Weg vom Abnutzungskrieg, hin zu einem Krieg, der vornehmlich mit Drohnen geführt wird.

epa12170503 A street in the Ukrainian city of Myrnohrad on the Pokrovsk (Donetsk) frontline is completely shelled, 11 June 2025. The city has been heavily besieged for months by Russian troops, who ar ...
Pokrowsk ist mittlerweile eine Ruinenstadt.Bild: keystone

In den letzten Monaten hat Russland gemäss der Militärexpertin Patricia Marins die Produktion von Glasfaserdrohnen massiv ausgeweitet und gleichzeitig den Einsatz von Störsendern gegen ukrainische Drohnen intensiviert. Zudem werden Gleitbomben gegen ukrainische Stellungen und Infrastruktur wie Eisenbahnen eingesetzt. Die Ukraine reagiert darauf mit dem Bau von massiven Verteidigungslinien – mit Stacheldraht, Panzerabwehrgräben, Hindernissen, Schützengräben und getarnten kleinen Bunkern – hinter der Front.

epa12170492 A Ukrainian-made Vampire drone operated by the 15th National Guard Brigade 'Kara-Dag' in the Ukrainian city of Myrnohrad, Donetsk, Ukraine, 10 June 2025. Kara-Dag pilots use thes ...
Eine ukrainische «Vampir»-Drohne in Pokrowsk.Bild: keystone

Beide Seiten setzen immer mehr auf Drohnen statt auf Panzerverbände. Der Kommandant der Unbemannten Streitkräfte der Ukraine, Robert Brovdi, sagte kürzlich, die unbemannten Systeme wie Drohnen oder Roboter machten lediglich zwei Prozent der Armee aus, würden aber jeden dritten feindlichen Soldaten und jedes dritte feindliche Ziel eliminieren. Die Ukraine sei zudem dabei, ein Projekt für eine mehrstufige sogenannte Drohnenmauer umzusetzen. Sie soll alle Luftziele, von Aufklärungs- bis hin zu Angriffsdrohnen, abfangen. Brovdi wies darauf hin, dass es in den NATO-Staaten keine solchen – oder nur unzureichend entwickelte – Einheiten gebe. (dhr)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
1 / 37
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
Von ihrem Nachbarn überfallen, kämpft die Ukraine ums Überleben. In dieser Bildstrecke schauen wir auf die Ereignisse seit der Invasion Russlands zurück ...
quelle: keystone / bo amstrup
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Videos sollen ukrainischen Drohnenangriff auf Waffenfabrik tief im russischen Hinterland zeigen
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
35 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Mulumbi
22.07.2025 20:09registriert April 2024
Kurz und knapp: Die ruZZischen Fleischwellen rollen, unter absurd hohen Verlusten, weiter heran. Zunehmend ohne mechanisierte Hilfe. Die Ukrainer verteidigen dynamisch, geben wenn nötig ein paar Meter ab um eigene Kräfte möglichst zu schonen und dabei so viel ruZZisches Material und Personal zu vernichten. Die Ukraine kann und wird siegen, wenn der Westen seine Hilfe mindestens auf gleichem Niveau beibehält. Der Krieg wird mit mehr Hilfe schneller gewonnen.
2514
Melden
Zum Kommentar
35
«The Big Bang Theory»-Star kritisiert Trump-Regierung scharf
Während queere Menschen beim Pride feiern, reisst das Weisse Haus Schutzräume ein: Eine lebenswichtige Hotline für LGBTQIA+-Jugendliche wurde abgeschaltet. Der «The Big Bang Theory»-Star Jim Parsons ist fassungslos.
In den USA tobt der Kulturkampf um LGBTQIA+-Rechte – und US-Präsident Donald Trump giesst Öl ins Feuer. Mitten im Pride-Sommer, während in Städten wie New York, San Francisco oder Chicago Hunderttausende für Sichtbarkeit und Gleichberechtigung demonstrieren, zieht die Regierung in Washington einen Rettungsanker für queere Jugendliche still und leise ab: Das Sonderangebot der nationalen Krisenhotline 988 wurde am 17. Juli abgeschaltet.
Zur Story