Der Kanonendonner ist schon von weitem zu hören. In den Hügeln um die heftig umkämpfte Stadt Bachmut haben beide Kriegsparteien ihre Geschütze versteckt. Auf einer Hügelkuppe feuert ein amerikanischer Himars-Raketenwerfer seine GPS-gesteuerten Geschosse in den Himmel.
Ein ukrainischer Sattelschlepper lädt gerade eine Panzerhaubitze aus der Sowjetzeit auf der Strasse ab. Der Fahrer bringt das schwere Gefährt sofort auf einem Acker nebenan - verdeckt hinter ein paar Bäumen - in Stellung. «Wir können maximal zehn Minuten unsere Granaten verschiessen, bevor wir Gefahr laufen, gesehen und dann mit Gegenfeuer eingedeckt zu werden», erklärt ein ukrainischer Artillerist die Lage.
Sobald ein Geschütz feuert, kann es von gegnerischen Drohnen entdeckt werden, oder ein Artillerieaufklärungsradar auf der anderen Seite der Front vermisst die Bahn der Geschosse und berechnet so den genauen Standort des Geschützes.
Bachmut hat einen kleinen, ziemlich zerschossenen Bahnhof und ist militärisch nicht ganz unwichtig, weil eine wichtige Verbindungsstrasse von hier zu ebenfalls umkämpften Ortschaften führt. Der Kreml scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, Bachmut um jeden Preis zu erobern. Die kleine Stadt gehört zum Oblast Donezk im Donbass, also eine der vier ukrainischen Regionen, die Präsident Putin Russland einverleibt hat, obwohl seine Truppen nur einen Teil davon kontrollieren.
Die Speerspitze der Angreifer bilden häufig Söldner der so genannten Wagner-Gruppe, einer Privatarmee des russischen Unternehmers Jewgeni Prigoschin. Dieser wird manchmal auch «Putins Koch» genannt, weil er den ehemaligen Geheimdienst-Oberstleutnant schon oft bewirtet hat. Prigoschins Söldner haben das gut verteidigte und befestigte Bachmut immer wieder frontal angegriffen. Dabei erlitten sie grosse Verluste, schafften es zuletzt aber immer näher an die Stadt heran. Der Frontabschnitt im Oblast Donezk ist damit einer der wenigen, wo Moskaus Truppen noch Fortschritte machen.
Wir stehen unten am kaum 30 Meter breiten Fluss, der die Stadt in zwei Teile schneidet. Die Westseite mit dem Stadtzentrum steht unter ukrainischer Kontrolle, aber im Osten ist das nicht mehr so klar. Die östlichen Quartiere gehören zur «grauen Zone», also zum umstrittenen Gebiet.
Eine Fussgängerbrücke führt über den Fluss, aber sicherheitshalber haben die Ukrainer den Übergang in die Luft gesprengt. Zivilisten, die im Westen eingekauft haben, benützen nun einen halb im Wasser liegenden Holzsteg, um mit Esswaren und Trinkwasserflaschen in ihre Häuser auf der Ostseite zu gelangen.
Ganz am östlichen Stadtrand befindet sich die Art Winery, eine Sektfabrik, deren Ursprung auf die sowjetische Nachkriegszeit zurückgeht. Auch die Kommunisten im Kreml wollten damals als Sieger gegen Hitler die Champagnerkorken knallen lassen, darum musste eine Kellerei gegründet werden. In einem ehemaligen Gipsbergwerk, in dem die Deutschen während des Kriegs schätzungsweise 3000 Juden erschossen und verscharrt hatten, glaubte man, die ideale Produktions- und Lagerstätte gefunden zu haben.
Obwohl Bachmut rund 400 Kilometer von der Halbinsel Krim entfernt ist, wurde hier auch der bekannte Krim-Sekt hergestellt. Laut Unternehmensangaben befinden sich in den Kavernen der alten Gipsmine mehrere Millionen Sektflaschen, und vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass manche Einheimische den Wagner-Söldnern andichten, sie würden immer wieder Vorstösse zur Art Winery unternehmen, um sich dort mit Sekt einzudecken.
Andere Ukrainer meinen dagegen, dass sich die eigene Armee in den unterirdischen Anlagen der Kellerei eingenistet habe. Auf ukrainischer Seite gilt allerdings ein striktes Alkoholverbot. Verifizieren lassen sich die Gerüchte nicht, denn im Ostteil der Stadt ist es für einen Journalistenbesuch zu gefährlich.
Ihren ersten Einsatz als Söldner erlebte die Wagner-Gruppe nicht weit von Bachmut entfernt, als Moskau 2014 einen Aufstand im Donbass anheizte und die prorussischen Separatisten sich zu bereichern und gegenseitig zu bekämpfen begannen. Wagner-Soldaten kämpften nicht nur gegen die Ukrainer, sondern sie brachten jene prorussisschen Milizenchefs einfach um, die sich Moskaus Diktat nicht ohne Wenn und Aber beugen wollten. Damals und heute heisst der militärische Chef der Söldnergruppe Dmitri Utkin.
Er ist ein kahlköpfiger Neonazi, der seinen Oberkörper mit SS-Runen und anderen Nazi-Tätowierungen verziert hat. Der heute 52-Jährige trägt den Kampfnamen Wagner, weil er nicht nur Adolf Hitler, sondern auch dessen Lieblingskomponisten, Richard Wagner, bewundert. Aufgewachsen ist Utkin in der Zentralukraine, später wurde er Oberstleutnant im russischen Militärgeheimdienst GRU.
Nach den ersten Einsätzen im Donbass führte Utkin seine Söldner nach Syrien, um das brutale Regime des Diktators Assad zu unterstützen. 2015 intervenierte Russland dort, vor allem mit der Luftwaffe. Die Drecksarbeit am Boden verrichteten die Wagner-Söldner, wobei diese offiziell gar nicht existierten. Unternehmer Prigoschin, zu dessen Konkord-Konzern die Wagner-Gruppe gehört, dementierte jahrelang vehement, etwas mit dieser Truppe zu tun zu haben.
Seit die Wagner-Gruppe aber im inzwischen von den Ukrainern zurückeroberten Isium kämpfte und bei Bachmut in Einsatz steht, erscheint Prigoschins Konterfei auch auf Werbeflyern der Privatarmee. Der Unternehmer gilt als Putin-Vertrauter, und seine Söldner werden überall dort eingesetzt, wo es die aussenpolitischen Interessen des Kremls erfordern.
Nicht immer enden solche Aktionen erfolgreich. In Syrien versprach das Regime einer von Prigoschins Firmen Anteile aus dem Erlös von Erdölfeldern, wenn die Söldner diese Gebiete für Damaskus zurückerobern. Zusammen mit syrischen Kräften versuchten russische Söldner im Februar 2018 den von den USA unterstützten kurdischen Milizen im Nordosten des Landes ein Ölfeld zu entreissen.
Weil dort auch amerikanische Spezialkräfte stationiert waren, endete die Attacke im Debakel. Himars-Raketen und Angriffe der US-Luftwaffe pulverisierten die Angreifer, wobei auch eine unbekannte Anzahl Russen ums Leben kam. Ausserdem wurde die Wagner-Gruppe spätestens in Syrien für ihre Brutalität bekannt.
So ermordeten russische Söldner vor laufenden Handykameras einen gefangenen Syrer mit einem Vorschlaghammer. Mit einer Schaufel trennten sie seine Hände und den Kopf ab, bevor sie die Leiche mit Benzin übergossen und verbrannten.
Auch in Libyen, wo die Wagner-Gruppe einen Angriff einer regierungsfeindlichen Miliz auf die Hauptstadt Tripolis vor allem logistisch unterstützte, kam es 2020 zur Niederlage, nachdem türkische Drohnen die Angreifer unter Feuer genommen hatten. In Mali geht es der Wagner-Gruppe heute dagegen um Erlöse aus den Goldbergwerken und in der Zentralafrikanischen Republik um den Zugang zu Diamantenminen.
Ihren mit Abstand grössten und verlustreichsten Einsatz erlebt die Wagner-Gruppe nun aber in der Ukraine. Firmenchef Prigoschin, der in der Sowjetunion unter anderem wegen eines Raubüberfalls neun Jahre in Haft verbracht hatte, wurde im Sommer in einer russischen Strafkolonie gefilmt, als er Häftlinge für seine Truppe anwarb. Falls die Strafgefangenen den Einsatz in der Ukraine überleben, winkt ihnen die Freiheit und ein ansehnlicher Sold.
In den Propagandaschriften der Wagner-Gruppe werden die Söldner gerne als Musikanten bezeichnet, die auf ihren internationalen Konzertreisen die ganze Welt kennenlernten. Die in der Ukraine operierenden Wagner-Kämpfer stammen fast ausnahmslos aus den Teilgebieten der ehemaligen Sowjetunion.
Neben dem Fronteinsatz sind sie inzwischen auch mit dem Bau der so genannten Wagner-Linie beschäftigt. Dabei handelt es sich um ein System aus Panzersperren und Verteidigungsstellungen. Diese sollen - weit hinter der aktuellen Front im Donbass - ein künftigen Angriff ukrainischer Panzer aufhalten. (aargauerzeitung.ch)
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