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Ukraine

Alles zur ukrainischen Offensive in vier Punkten

Die ukrainische Offensive rollt – alles, was du wissen willst, in 4 Punkten

Im Süden der Ukraine häufen sich derzeit die Angriffe der ukrainischen Armee auf von Russland besetzte Orte. Ob es sich dabei um die gross angekündigte Gegenoffensive handelt, bleibt aber weiter unklar.
12.06.2023, 20:0213.06.2023, 13:41
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Wo findet die Offensive statt?

Gegenwärtig findet die Offensive nicht an einem Ort konzentriert statt, sondern an mehreren verstreuten Ortschaften. Der britische Geheimdienst gab am Montag an, dass die Kämpfe weiterhin an mehreren Abschnitten der Front weitergingen.

Die Mehrheit der Angriffe sammelt sich im Raum südlich der Stadt Saporischschja. Dies bestätigte Serhij Kusan, Mitgründer und Vorsitzender des Ukrainian Security and Cooperation Centre, am Samstag gegenüber der BBC. Dabei nannte er jedoch keine konkreten Städte oder Dörfer, um die gekämpft werde:

«Es ist kein Geheimnis, dass eines unserer Hauptziele darin besteht, den Feind im Süden von seiner Versorgung aus Russland abzuschneiden.»

In seiner Analyse vom Sonntag erklärte auch das Institute for the Study of War (ISW), dass in den letzten 48 Stunden mehrere Siedlungen und Dörfer von ukrainischen Streitkräften zurückerobert worden seien. Ausserdem habe die ukrainische Armee Fortschritte im Raum um Bachmut gemacht.

Explizit werden unter anderem die beieinanderliegenden Dörfer Makariwka und Storoschewe sowie die Siedlungen Robotyne und Lobowke als Gebietsgewinne bezeichnet.

Ist die Offensive erfolgreich?

Die Kämpfe wirken nicht wie eine Offensive. Im Vergleich ein Grossangriff wie aus dem Lehrbuch: US-General Pattons «Operation Cobra» während des Zweiten Weltkriegs wirkt viel zentrierter, viel koordinierter; alles auf einmal. Eine Quelle aus dem französischen Militär erklärte gegenüber Le Monde, dass die Offensive nicht im herkömmlichen Sinn vonstattengehe: «Man kann sie nicht mit anderen Offensiven vergleichen; sie läuft progressiv ab.»

Die US-amerikanische «Operation Cobra».
Die US-amerikanische «Operation Cobra». bild: wikimedia commons

Das liege jedoch daran, dass man noch in einer «Kampfaufklärungsphase» sei, sagte Kusan gegenüber der BBC. Das heisst, die ukrainischen Truppen führen an mehreren Orten kleinere Angriffe aus, um die Verteidigung des Gegners auszukundschaften und anschliessend eine optimale Strategie entwickeln zu können. Diese Strategie funktioniere mancherorts gut mit wenigen Verlusten, anderswo kämpften die Russen zurück, so Kusa.

Hier ein Dorf, da eine Siedlung. Tatsächlich sprechen die Geländegewinne, auch wenn sie klein sind, für eine bislang erfolgreiche Aktion. Allerdings tauchen seit Anfang dieses Monats vermehrt Bilder und Videomaterial im Netz (und vor allem russischen Telegram-Kanälen) auf, welche zerstörtes ukrainisches Kriegsmaterial zeigen.

Auf diesem Standbild, welches bislang noch nicht unabhängig verifiziert werden konnte, sind ausgebrannte Panzerfahrzeuge zu erkennen. Dem Augenschein nach handelt es sich dabei um amerikanische Bradley-Schützenpanzer (kleiner, grüne Kleber, schräge Front) und einen Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 (unten Mitte, langes Rohr).

zerstörte Ukrainische Panzer während der Gegenoffensive vom Juni 2023.
Bild: twitter

In Telegram-Chats, die sich mit dem Konflikt beschäftigen, fragt ein Nutzer:

«Ist es das wirklich wert? Haben sie die Panzer und die Kraft, um bis nach Melitopol [Stadt im Süden der Ukraine] zu kommen?»

Der Vorstoss der Ukraine ist in der Tat kein leichter: Russland hatte, während die Front den ganzen Winter durch praktisch eingefroren war, genügend Zeit, seine Verteidigungen auszubauen. Weite Gebietsstreifen wurden vermint, Panzersperren errichtet und Schützengräben ausgehoben. Dieses Video zeigt, wie gut ausgebaut und gehärtet russische Positionen zum Teil sind:

Was sagen die Ukrainer?

Von offizieller Seite her ist die Ukraine, wie gehabt, stumm. Die grosse Gegenoffensive, die vor geraumer Zeit angekündigt wurde, ist bislang noch nicht öffentlich ausgerufen worden. Die Nachrichtenagentur Reuters befragte dazu Oleksij Danilow, den Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats der Ukraine. Dieser gab an, dass die «Gerüchte» über eine laufende Offensive «Humbug» seien:

«Wenn wir mit der Gegenoffensive beginnen, werden es alle bemerken. Sie werden sehen.»

Auch bei anderen offiziellen ukrainischen Stellen spricht man nicht von einem grossen Gegenangriff. Hanna Maylar, stellvertretende Verteidigungsministerin der Ukraine, sagte bloss, dass die russischen Kräfte nun um die Stadt Orichiw «aktiv am Verteidigen» seien. Auf Telegram bestätigte sie zudem, dass zurzeit die Stadt Welyka Nowosilka (5 km nördlich des befreiten Makariwka) umkämpft sei.

Die BBC vermutet, dass diese beiden Städte die Ecken eines Frontabschnitts sein könnten, über welchen die Ukraine den Durchbruch wagen wird, und beruft sich dabei auf «Analysten».

Präsident Selenskyj gab derweil am Sonntag in Kanada bekannt, dass durchaus Gegenangriffe entlang der Front liefen – ob es sich dabei um die grosse Offensive handelt, liess aber auch er offen.

Was sagen die Russen?

Von russischer Seite her hat die ukrainische Offensive definitiv begonnen. Dies behauptete der russische Präsident Wladimir Putin am Freitag in einem Video-Interview, welches auf Telegram veröffentlicht wurde. Das russische Verteidigungsministerium gibt derweil geringfügig Gebietsverluste zu – erklärt aber dafür andere ukrainische Angriffe als gescheitert.

So verkündete das Ministerium, man habe acht kleinere Angriffe der Ukrainer im Raum Awdiiwka zurückgeschlagen. Zudem seien bereits vier Leopard-Panzer zerstört worden.

Das britische Verteidigungsministerium berichtete hierzu am Montag, dass der russische Verteidigungsminister Schoigu seit letzter Woche vermehrt Zahlen zu ukrainischen Verlusten veröffentlichen lasse, die «fast sicher» deutlich zu hoch seien. Damit wolle er sein Image bei der russischen Bevölkerung aufpolieren.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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_kokolorix
12.06.2023 20:48registriert Januar 2015
Hätte, sich der Westen nicht monatelang geziert, schweres Gerät zu liefern, hätte die Ukraine bereits im Herbst die, zurückweichenden russen im Süden überrollen können. Nun müssen sie durch die befestigten Stellungen. Das geht nicht ohne Verluste.
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ManOnTheMoon
12.06.2023 21:12registriert März 2020
"Pattons «Operation Cobra» während des Zweiten Weltkriegs wirkt viel zentrierter, viel koordinierter; alles auf einmal"

Was für ein Vergleich!

Patton hatte 2500 Panzer (gepanzerte Fahrzeuge nicht eingerechnet) gegen deren ca. 300 der Deutschen. Mit diesem Material, oh und natürlich nachdem 3000+ Bomber (weil Lufthoheit) z.T ganze deutsche Divisionen ausradiert haben, ist es ein leichtes All-In zu gehen.
Vor allem wenn es dann auch noch für jedes zerstörte Fahrzeug einfach ein Neues gibt...
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MitPünktchendran...
12.06.2023 22:05registriert August 2018
Es überrascht mich irgendwie immer noch wie schockiert einige Leute und Politiker sind wenn sie sehen, dass doch auch ukrainische Truppen Verluste erleiden. Was habt ihr erwartet, dass die paar Leos die russischen Panzer vom Feld fegen, ohne je getroffen zu werden?! Aus diesem Grund brauchen die Ukrainer noch mehr Material, wir müssen rauskommen aus unserer westlichen Arroganz und akzeptieren, dass die russische Armee dovh nicht ganz so unfähig ist wie man teilweise dachte....
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