Wenn Joe Biden eine Bühne betritt, überlasst sein Team nichts dem Zufall. Damit der 81-jährige Präsident sicher vom Bühnenrand zum Mikrofon kommt, dokumentieren seine Mitarbeiter den Weg im Vorhinein per Kamera, drucken alle Fotos grossformatig aus und legen Biden eine mehrseitige Wegbeschreibung zur Vorbereitung vor. «Walk to Podium» steht über gleich mehreren entsprechenden Bildern, die das US-Nachrichtenportal «Axios» veröffentlicht hat.
SCOOP: For his events, President Biden's staffers prepare a short document with large print and photos that include his precise path to a podium, according to an event template the White House sends to staffers. https://t.co/Zw5252NmHH
— Axios (@axios) July 7, 2024
Der Mitarbeiter einer Spendengala, der die Arbeit von Bidens Team miterlebt hat, sagte dazu: «Es hat mich überrascht, dass ein erfahrener Politprofi wie der Präsident detaillierte verbale und visuelle Anweisungen braucht, wie man einen Raum betritt und verlässt.» Mit den grossformatigen Wegbeschreibungen konfrontiert, sagte ein Sprecher des Weissen Hauses, dass die Arbeit der «Vorbereitungsteams» nichts Ungewöhnliches sei und die Bewegungen des US-Präsidenten grundsätzlich bis ins kleinste Detail geplant würden.
Schafft Biden den Weg bis auf das Podium, dann steht dort nicht nur ein Mikrofon, sondern immer auch ein Teleprompter. Selbst bei kleinen Auftritten vor Spendern, die teilweise in intimer Atmosphäre in deren Privathäusern stattfinden, baut Bidens Team ein Rednerpult mit Teleprompter und zwei grossen Bildschirmen auf. Es sei sein omnipräsentes Accessoire, damit Biden nicht den Faden verliert und abschweift, berichtet die «Washington Post».
Parteifreunde fordern Biden schon länger auf, öfter freizusprechen und seine Statements nicht nur abzulesen. Hin und wieder weicht der Präsident auch vom Skript ab und wendet sich ohne Hilfsmittel an seine Zuhörer. Meistens aber nur für einen kurzen Moment. Bidens Pressesprecherin betonte, dass auch andere Präsidenten vor ihm Teleprompter benutzt hätten und das «nicht ungewöhnlich» sei.
Joe Biden und sein Team versuchen schon seit Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs, Zuversicht auszustrahlen und alle Fragen nach der gesundheitlichen Eignung des Kandidaten abzutun. Bis zum TV-Duell gegen Donald Trump funktionierte das auch grösstenteils.
Doch da schlurfte Biden auf die Bühne und murmelte beim Sprechen teils so leise, dass er nur schwer zu verstehen war. Wenn er nicht sprach, stand er teilweise leicht gebeugt und mit offenem Mund da, während sein Blick leicht verwirrt zwischen den Moderatoren hin und her wanderte. Als die 90-minütige Debatte vorbei war, nahm ihn seine Frau Jill an der Hand und führte ihn behutsam von der Bühne.
Seitdem ist Panik bei den Demokraten ausgebrochen. Einige Abgeordnete haben bereits öffentlich seinen Rückzug gefordert, und hinter verschlossenen Türen plädieren hochrangige Demokraten dafür, Biden im Wahlkampf zu ersetzen. Der Grund: sein Alter und Gesundheitszustand.
Wie es tatsächlich um den 81-jährigen Amtsinhaber steht, darüber veröffentlicht das Weisse Haus nur spärliche Informationen. Der letzte offizielle Gesundheitsbericht über Biden stammt aus dem Februar. Darin schreibt sein persönlicher Arzt Kevin O'Connor, dass Biden wegen einer Reihe von Erkrankungen behandelt werde. Demnach leidet er unter obstruktiver Schlafapnoe – einer schlafbezogenen Atemstörung –, einem Herzklappenproblem, Sodbrennen, einer Störung des Fettstoffwechsels, saisonalen Allergien und einem versteiften Gang.
Allerdings schliesst O'Connor seinen Bericht mit den Worten: «Joe Biden ist ein gesunder, aktiver, robuster 81-jähriger Mann, der nach wie vor in der Lage ist, die Aufgaben des Präsidenten erfolgreich zu erfüllen.» Dieses positive Fazit erschien sofort unglaubwürdig, als Sonderstaatsanwalt Robert Hur ebenfalls im Februar seinen Bericht über Bidens Dokumentenaffäre veröffentlichte. Joe Biden sei ein «wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis». Das Weisse Haus startete danach einen aggressiven öffentlichen Gegenangriff und widersprach dem Bericht, doch das tat den Spekulationen keinen Abbruch.
Im Gegenteil, die Gerüchteküche um den Geisteszustand des Präsidenten brodelt. So wurde vor Kurzem bekannt, dass sich der Leibarzt von Biden mit dem US-Neurologen Kevin Cannard getroffen haben soll, der Experte für die Parkinson-Krankheit ist. Zwischen März 2023 und Januar 2024 soll Kevin Cannard achtmal im Weissen Haus gewesen sein.
Cannard sei der neurologische Spezialist, der Präsident Biden für jede seiner jährlichen Routine-Gesundheitschecks untersuche, schrieb Leibarzt O'Connor in einem vom Weissen Haus veröffentlichten Brief. Cannard sei nicht ausgewählt worden, weil er ein Spezialist für Bewegungsstörungen sei, sondern weil er «ein hoch qualifizierter und hoch angesehener Neurologe» sei.
Zuvor wurden bereits Rufe laut, dass sich Biden einem kognitiven Test unterziehen sollte. Den verweigert der Präsident allerdings. Als Biden im August 2020 gefragt wurde, ob er einen solchen Test gemacht habe, unterbrach der damals 77-jährige Präsidentschaftskandidat einen Reporter und schnauzte: «Warum zum Teufel sollte ich einen Test machen?» Seitdem hat Biden die Notwendigkeit eines Tests stets abgelehnt. Seine Berater gaben zudem an, dass er noch nie einen solchen absolviert habe. Auch nicht im Rahmen seiner jährlichen ärztlichen Untersuchung.
Das hängt wohl auch damit zusammen, dass der Mediziner O'Connor nie einen kognitiven Test angeordnet hat. O'Connor, den Biden nur «Doc» nennt, ist schon seit 2009 Bidens Leibarzt, als dieser Vizepräsident von Barack Obama wurde. Heute ist O'Connor Teil der medizinischen Abteilung des Weissen Hauses, der neben ihm etwa 50 Militärmediziner angehören, die Biden und seine Familie rund um die Uhr überwachen und versorgen.
O'Connor hat derweil mehrere Presseanfragen zu einem kognitiven Test für Biden unbeantwortet gelassen. Er gab jedoch einem Branchenmagazin ein Interview, in dem er Eindrücke von seiner Arbeit mit Biden teilte. Seine Aufgaben hätten sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt.
Der wichtigste Teil eines jeden Tages sei es jedoch, «Guten Morgen, Mr. Präsident» zu sagen. Er gehöre zu den ersten Menschen, die Biden jeden Tag zu Gesicht bekommen. Deshalb sei es wichtig, ihn freundlich zu begrüssen und ihm zur Verfügung zu stehen. «Das kann dazu beitragen, die Stimmung für den Rest des Tages zu prägen», sagte O'Connor.
Und genau auf solche guten Tage kommt es jetzt an. Denn Experten schätzen, dass Biden nur noch wenig Zeit bleibt, um die demokratische Partei von seiner Präsidentschaft zu überzeugen. Aktuell tut er alles, um im Rennen zu bleiben – zuletzt betonte er seine Absicht zu kandidieren noch einmal in einem Brief, den er an alle demokratischen Abgeordneten schickte.
Biden führt also einen politischen Überlebenskampf, unterstützt von einem grossen Team. Ob es diesem jedoch gelingt, den 81-Jährigen bis zur Wahl am 5. November zu tragen, ist derzeit offen wie nie.