Es könnte nicht nur für Vegetarier und Veganerinnen die Gretchenfrage werden, sondern auch für Menschen, die sich an den jüdischen oder islamischen Speisevorschriften orientieren:
Ist im Labor gezüchtetes Fleisch wirklich Fleisch?
Wenn sich jemand koscher ernährt – also nach den jüdischen Speisevorschriften – ist diese Frage grundlegend. Denn eine Vorschrift im Judentum ist es, dass Milchprodukte und Fleisch nicht zusammen verzehrt werden dürfen. In der Bibel steht nämlich: «Koche nicht ein Böcklein in der Milch seiner Mutter» (Ex. 23:19).
Vergangene Woche erklärte David Baruch Lau vom israelischen Oberrabbinats – ein richtungsweisender Rat für Zertifizierungen im Judentum –, dass das im Labor gezüchtete Steak eines israelischen Unternehmens «pareve» sei – also weder milchige noch fleischige Bestandteile enthalte und somit koscher sei.
Rabbi Menachem Genack, von der Orthodox Union Kosher Division in New York, zweifelt dies jedoch an, wie die «Washington Post» schreibt.
Rabbi Jonathan Bernhard sagte der «Washington Post», auf den Konflikt angesprochen:
Im Labor gezüchtetes Fleisch wird als ethische und klimafreundliche Lösung für die traditionelle Tierhaltung gepriesen. Doch bislang sei Singapur das einzige Land, in dem diese Produkte legal an Verbraucher verkauft werden dürfen, so die «Washington Post».
Doch bald sollen die USA folgen. Denn die amerikanische Lebensmittelbehörde FDA hat grünes Licht gegeben, für gezüchtete Hühnerfleisch eines kalifornischen Unternehmens.
Es drängt also, eine Lösung zu finden.
Rabbie Bernhard gehe davon aus, dass die einzelnen Gemeinden jeweils eigene Entscheidungen treffen würden, was zu «Spaltungen» führen könnte. Er prognostiziert, dass es innerhalb der orthodoxen Gemeinschaft zu einer stärkeren Polarisierung kommen werde.
Genack meint in der «Washington Post»: «Es ist faszinierend, altes Recht auf brandneue Technologie anzuwenden.» Für den US-Rabbi gilt: «Wir sind überzeugt, dass die Stammzellen von einem Tier stammen müssen, das koscher geschlachtet wurde, sonst sind es keine koscheren Stammzellen.»
Er räumt aber auch ein, dass kultiviertes Fleisch einen Beitrag zur Verringerung des CO₂-Fussabdruckes leisten könnte. Und er sagt: «Wenn kultiviertes Fleisch das Versprechen erfüllt, weniger schädlich für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen und weniger grausam für die Tiere zu sein, dann wäre es vorzuziehen.»
Doch nicht nur bei der jüdischen Gemeinschaft, auch bei gläubigen Muslimen könnte das Zuchtfleisch für Unsicherheiten sorgen. Denn bei ihnen muss Fleisch halal sein. Das bedeutet unter anderem, dass das Tier von Muslimen geschlachtet und danach ausgeblutet wurde und nicht schon vor der Schlachtung verendete.
Die Halal-Zertifizierung von kultiviertem Fleisch sei keine ausgemachte Sache, schreibt die «Washington Post».
«Intern führt der Islamic Food and Nutrition Council of America eine intensive Diskussion, und es wird einige Zeit dauern, bis wir uns zu diesem Thema äussern können», sagte Sprecherin Alison DeGuide der Zeitung. Roger Othman ergänzte, dass Halal-Produkte keine verbotenen Zutaten enthalten dürften – auch nicht von solchen, die erst während der Herstellung durch Verunreinigungen ins Produkt gelangten.
Bereits 2021 sprach sich die grösste muslimische Organisation Indonesiens, Nahdlatul Ulama, gegen im Labor gezüchtetes Fleisch aus und schrieb in einer Erklärung, dass solches Fleisch «in die Kategorie der Tierkörper fällt, die rechtlich unrein sind und nicht verzehrt werden dürfen». Jedoch erklärte in Pakistan ein Experte für islamisches Recht, Muhammad Taqi Usmani, dass im Labor gezüchtetes Fleisch zulässig sei. Sofern zur Herstellung Zellen von Tieren verwendet werden, die unter Einhaltung der Scharia-Normen geschlachtet wurden.
Die Gründerin der Siebenten-Tags-Adventisten, Ellen G. White, erklärte einmal: «Fleischessen wird abgeschafft werden. Fleisch wird nicht mehr Teil der Ernährung sein.» Klar ist jetzt: Es könnte noch eine Weile dauern, bis klar ist, wo fleischlos aufhört und Fleisch beginnt. (yam)