Im Nahen Osten droht ein Flächenbrand, mit Implikationen weit über die Region hinaus. Gleichzeitig findet in Peking eine Party statt: China feiert den 10. Jahrestag seiner «Belt and Road»-Initiative, auch Neue Seidenstrasse genannt. Vertreter aus mehr als 140 Ländern sind angereist. Eigentlicher «Stargast» ist der russische Präsident Wladimir Putin.
Für ihn sind Auslandsreisen schwierig geworden, seit der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ihn wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine zur Verhaftung ausgeschrieben hat. Die Volksrepublik China aber anerkennt dieses Gremium nicht, weshalb Putin gefahrlos anreisen konnte. Und von Gastgeber Xi Jinping eine Vorzugsbehandlung erhielt.
Zur Eröffnung des Gipfeltreffens am Mittwoch durfte er gleich nach Xi sprechen. Dieser nannte Putin einen «alten Freund». Am G-20-Gipfel in Indien im September hatten die beiden Machthaber durch Abwesenheit geglänzt. Nun zelebrierten sie ihre Eintracht als Vorreiter einer «multipolaren» Weltordnung, in Abgrenzung zur vermeintlichen US-Hegemonie.
Diese ist in ihren Augen für so ziemlich jedes Übel dieser Welt verantwortlich. Das gilt für den Ukraine-Krieg, in den Russland nach eigener Version «hineingezwungen» wurde, und für die Eskalation des Palästina-Konflikts. Auch die dysfunktionale Politik in den USA und die Zerstrittenheit der Europäer sehen sie als Beleg für das Scheitern des Westens.
Ihm stellen sie eine heile Parallelwelt gegenüber, die nur das Beste will für Länder des Globalen Südens, ohne Belehrungen zu Demokratie und Menschenrechten. Xi Jinping verwahrte sich in seiner Rede in Peking auch gegen «einseitige Sanktionen, wirtschaftliche Zwänge, Entkopplung und Unterbrechung von Lieferketten».
Damit spielte er auf Bestrebungen in Europa und den USA an, sich aus strategisch heiklen Abhängigkeiten von China zu lösen, durch ein «De-Risking». Und den wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik einzudämmen, etwa durch Einschränkungen beim Export von Computerchips, die von Washington am Dienstag nochmals verschärft wurden.
Am Seidenstrassen-Gipfel waren nur wenige westliche Vertreter anwesend. Bei Wladimir Putins Rede verliessen sie mehrheitlich den Saal, darunter der frühere französische Ministerpräsident Jean-Pierre Raffarin, der enge Beziehungen zu China pflegt. Der einzige ranghohe EU-Politiker in Peking war der notorische «Querschläger» Viktor Orbán.
Er traf sich am Dienstag sogar mit Wladimir Putin und verschaffte dem Russen so einen Prestigeerfolg. Allerdings bezeichnete Orbán die Gespräche als «schwierig». Schwierig könnte es für ihn auch in der Europäischen Union werden, denn nach dem Wahlsieg der Opposition in Polen droht dem Ungarn, der wichtigste Verbündete abhandenzukommen.
Nicht in Peking vertreten war Italien, das sich als einziges G-7-Land der Seidenstrasse angeschlossen hat. Eine Verlängerung des im Frühjahr 2024 auslaufenden Vertrags ist in Rom kein Thema, nicht aus politischen Gründen, sondern weil er «die erhofften Resultate nicht geliefert hat», wie Aussenminister Antonio Tajani erklärte.
Die Italiener sind nicht die Einzigen, die mit Xis Prestigeprojekt durchzogene Erfahrungen gemacht haben. Die chinesischen Kredite für grosse Infrastrukturprojekte wie Staudämme und Eisenbahnlinien haben ärmere Länder in die Schuldenfalle getrieben. Das bekannteste Beispiel ist der Bau eines Tiefseehafens in Sri Lanka, der nun von China kontrolliert wird.
Der indonesische Präsident Joko Widodo, dessen Land in Peking mit mehr als 20 Milliarden US-Dollar in der Kreide steht, mahnte am Gipfel, dass Seidenstrassen-Projekte die fiskalischen Bedingungen «nicht verkomplizieren dürfen». China verschliesst sich der Kritik nicht und hat angekündigt, weniger Grossprojekte zu fördern.
Man wolle die Zusammenarbeit bei «grüner Infrastruktur, Energie und Verkehr vertiefen», sagte Xi, ebenso digitale Projekte wie E-Commerce. Ausserdem stellte der Staatschef einen Acht-Punkte-Plan vor. Darin verspricht China nicht zum ersten Mal die Aufhebung aller Einschränkungen für ausländische Investitionen in die chinesische Industrie.
Im Ukraine-Krieg verhält sich China offiziell neutral. Doch nicht nur der rote Teppich für Wladimir Putin zeigt, dass die Volksrepublik sich faktisch mit Russland verbündet hat. Der Handel zwischen den beiden Ländern hat sich seit Kriegsbeginn intensiviert. Dafür scheint Putin in Kauf zu nehmen, dass er zum Juniorpartner von Peking geworden ist.
Zur Lösung des Palästina-Konflikts propagieren Putin und Xi die Zweistaaten-Lösung, wobei der Russe am letzten Freitag für Irritationen sorgte, als er Israels Vorgehen im Gazastreifen mit der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg verglich. Der Vergleich ist in mancher Hinsicht schief, und vor allem stellt er die Juden auf die gleiche Stufe wie die Nazis.
China wiederum, traditionell ein Verbündeter der Palästinenser, hat sich nicht zu einer Verurteilung des Hamas-Terrorismus durchringen können, worüber sich Israel tief enttäuscht zeigte. Diese Woche soll Zhai Jun, der Sondergesandte für den Nahen und Mittleren Osten, in die Region reisen und sich gemäss staatlichen Medien für einen Waffenstillstand einsetzen.
Die viel gerühmte «multipolare» Weltordnung ist bislang höchstens in Ansätzen erkennbar. Daran wird sich kaum etwas ändern, solange ihre Taktgeber China und Russland vor allem auf militärische Stärke setzen, ob in der Ukraine oder vielleicht bald in Taiwan. Die Parallelwelt, die Xi Jinping und Wladimir Putin propagieren, ist nur vordergründig heil.