Seit Freitag überschlagen sich die Ereignisse: US-Präsident Donald Trump und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sind im Streit auseinandergegangen, die USA haben die Militärhilfen für die Ukraine per sofort eingestellt und Zölle auf Produkte aus Kanada, Mexiko und China verhängt. Gleichzeitig hielt Trump am Dienstag praktisch eine Lobesrede auf sich selbst. Ist das Chaos oder Strategie?
Robert Benson: Trump verfolgt seine eigene Ideologie. Er glaubt, dass jedes Land ausschliesslich im eigenen Interesse handeln sollte, ohne Rücksicht auf gemeinsame Werte oder diplomatische Normen. Verhandlungen sind für ihn nicht ein Mittel, um Stabilität in der Welt herzustellen. Er will mit Drohungen, Sanktionen, Zwang und, wenn nötig, Gewalt, Zugeständnisse erzwingen. Das zeigt sich in seiner Zoll-Politik und es zeigt sich in dem Druck, den er jetzt auf die Ukraine ausübt. Trump lässt die USA zu einem unzuverlässigen und unberechenbaren Partner verkommen.
Wie sollen andere Länder mit einem solchen Partner umgehen? Ihm schmeicheln?
Das ist ein Ansatz, den manche Länder als den effektivsten ansehen, da Trump positiv auf Lob und Schmeicheleien reagiert. Eine andere Strategie besteht darin, ihm mit gleicher Härte zu begegnen, sich nicht einschüchtern zu lassen und die eigenen Interessen entschlossen durchzusetzen. Kanada hat sich in Bezug auf die Zoll-Thematik zum Beispiel für diese Strategie entschieden. Auf lange Sicht ist dieser Ansatz wahrscheinlich effektiver, da Trump Stärke respektiert und Zugeständnisse als Schwäche wertet.
Manche Polit-Analysten sagen, Donald Trump will Geschäfte machen, keine Politik.
Ja, das ist ein treffender Vergleich. Für Trump ist das Rohstoffabkommen mit der Ukraine nur ein weiterer Deal, eine weitere Erpressung, um das Maximum aus einem verzweifelten Partner herauszuquetschen, bevor er sich aus dem Staub macht.
Aber für wen holt er damit etwas heraus?
Das ist genau der Punkt. Unter Trumps Vorgehen werden Millionen Menschen leiden – nicht nur in der Ukraine, sondern auch in den USA, in Europa und darüber hinaus. Und wozu? Damit private US-Konzerne Gewinne aus den Rohstoffen der Ukraine ziehen können, während das Land um sein Überleben kämpft.
Europa will zukünftig mehr in die eigene Verteidigung investieren. Viele Länder haben ihre Militärbudgets erhöht und der Ukraine mehr Militärhilfen versprochen. Immerhin eine positive Entwicklung durch Trump, oder?
Diese Bemühungen sind nicht nur begrüssenswert, sondern absolut notwendig. Europa hat endlich die Kurve gekriegt. Eines der wichtigsten Beispiele dafür ist Deutschland, wo CDU und SPD darüber diskutieren, die Schuldenbremse auszusetzen, um in die Verteidigung zu investieren. Es ist jedoch eine Schande, dass es für diese Schritte Trumps rücksichtslose Vorgehensweise gebraucht hat. Biden hatte die europäischen Staaten immer wieder aufgefordert, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen. Hätte Europa früher gehandelt, hätte die Ukraine die politischen Spielchen und die Respektlosigkeit des Weissen Hauses gegenüber Selenskyj gar nicht über sich ergehen lassen müssen.
Das Gespräch eskalierte wegen einer Aussage von Vizepräsident J.D. Vance. Warum?
Vance hat den Streit zwischen Selenskyj und Trump absichtlich provoziert. Er betrachtet das Engagement der USA in der Ukraine als unnötige Belastung und hat sich stets für eine isolationistische, transaktionale Aussenpolitik eingesetzt.
Welche Rolle spielt Vance im Weissen Haus?
Das ist schwer zu beurteilen. Vance ist ein äusserst geschickter Stratege und Opportunist. Er war einst der grösste Trump-Kritiker innerhalb der Republikanischen Partei und hat es in kurzer Zeit geschafft, dennoch dessen Vizepräsident zu werden. Ich glaube, von Vance geht eine weitaus grössere Gefahr für die Bevölkerung in den USA aus als von Trump. Trumps Impulsivität wird ihm oft zum Verhängnis. Vance ist nicht impulsiv, sondern kalkuliert. Er vertritt eine noch radikalere Ideologie als Trump und wird ihn im Präsidentenamt beerben wollen.
Wie ist aktuell die Stimmung in der US-Bevölkerung?
Das Land ist nach wie vor tief gespalten. Während Trumps Basis ihm treu bleibt, haben die Proteste gegen seine Regierung unter demokratischen Wählenden zugenommen. Sie sehen überall Anzeichen dafür, dass Trump die Demokratie abbaut. Trumps Basis hingegen beobachtet dieselben politischen Entwicklungen und sieht darin ein positives Signal dafür, dass endlich mal jemand hart durchgreift. Für die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner sind ausländische Konflikte weit weg und haben nichts mit ihrem Alltag zu tun. Wenn sie hören, dass die US-Regierung durch die Streichung der Militärhilfe für die Ukraine Millionen US-Dollar einspart, klingt das für sie gut. Dabei hat der Kongress seit 2022 mit 174,2 Millionen US-Dollar im Jahr nur gerade einmal ein Prozent seines Haushaltsbudgets für Ukrainehilfen ausgegeben. Doch Zahlen spielen keine Rolle, Emotionen tun es.
Zwischen den Entwicklungen im Ukraine-Krieg und bei den Zöllen könnte untergehen, welche weiteren beängstigenden Prozesse vor sich gehen.
Definitiv. Trump hat in dieser kurzen Zeit unzählige Schritte unternommen, um die US-amerikanische Demokratie nach und nach abzubauen. Die Art und Weise, wie die Trump-Administration regiert, lässt sich sowohl innen- als auch aussenpolitisch mit einem einzigen Wort zusammenfassen: Grausamkeit. Grausamkeit ist nicht nur ein Nebenprodukt von Trumps Politik, sondern der eigentliche Grund dafür.
Haben Sie ein Beispiel für seine grausame Innenpolitik?
Natürlich. Trumps Politik richtet sich unverhältnismässig stark gegen Arme, Minderheiten und Frauen. Am deutlichsten zeigt sich das bei seiner Entscheidung, Abschiebungen im grossen Stil wieder aufzunehmen, auch für Millionen sogenannter «Dreamer». Das sind Menschen, deren Eltern sie als Kinder illegal in die USA gebracht haben. Diese Menschen sind hier aufgewachsen, haben die Schule besucht, leisten einen Beitrag zur Wirtschaft. Doch sie befinden sich in einer rechtlichen Schwebe, da ihnen die Staatsbürgerschaft verwehrt wird. Millionen von Dreamern leben nun in der ständigen Angst, jederzeit inhaftiert und anschliessend abgeschoben zu werden. In ein Land, das sie womöglich gar nicht kennen.
Trump ist erst seit sechs Wochen im Amt. Was erwarten Sie von den nächsten vier Jahren, wenn es im gleichen Tempo weitergeht?
Ich rechne mit dem Schlimmsten.
Das heisst?
Wenn es so weitergeht, hat Trump die USA bis in vier Jahren zur Autokratie umgebaut. Es wird keine Diktatur sein wie einst in Nazi-Deutschland, woran viele Amerikaner automatisch beim Wort Diktatur denken. Ein solches Regime wäre in den USA gar nicht möglich, allein aufgrund der Grösse und der zersplitterten politischen Machtzentren. Viel realistischer ist eine Softautokratie, wie wir sie in Ungarn unter Viktor Orbán beobachten, in der Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan oder eben in Russland unter Wladimir Putin. Gegen Aussen währt man den Anschein einer Demokratie, ruft die Leute regelmässig dazu auf, wählen zu gehen. Aber eine echte, freie Wahl findet nicht statt, unabhängige Medien gibt es nicht, genauso wenig wie eine unabhängige Justiz und Meinungsfreiheit.
Ein düsteres Zukunftsbild. Gibt es nichts, was Ihnen Hoffnung macht, dass es vielleicht doch nicht so weit kommen könnte?
Ich setze meine Hoffnung in die Demokraten, obwohl diese als Opposition derzeit nicht die Macht und scheinbar teilweise auch nicht den Willen haben, wirksam gegen Trumps Agenda im Senat und im Kongress anzukämpfen. Ich setze auch Hoffnung in die gemässigten Republikaner, die den Mut finden müssen, ihre Rolle als Kontrollinstanz wahrzunehmen. Ich glaube zudem, dass sich unter manchen Trump-Wählenden irgendwann Ernüchterung einstellen wird. Und ich bleibe zuversichtlich, dass sich die Ukraine mit der Unterstützung Europas erfolgreich gegen Russland wehren wird. Die Frage ist nur, wie lange das noch dauern wird und ob die USA Teil der Lösung sein werden – oder Teil des Problems.
Viel mehr muss man da nicht mehr dazu sagen.
Kapitalismus im Endstadium.