Lange brodelte die Gerüchteküche rund um die erwarteten Entlassungen bei Twitter. Am 20. Oktober berichtete die Washington Post, dass Tesla-Gründer Elon Musk 75 Prozent aller Arbeitskräfte bei Twitter entlassen wolle. Eine Woche später aber soll der neue Twitter-Besitzer gemäss Bloomberg zu Angestellten gesagt haben, dass dies nicht der Plan sei.
Here's the first official communication from Twitter's new leadership to its staff, a week after Musk took over: a fun game where you get to find out if you're laid off or not based by 9am tomorrow, based on whether the email pops up in your Twitter account or personal account. pic.twitter.com/tpJsAkiaHp
— Will Oremus (@WillOremus) November 4, 2022
Trotz aller Beschwichtigungen seitens Musk, Fakt ist: Die Entlassungen haben begonnen. Auch wenn die genaue Zahl der Betroffenen noch immer nicht bekannt ist, dürften insgesamt 3'500 Mitarbeitende ihren Job verlieren.
Am Donnerstag erhielten alle Mitarbeitenden die Unheil verkündende Nachricht, die schlicht an «Team» adressiert war.
Darin heisst es, dass die weltweite Belegschaft reduziert werden müsse, um Twitter auf einen gesunden Pfad zu bringen, was ein schwieriger Prozess sei. Und weiter:
Alle Mitarbeitenden würden per E-Mail über den Entscheid informiert werden. Eine unpersönliche Geste, welche Twitter mit der örtlich verteilten Belegschaft und schneller Kommunikation begründet. Um 9 Uhr PST (17 Uhr Schweizer Zeit) sollen alle Mitarbeitenden eine E-Mail erhalten.
Diejenigen, die bleiben dürften, erhielten die Nachricht über ihre Twitter-E-Mail-Adresse, der Rest über die persönliche E-Mail-Adresse.
Um die Sicherheit der Mitarbeitenden, des Twitter-Systems und der Nutzerdaten zu schützen, würden alle Büros vorläufig geschlossen werden. Darum der Aufruf an die Arbeitskräfte:
In der Nachricht wird kurz die schwierige Herausforderung für alle Mitarbeitenden angesprochen, bevor im nächsten Satz daran erinnert wird, keine vertraulichen Firmeninformationen zu verbreiten – weder in den sozialen Medien noch mit der Presse.
Die Nachricht endet mit dem Satz:
Am Schluss endet die Nachricht ebenso trocken, wie sie begonnen hat:
Die Bestürzung bei den Mitarbeitenden ist gross. Schon kurz nach der Vorankündigung am Donnerstagabend gab es erste Anzeichen für Entlassungen. Dies, noch bevor die Mitarbeitenden überhaupt ihre offiziellen Kündigungsschreiben per E-Mail erhalten hatten.
So konnten sie sich plötzlich nicht mehr mit ihrer Twitter-E-Mail-Adresse einloggen und wurden von Slack (einem Chat-Dienst für Unternehmen) ausgesperrt:
Has it already started? Happy layoff eve! pic.twitter.com/0AcaQjGJvm
— Rumman Chowdhury (@ruchowdh) November 4, 2022
Auch dieser User erfuhr auf unschöne Weise von seiner bevorstehenden Entlassung. Es sehe nicht vielversprechend aus, twitterte er um 3 Uhr nachts. Er könnte sich nicht mehr in seine E-Mails einloggen.
Well this isn’t looking promising. Can’t log into emails. Mac wont turn on.
— Chris Younie (@ChrisYounie) November 4, 2022
But so grateful this is happening at 3am. Really appreciate the thoughtfulness on the timing front guys.
Meanwhile to everyone else at Twitter, you’re the best ❤️ #OneTeam pic.twitter.com/iWyAPeURcm
Die Entlassungen würden von Osten nach Westen verlaufen, sagte gemäss Business Insider eine Person bei Twitter. Das heisst, Twitter-Mitarbeitende in London erfuhren als Erste von ihrem Schicksal. Dann folgten diejenigen in New York und zuletzt diejenigen im grössten Twitter-Knotenpunkt, Kalifornien.
Die Twitter-Übernahme durch Elon Musk ging letzte Woche plötzlich und überraschend über die Bühne. Doch für die betroffenen Mitarbeitenden kommen die Entlassungen nicht nur plötzlich und überraschend, sondern auch einschneidend. Auch wenn schon seit längerem Entlassungen befürchtet worden waren, erfuhren die Betroffenen erst in letzter Minute von der schlechten Neuigkeit.
Das ist gemäss kalifornischem Arbeitsrecht gar nicht erlaubt. Wie Arbeitsrechts-Anwältin Lisa Bloom auf Twitter schreibt, hätte Twitter seine Arbeitskräfte 60 Tage vor der Massenentlassung benachrichtigen müssen. Dies sei nicht geschehen.
Hey Twitter employees getting laid off tomorrow! IMPORTANT INFO from a CA employment attorney (me):
— Lisa Bloom (@LisaBloom) November 4, 2022
CA's "WARN" law requires Twitter to give you 60 days notice of a massive layoff.
A layoff of 50+ employees within a 30 day period qualifies.
I know you didn't get that notice.
Der Zweck des sogenannten WARN-Gesetzes sei es, den Entlassenen Zeit zu geben, um ihre nächsten Schritte zu planen.
Was blüht Elon Musk nun mit diesem Gesetzesbruch? Bloom gibt Aufschluss darüber:
Employers like Twitter who violate the WARN Act face civil penalties of $500/day for each violation. With thousands of employees, this could be significant, though maybe not to Elon.
— Lisa Bloom (@LisaBloom) November 4, 2022
Im Falle eines Gesetzesbruches erhielten die entlassenen Mitarbeitenden eine Entschädigung in Form einer Lohnnachzahlung. Twitter müsste zudem auch für die medizinischen Kosten der Arbeitnehmenden haften, die durch einen Sozialplan abgedeckt gewesen wären.
We'll see how long Twitter lets my posts stay up. If they take them down tonight, before the layoffs, that means they were on notice of the law I cite and chose to punish me rather than follow it.
— Lisa Bloom (@LisaBloom) November 4, 2022
That's consciousness of guilt and I'd use it as the basis for punitive damages.
Lisa Blooms Tweets kommen einem echten Test für Elon Musks angekündigte «Free Speech» gleich. Bloom schwante nach der Veröffentlichung ihrer Tweets nichts Gutes:
Noch sind ihre Beiträge zu sehen. Ebenso wie diejenigen hunderter entlassener Mitarbeitender ...
So verabschiedet sich zum Beispiel ein Mitarbeiter, der zuvor für die Tweets des offiziellen Twitter-Accounts zuständig war. Er könne diesen Tweet nicht mehr tweeten (zumindest nicht offiziell), sagt er zu seinem letzten Beitrag, aber hier sei der letzte Tweet seines Teams:
wont get to Tweet it, but here it is - the last @Twitter Tweet from my team and I
— Phonz (@Phonz) November 4, 2022
Love y’all and thank you for the honor of a lifetime #OneTeam pic.twitter.com/v6BWkeSVXr
Unter dem Hashtag #OneTeam bedanken sich die Mitarbeitenden gegenseitig für die gute Zeit, die sie gemeinsam bei Twitter hatten. So auch dieser User:
I lost everything in a fire during my time at Twitter. No one rushed me back to work. Coworkers rallied their teams to a GoFundMe set up for me and my cat. My manager gave me a discreet bonus to help and only apologized that it wasnt more. I will never forget any of it. #OneTeam
— Jboo (@JonTheMadhatter) November 4, 2022
Er sei nicht mehr länger ein «Tweep», schreibt ein anderer User und benutzt dabei eine gängige Selbstbezeichnung für Twitter-Mitarbeitende. Er habe jeden einzelnen Moment geliebt und mit einer herausragenden Gruppe von talentierten Menschen zusammengearbeitet und von ihnen gelernt.
Woke up to the sad news that I’m no longer a Tweep.
— Gareth Field (@GField17) November 4, 2022
I loved every single moment working on the global @TwitterComms team, collaborating with and learning from an outstanding group of talented people.
Thank you to everyone who made it so special. #OneTeam #LoveWhereYouWorked
Die Reaktion der «Tweeps» sei derart überwältigend gewesen, dass Slack ausser Gefecht gesetzt worden sei, schreibt diese Userin:
the fact that the first thing tweeps did when layoffs were finally, officially announced was to send so many heart emojis that we broke slack says everything no one else knows about this place. #OneTeam
— Emily Fortner (@emcorinne) November 4, 2022
Welche Reaktion? Der Twitter-Besitzer hat sich bisher nicht offiziell zur Thematik geäussert. Auf seiner Plattform war er trotzdem aktiv, wo er ganz andere Probleme zu haben scheint:
Why is small talk even legal!?
— Elon Musk (@elonmusk) November 4, 2022
Tiny talk is talk so small it feels like it’s coming from your own mind
— Elon Musk (@elonmusk) November 4, 2022
Eine offizielle Stellungnahme steht noch aus.
Alles Euphemismen!
In Wahrheit handelt man nach HMM (Human material management).
Will heissen: Angestellte sind nichts mehr als eine Kostenposition, die es zu reduzieren gilt. Ähnlich wie Rohmaterial.