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Indien wird kein Weizen exportierten – aus Angst der Unterversorgung

Indien exportiert doch keinen Weizen im grossen Stil – aus Angst vor Unterversorgung

Erst kündigte Indien – der zweitgrösste Weizenproduzent der Welt – an, andere Länder mit Getreide zu versorgen. Doch nun folgt die Kehrtwende. Die Gründe für den plötzlichen Kurswechsel.
17.05.2022, 17:4517.05.2022, 18:04
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Eigentlich wollte Indien in die Bresche springen. Im April kündigte Präsident Ram Nath Kovind an, sein Land werde rund zehn Millionen Tonnen Weizen auf dem Weltmarkt anbieten und so die Versorgungslücke teilweise decken, die mit dem Angriff auf die Ukraine – und damit auch auf die Kornkammer Europas – entstanden ist. «Wir haben viel Weizen, er wächst überall», sagte ein indischer Weizenproduzent gegenüber «Euronews».

Indien schien bereit.

Tatsächlich produziert Indien nach China weltweit am meisten Weizen – rund 100 Millionen Tonnen pro Jahr. Doch der Getreideproduzent hat bislang kaum etwas davon exportiert.

Eine indische Bäuerin erntet Weizen am Rande von Jammu, Indien, aufgenommen am 4. Mai 2012.
Eine indische Bäuerin erntet Weizen am Rande von Jammu, Indien, aufgenommen am 4. Mai 2012. bild: keystone

Das Land hat zwar in den letzten Jahren die Selbstversorgung in der Getreideproduktion erreicht, doch die Ernährungssicherheit in Indien ist dadurch noch lange nicht gewährleistet.

Trotzdem sollte Indien nach dem Angriffskrieg auf die «Kornkammer Europas» insbesondere den Hauptabnehmern des ukrainischen Weizens helfen, etwa Ägypten, Jemen und Somalia.

Weg in den Weltmarkt

Denn Kämpfe und Blockaden in der Ukraine sowie zerstörte Getreidesilos rund ums Schwarze Meer haben den Transport des Getreides unterbrochen, was dazu führte, dass der Weizen auf dem Weltmarkt knapp und teuer wurde. Rund 25 Millionen Tonnen stehen in der Ukraine für den Export bereit. Man versuche, sie in LKWs und Zügen ins Ausland zu transportieren, teilte Deutschlands Wirtschaftsminister Cem Özdemir am Samstag mit. Doch dies deckt bei Weitem nicht die grosse Nachfrage des Weizens. Mit Eisenbahnen kann man schlicht nicht so viel Getreide liefern wie mit Frachtschiffen.

Indische Frauen spazieren in Neu-Delhi durch ein kleines Weizenfeld, während sie Gras für ihr Vieh tragen, aufgenommen am 22. April 2015.
Indische Frauen spazieren in Neu-Delhi durch ein kleines Weizenfeld, während sie Gras für ihr Vieh tragen, aufgenommen am 22. April 2015. bild: keystone

Nach der Ankündigung des indischen Präsidenten, die Welt mit rund 10 Millionen Tonnen Getreide zu versorgen, setzten sich mehrere Länder auf die Bestellliste, darunter Serbien, Herzegowina, Iran, Sudan und die Türkei – allen voran aber Ägypten, der weltweit grösste Importeur von ukrainischem und russischem Weizen. Das Land der Pharaonen verfügt über wenig Anbaufläche und ist besonders vom Weizenimport abhängig. Weil man sich um die Versorgung der Bevölkerung sorgt, kündigte Kairo Ende März an, in Zukunft mehr Weizen anzubauen.

Bis dahin wollte das Land Indien zu seinem neuen grössten Importeur machen – und sich vorerst einmal mit rund einer Million Tonne indischem Weizen eindecken.

Doch dann funkte die Natur dazwischen. Indien erreichte eine ungewöhnlich frühe Hitzewelle mit Temperaturrekorden von bis 50 Grad Celsius und schürte in dem Riesenland grosse Sorgen vor einer Missernte. Die prognostizierten 111 Megatonnen für das im Juni endende Erntejahr wurden von der indischen Regierung auf 105 Megatonnen gesenkt. Und: Die Hitzewelle dauert noch immer an.

Indische Landwirte benutzen in Neu-Delhi eine Dreschmaschine, um Weizenkörner aus den Strängen herzustellen, aufgenommen am 17. April 2022.
Indische Landwirte benutzen in Neu-Delhi eine Dreschmaschine, um Weizenkörner aus den Strängen herzustellen, aufgenommen am 17. April 2022.bild: keystone

Nicht nur die Hitze macht Indien derzeit zu schaffen, sondern auch eine hohe Inflation. Aus diesem Grund erliess die indische Regierung am Samstag ein Ausfuhrverbot des Getreides mit sofortiger Wirkung. Begründet wurde der Entscheid mit der unsicheren Ernährungslage im Land. Im öffentlichen Schreiben heisst es, der sprunghafte Anstieg des weltweiten Weizenpreises sowie die Auswirkungen der Hitzewelle bedrohe die Ernährungssicherheit Indiens.

Mit dem Exportverbot wolle man Preissteigerungen im eigenen Land nun wieder eindämmen, welche in den vergangenen Wochen in die Höhe geschnellt sind. Bislang hatten die Weizenbauern kein Interesse daran, ihr Getreide zu exportieren, da sie von der Regierung so stark subventioniert werden, dass sich der Weltmarkt für die Bauern nicht lohnt. Doch wegen der weltweit gestiegenen Preise zahlen Exporteure den Bauern aktuell viel mehr als die Regierung.

Indien kann Weizenlücke nicht füllen

Der Preisanstieg machte sich auch im Land bemerkbar. Der Weizenpreis stieg um 20 bis 40 Prozent, wie das Handelsministerium am Samstag mitteilte. Dies gefährde die Nahrungssicherheit in Indien. «Wir wollen nicht, dass Weizen unreguliert verkauft wird und dann entweder gehortet oder nicht in dem von uns erhofften Sinne genutzt wird», teilte der Handelsminister BVR Subrahmanyam am Samstag mit.

Damit wird auch Indien die Lücke, welche der Ukraine-Krieg verursacht hat, nicht füllen können. Man werde einigen Verpflichtungen aber dennoch nachkommen. Länder in grosser Not werde man noch beliefern, die Ausfuhr weiterer Mengen werde aber gestoppt.

Indische Arbeiter warten auf einem Getreidemarkt in Amritsar, Indien, darauf, Weizen von einem Traktorwagen abzuladen, aufgenommen am Donnerstag, 3. Mai 2012.
Indische Arbeiter warten auf einem Getreidemarkt in Amritsar, Indien, darauf, Weizen von einem Traktorwagen abzuladen, aufgenommen am Donnerstag, 3. Mai 2012.bild: keystone

Der Weizenpreis auf dem Weltmarkt dürfte nun weiter in die Höhe schnellen. Für andere Länder, die unter der Versorgungslücke leiden, bedeutet dies eine Katastrophe – zusätzlich zu einer Katastrophe. Bereits die Corona-Pandemie, die Auswirkungen extremer Wetterereignisse sowie der Ukraine-Krieg haben den Welthunger weiter verschlimmert. Bis zu 50 Millionen Menschen in Afrika sowie im Nahen Osten seien durch den Krieg zusätzlich von Hunger bedroht, warnte die Bundesaussenministerin Annalena Baerbock am Samstag.

Der Index stuft die Länder gemäss einer 100-Punkte-Skala ein, auf der 0 (kein Hunger) bedeutet.

Appell – und Verständnis

Vor diesem Hintergrund appellierten die Agrarministerinnen und -minister der G7-Staaten, das Ausfuhrverbot zu überdenken. «Wir haben alle miteinander – gerade die grossen Exportnationen – eine Verantwortung für den Rest der Welt», kritisiert Cem Özdemir, Deutschlands Landwirtschaftsminister. Der Grüne-Politiker fordert, dass die Märkte offen gehalten werden.

Indische Arbeiter sind in Amritsar, Junjab damit beschäftigt, Säcke mit der Weizenernte nach dem Reinigungsprozess zu versiegeln, aufgenommen am 09. Mai 2005.
Indische Arbeiter sind in Amritsar, Junjab damit beschäftigt, Säcke mit der Weizenernte nach dem Reinigungsprozess zu versiegeln, aufgenommen am 09. Mai 2005.bild: keystone

Die Hilfsorganisation Brot für alle kann Indiens Exportverbot nachvollziehen. «Es sei gerechtfertigt, dass die indische Regierung Hunger dadurch im eigenen Land verhindern wolle», sagte der Welternährungsreferent Francisco Mari zur Tageszeitung «TAZ».

Für die Kritik an Indien hat er kein Verständnis: «Die G7-Staaten sollen schauen, dass sie ihren Weizenverbrauch reduzieren können, statt Indien zu kritisieren, das wegen einer vom Klimawandel verursachten Hitzewelle in Bedrängnis gerät», so Mari.

In einigen europäischen Staaten lande der Weizen nicht nur auf dem Teller, sondern im Tank oder im Tierfuttertrog. «Wenn Millionen Menschen hungern, ist es nicht vertretbar, dass in den reichen Ländern wertvolle Lebensmittel in Verbrennungsmotoren verheizt werden.»

Mari hat einen Vorschlag, wie man den Weizenpreis senken könnte: «Die G7 sollten noch einmal darauf hinweisen, dass Russland trotz der Sanktionen weiter Getreide exportieren darf. Solche Signale an die Märkte könnten die Preise senken».

Russisches Frachtschiff auf der Suche nach einem Hafen

Die Ukraine bittet derweil andere Staaten, Lieferungen aus Russland nicht anzunehmen. Russland hingegen hat bereits eine andere Lösung gefunden, um den Weizen in den Nahen Osten zu bringen: Satellitenbilder des Unternehmens Planet Labs zeigen, wie russische Frachter Weizen nach Syrien liefern. Laut ukrainischem Geheimdienst handle es sich um Weizen aus der Ukraine, der von Syrien aus in andere Länder des Mittleren Ostens geschmuggelt werde. Das Satellitenbild wurde von der Nachrichtenagentur AP verifiziert.

Das Frachtschiff wollte erst Ägypten beliefern. Die Ukraine protestierte und forderte Ägypten auf, das Schiff und die Ladung nicht anzunehmen, da Berichten zufolge das gesamte Getreide aus den besetzt ...
Das Frachtschiff wollte erst Ägypten beliefern. Die Ukraine protestierte und forderte Ägypten auf, das Schiff und die Ladung nicht anzunehmen, da Berichten zufolge das gesamte Getreide aus den besetzten ukrainischen Gebieten entnommen und über die Krim transportiert wurde. Danach wurde das Schiffsziel geändert. Am 5. Mai erreichte das russische Schiff seine Verbündeten in Syrien.
bild: fleetmon

Gerade weil viele Länder eine Hungerkrise fürchten, dürften die Märkte laut Özdemir nicht geschlossen werden: «Wir müssen dafür sorgen, dass das Getreide, das verfügbar ist, fair zugänglich wird und dies zu bezahlbaren Preisen».

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Alter Mann
17.05.2022 20:25registriert September 2020
Interessanter Artikel. Doch der Hauptgrund des Anstiegs des Weizenpreises wurde quasi übergangen - Die Finanzspekulanten. Wann wird die Welt lernen, dass mit Grundnahrungsmitteln nicht spekuliert werden darf? Die Preise könnten auch von einer Agrarkommission festgelegt werden um die Erzeugerbedürfnisse abzudecken. Nein, lieber nimmt man Hungersnöte in Kauf oder Verschwendung von Hilfsgeldern durch überzahlte Nahrungsmittel zugunsten von Spekulanten. Aber die amerikanischen Spekulanten sind eben zu mächtig. Da traut sich niemand dazwischen zu funken.
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